John Marten Tailor

Der Fall - Amos Cappelmeyer


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noch. Ich möchte nur für die Zukunft vorsorgen.«

      »Deine Sorgen will ich nicht haben«, murmelte Annemarie verständnislos, zurückverwandelt in die Person von einst, einer gutaussehenden Frau, die den Sinn für eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau neu entdeckt hatte. Ihre Augen strahlten den Glanz vergangener Zeiten. Sie war bereit, sich selbst zu verzeihen, zu warten auf den Einen.

      Die Sonne erkämpfte sich Platz zwischen den Wolken. Beide Frauen zogen sich an, betrachteten ihre femininen Körper. Unterschiedlich wie Tag und Nacht, doch jede auf ihre Weise perfekt. Nach einer Umarmung teilte Audrette ihre geheime Handynummer mit. Ein letzter Kuss:

      »Warte, bis ich dich kontaktiere.«

      »Ey ey, Captain.«

      So kehrte Annemarie befreit von allen Lasten zurück an ihre Arbeit. Audrettes Laune vermieste der Anruf eines alten Kollegen vom BND.

      »Du wolltest doch was über die Besucher bei Kniebrecht wissen?«

      »Ja, und? Spann mich nicht auf die Folter.«

      »Die ungewöhnlichsten Gäste waren eindeutig Landvermesser und Geologen, die sich mit der Geschäftsführung von Kniebrecht getroffen haben.«

      »Interessant. Danke für die Info! Vortreffliche Arbeit.« Nur was sollte das mit Amos oder gar ihrer Schwester zutun haben? Immer mehr Fragen. Begierig durchforstete sie das Netz nach Antworten, ohne neue Erkenntnisse. Es war schwierig, weil sie nicht wusste, was sie eigentlich suchte. Stochern im Dunkeln nannte man das. Sie hatte selbstredend Herrn Cappelmeyer persönlich überprüft, mit ernüchterndem Resultat, wobei es zu berücksichtigen galt, dass er in der ehemaligen DDR aufgewachsen war. Es gab noch die berühmten Stasi-Akten ... Sie glaubte, den Faden verloren zu haben, da überschlugen sich die Ereignisse. Ein Anruf auf der geheimen Nummer:

      »Süße, du musst aus dem Hotel verschwinden, sofort!«

      »Aber, ...« Dann riss die Verbindung ab. Die Agentin fluchte ausgiebig, dann suchte sie eilig ihre paar Kleider zusammen und schlich aus dem Hintereingang. Annemarie rief erneut an, als Audrette an ihrem Wagen ankam. Sie benahm sich merkwürdig. Flüsterte. »Hörzu, ich kann nicht reden.« Dubiose Gestalten bedrohten ihren Chef, Dr. Klotzig, dabei ging es wieder um diesen drittklassigen Schriftsteller Cappelmeyer. Der Roman war nie ernsthaft gewünscht. Ein Bluff.

      »Ich hab`s geahnt«, fauchte die Amerikanerin. »Diese miesen Ratten!« Soeben rutschte ein Puzzleteilchen auf seinen Platz.

      »Das abgelieferte Skript ist brillant, ich hab es gelesen, doch das spielt keine Rolle. Denen geht es nur um ein Haus und Grundstück von dem, du weißt schon ...« Audrette schnaufte. »Das ergibt überhaupt keinen Sinn für mich!«

      »Eigenartig, ja. – Anni, denk mal ernsthaft über ein paar Tage Urlaub nach. Was hältst du von Ostdeutschland? Präziser, der wunderschönen Stadt Dresden? Weltkulturerbe, immer eine Reise wert?« Annemarie protestierte schwach, sah aber ein, dass an ihrem Arbeitsplatz etwas gehörig aus der Bahn geraten war. Besser, nicht dort zu sein, wenn die Eskalation den Höhepunkt erreichte.

      Aufgewühlt grübelte Audrette über den Fall nach. Der schien irreal wie nur was. Es wurde Zeit, den Übeltätern das Handwerk zu legen. Sie war es leid, mit anzusehen, wie Menschen alles Erdenkliche anstellten, um ihre dubiosen Ziele zu erreichen. Meistens Macht und Geld. Geld und Macht. Welches Ziel hier verfolgt wurde? Audrette hatte eine Ahnung, doch wem konnte sie in dieser Sache trauen? Hinter Annemarie Seeling stand ein fettes Fragezeichen. Ihrer derzeitigen Einschätzung nach war die Frau nur unsagbar einsam und auf der Suche nach einem aufrichtigen Partner.

      Audrettes Instinkte hatten ihr bislang gute Dienste geleistet. Diesmal signalisierten sie Verstärkung im großen Maßstab zu organisieren, bestehend aus ehemaligen Mitarbeitern des Service (CIA), der Agency (NSA) und anderen Diensten (MI 5, BND, Heeresnachrichtendienst HNA), die nichts mehr zu verlieren hatten, aber zumindest an das Gute glaubten. Agenten, gewohnt zu improvisieren und in der Lage, eine lückenlose Observierung ohne Aufsehen zu erledigen. Schließlich ging es um eine bedeutende Sache. Audrette hatte vor, sich mit der Stasi anzulegen. Ein Rundruf an die Ex-Kollegen/ - Konkurrenten war von Erfolg gekrönt. Binnen kurzer Zeit standen vierzehn Freiwillige parat, erfreut über eine kleine Abwechslung im Rentnerdasein. Der Begriff war irreführend. Nicht, dass alle das entsprechende Alter erreicht hatten, es gab unterschiedliche Gründe, den Dienst zu quittieren, siehe Audrette als bestes Beispiel. Nur durch eine kleine Flunkerei hatte sie ihre Dienstmarke behalten können, die sie auch heute noch gern einsetzte, wenn es hilfreich erschien. Es handelte sich bei den Kollegen, die ihr zur Seite standen, zu 90% um Männer im besten Alter, die alle, bis auf eine Ausnahme, in Europa weilten, teilweise in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, was die Sache ungemein erleichterte. Allgemeiner Treffpunkt: Dresden.

      Audrette benachrichtigte Annemarie: »Dein Urlaub. Dresden. Jetzt. Buch ein Doppelzimmer, ich komme bald möglichst nach.« Die packte ihre Arbeitstasche, kritzelte schnell noch etwas auf den Urlaubsantrag und verließ das Haus Kniebrecht, wie es ihr aufgetragen worden war, mit dem dumpfen Gefühl, dass es ein Abschied für immer werden könnte.

      Aus den Kollegen Henry James aus den Staaten und Daniel Hufnagel, ein Ex-BND-ler, die beide schon in München eingetroffen waren, bildete Audrette ein Team. Den Männern fiel die Aufgabe zu, das Haus Kniebrecht rund um die Uhr zu überwachen. Jens Kühl´s Auftrag bestand darin, Audrette am Stadtrand Münchens aufzugabeln und nach Dresden zu bringen. Jens war ein Enddreißiger mit schütterem Haar, das er militärisch kurz trug, was ihm aber nicht schlecht stand. Auf der mehrstündigen Fahrt teilte sie ihre Erkenntnisse mit ihrem alten Weggefährten, berichtete vom plötzlichen Tod der geliebten Schwester, dem Vertrag mit Amos Cappelmeyer, von Frau Seeling. Jens nickte verständnisvoll und sein Hirn ratterte los. In diesem Moment rief der Sicherheitsmann aus dem Krankenhaus an. Zwei Personen hätten Erkundigungen über Cappelmeyers Gesundheitszustand einziehen wollen, ohne sich legitimieren zu können, weshalb die Ärzte die Unbefugten rauswarfen.

      »Ich werd noch verrückt!« Audrette rieb sich die Augen. Jetzt mussten sie handeln, denn die wussten, wo er ist. »Wie geht es Amos denn?« Der Zustand des Patienten sei den Umständen entsprechend gut, er könne problemlos in ein anderes Krankenhaus verlegt werden.

      »Super, so machen wir das. Lasst ihn nach Dresden bringen.«

      Kurz darauf rief Annemarie an, sie habe im »La Tusch« eingecheckt, Zimmer 412. Audrette klappte die Kinnlade runter, als sie das hörte.

      »La Tusch? Holy Shit! Bist du wahnsinnig? Den Schuppen kann ich mir nicht leisten!«

      »Keine Panik auf der Titanic. Ich habe meine Kontakte, daher erlaube ich mir, dich einzuladen. – Und natürlich die komplette Mannschaft dazu.«

      »Sicher? Ich meine, ...«

      »Ich bin sicher. Nenn mir eine Zahl. Wie viele Zimmer brauchst du?«

      »Keine Ahnung.« Für den Moment herrschte Sprachlosigkeit. Audrette sendete per SMS die Zahl 18. Achtzehn Leute, nicht achtzehn Zimmer. Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

      »Ok!«

      Audrette brüllte: »Leck mich doch einer am Arsch!« Sie gab die Adresse in das Navi ein, Jens folgte der Route, anerkennend nickend.

      »Gefällt mir, deine Freundin.«

      Kapitel Sechs

      Gejagt

      Fast synchron trudelte aus allen Himmelsrichtungen das Team ein. Manche waren auf dem Flughafen Dresden gelandet, andere mit dem Auto angereist. Annemarie hieß jeden persönlich willkommen und verteilte einen Batzen Schlüsselkarten. Zwei Agenten sollten sich ein Zimmer teilen. Nach kurzem Murren fanden sich die passenden Gruppierungen. Sie begrüßte ihre neue Freundin mit einer zärtlichen Umarmung, drückte ihr speziell den Zimmerschlüssel in die Faust. Audrette witterte überall eine Verschwörung.

      »Willst du mich damit ärgern?«, zischte sie. »Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.« Annemarie zog sich mit diebischer Freude in den Augen zurück, warf Audrette zur Krönung