John Marten Tailor

Der Fall - Amos Cappelmeyer


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Sie. Aber ich schätze, Sie werden es nicht tun.«

      Ein Knistern lag in der Luft. Audrette biss sich auf die Lippen. Wo lag das Problem? Sie war alleine, vorübergehend zumindest, und ihre verspannten Muskeln würden es ihr danken. Wenn sie nicht so verdammt konservativ wäre ... Für diese Woche hatte sie ihr Pensum an spontanen Freizügigkeiten längst ausgeschöpft. Sie war im Evakostüm vor dem Hotelguru herumgetänzelt, hatte sich mit einem völlig Fremden ein Stelldichein geliefert, ihm mal eben nebenbei einen Heiratsantrag gemacht und nun - ließ sie das Handtuch sinken.

      Ehe Audrette sich versah, hockte die Frau, mit einer Flasche neutralem Öl bewaffnet, auf deren Beinen und hinterließ mit weichen Händen auf ihrem Rücken einen wohligen Eindruck. Schon nach kurzer Zeit verfiel sie in eine tiefe Entspannung. Annemarie beließ es keinesfalls beim Rücken, arbeitete sich vor zu Po und Schenkeln.

      »Vielleicht könnten Sie dort etwas zurückhaltender sein?«

      »Nenn mich Annemarie, Schätzchen.«

      »Oh Gott!« Jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Flinke Finger massierten verbotenes Terrain, stießen zu jenem mystischen Punkt, der Schätzchens Haut zu einer erogenen Zone mutierte. Die hochbegabte Masseurin nahm sich ihren Anteil, dabei liebkoste sie die Früchte eines fremden Gartens. Völlig erledigt lagen die bebenden Leiber nebeneinander. Annemarie war von Audrettes femininen Körper angetan und endlich ließ sie von ihrer Beute ab, nahm noch eine Dusche und verwandelte sich indes in einen eiskalten Engel. Sie kleidete sich an, ohne die Andere noch eines Blickes zu würdigen. Sie hatte ihre Eroberung. Die berühmte Kerbe in der Bettkante.

      Audrette verstand die Welt nicht mehr, fühlte sich gedemütigt, beraubt ihrer Seele. Tränen kullerten, sobald die Tür ins Schloss gefallen war. So hatte sie sich das nicht vorgestellt mit der Observierung. Mit dem Gedanken an Amos weinte sie unter der Dusche vor sich hin, körperlich tief befriedigt aber weggeworfen wie ein dreckiger Lappen.

      Dabei liebte sie den spleenigen Thüringer uneingeschränkt, die Angst verlassen zu werden, verdrängte sie. Der Fall Cappelmeyer verlangte geklärt zu werden, dafür wertete sie die gespeicherten Bilder auf dem Handy aus. Im Schnelldurchlauf durchsuchte sie die Fotos nach möglichen Verdächtigen. Da waren die alten Gesichter wieder, die Geschäftsreisenden vom Flug. Na, wenn das kein Zufall war. Maschinenbau ...?

      Audrette legte sich einen Schlachtplan zurecht, auch unter der Prämisse, noch mal von Miss-schlimmer-Finger rangenommen zu werden. Sie plante, sich um eine Praktikumsstelle im Verlag zu bewerben, um näher an die Quelle des Geschehens heranzurücken. Ihr schwarzweißes Kleid drängte sich dazu gerade auf. Mit weichen Hüftschwüngen verdrehte sie Männlein und Weiblein im Nu den Kopf, sie wurde sofort vorgelassen. Bei der Personalreferentin spielte sie ihre Traumrolle als ehemalige persönliche Lektorin eines Bestseller-Autors.

      »Was für ein Zufall, genau so jemanden suchen wir! Wir hatten vor, diesen Samstag eine Anzeige zu schalten. Sie schickt der Himmel, meine Gute. Sie können unserer Frau Seeling etwas unter die Arme greifen. Willkommen bei Kniebrecht.« Nach dem Handschlag folgte Audrettes großer Auftritt. Ihr wurde genau neben Frau Seeling ein eigenes schuhkartongroßes Büro zugewiesen mit einem Desktop-PC und einem antiquarischen Telefon. Wenigstens der Stuhl sah recht bequem aus.

      »Die Kollegin ist zur Mittagspause. Sie wird sich nachher um Sie kümmern und Ihnen alles erklären.« Annemarie war um diese Zeit im Sportstudio, wo sie exzessiv Kickboxen und Crossfit betrieb.

      »Das ist super. Ich freue mich schon, sie kennen zu lernen«, heuchelte sie.

      »Der Kaffeeautomat steht gleich um die Ecke!«

      »Prima, danke. Damit wäre mein Tag gerettet.« Audrette sollte einen der prestigeträchtigsten Autoren, die Kniebrecht unter Vertrag hatte, unterstützen. Zwei dicke Manuskripte türmten sich auf ihrem Schreibtisch, die sich beide vom Umfang nichts nahmen. Ein Manuskript von Herrn Amos Cappelmeyer, welch ein Zufall, und eins vom weltberühmten Autor Arvid Mattsson! Mattsson produzierte hochspannende Thriller am laufenden Band, jedes Jahr mindestens einen, und eroberte die Bestsellerlisten im Sturm. Im Gegensatz zu Amos, den es Mühe und Schweiß kostete, und der sich gerade so über Wasser halten konnte. Auf dem Manuskript von Amos klebte eine gelbe Haftnotiz mit handschriftlicher Bemerkung:

       »Bitte den Eingang nicht bestätigen, A. Seeling!«

      Was? Das konnte doch nur ein schlechter Witz sein, einem Autor den Eingang seines Manuskripts nicht zu bestätigen, obwohl vertragliche Vereinbarungen das klar regelten. Sie schoss ein Beweisfoto mit ihrem Handy. Dann ihre erst Amtshandlung heute: Der Eingang vom Manuskript »Schwerenot« wurde von Audrette per E-Mail bestätigt, und zwar an Herrn Cappelmeyer persönlich und seinem Anwalt/Notar in Thüringen. Dann widmete sie sich gespannt dem Manuskript Mattsson, fünfhundertundfünfzig Seiten geballte Energie, ein Thriller der Extraklasse. Die Handlung spielte in Norwegen und Dänemark. Es las sich mühelos, mit den Beinen auf der Schreibtischplatte und einer Tasse Mokkachino aus dem Automaten. Audrette war ein Feind von Süßigkeiten und Naschereien, sonst hätte sich eine Tüte Chips, die gab es in dem Kasten auch, sicher gut gemacht. Unbemerkt lehnte Frau Seeling in der Tür, das Gesicht spiegelte eine tickende Zeitbombe wieder.

      »Was, zum Henker, tust du hier?«

      Audrette knallte Frau Seeling die Tür vor der Nase zu.

      »Arbeiten! Schätzchen, arbeiten.« Audrette vergewisserte sich, dass niemand sonst auf diesem Flur stand, und provozierte Frau Seeling bis zum Äußersten. Die war fassungslos, dass die Eroberung der letzten Nacht eine Entlastungskraft im Hause Kniebrecht sein sollte. Annemarie, die den Rausschmiss nicht verknusen konnte, zerrte ihre Mitstreiterin an den Haaren.

      »Du Miststück! Was machst du mit dem Manuskript von Mattson? Das ist mein Projekt!«

      »Jetzt wohl nicht mehr, schätze ich.« Audrette schlug ihre Knie gegen die Kniekehlen Annemaries, die daraufhin zusammensackte und mit dem Kinn auf die Schreibtischkante knallte. Autsch! Klassisches Knock-out. So, jetzt war Ruhe. PC aus und ein Anruf an einen alten Kollegen vom Secret Service, der bereits nach wenigen Minuten als Ersthelfer im Flur stand. Eine Spritze chemischen Inhalts würde Annemaries Erwachen hinauszögern.

      »Bring sie raus. Wenn du angesprochen wirst, sag, ihr ist unwohl. Du bist der Bruder. Nicht weit von hier gibt es einen verlassenen Schrottplatz. Bereitet sie für ein Verhör vor - und keiner fasst sie an. Diese Frau gehört mir, verstanden! Wir treffen uns dort.«

      Doch vorher wollte Sie unbedingt mit Arvid Mattsson telefonieren, diese Chance bot sich nicht wieder. Audrette blickte Mike nach, wie er mit Frau Seeling unter dem Arm verschwand. Ihre Füße schleiften über den Teppichboden. Audrette griff zum Hörer, führte das Ferngespräch.

      Der Vorstand durchschritt nervös die Abteilungen, scheute sich aber, das wichtige Telefonat mit ihrem besonderen Schützling zu stören.

      Sie verstand sich prima mit Arvid, die Chemie passte auf Anhieb. Sie lachte viel am Telefon, seiner Einladung gedachte sie aber nicht zu folgen. Energisch klopfte der Vorstand erneut.

      »Wo steckt denn Frau Seeling? Sie müsste doch hier sein.«

      »Frau Seeling? Ach, die gute Frau hat an ihrem Schreibtisch einen Schwächeanfall erlitten und ist nach Hause gegangen. Sie lässt sich entschuldigen.«

      »Na so was. Sieht ihr gar nicht ähnlich. – Verzeihen Sie, mein Name ist Dr. Dietmar Klotzig. Ich bin dann wohl auch Ihr Boss für die nächste Zeit, Frau ...« Er zeichnete sich durch starkes Transpirieren aus und knetete pausenlos ein Stofftaschentuch, welches sicherlich schon triefte, wenn man seinen schwammigen Händedruck berücksichtigte.

      »So wird es sein.«

      »Das Manuskript von diesem Cappelmeyer. Ist es hier?«

      »Ja, das liegt hier. Soll ich es nicht parallel bearbeiten?«

      »Nein, nein. Geben Sie es mir.«

      »Wie Sie meinen. Es klingt jedenfalls spannend.«

      »Mag sein.« Klotzig winkte belanglos ab und verschwand mit dem Manuskript. Vorher beauftragte er sie, persönlich nach dem Wohlergehen der hochgeschätzten