John Marten Tailor

Der Fall - Amos Cappelmeyer


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mich sanft.

      »Das ist mein Verlobter. Herr Pfarrer, ich bürge nicht nur mit meinem Namen. Herr Cappelmeyer ist ein erfolgreicher Autor in Deutschland und noch nie einer Seele etwas schuldig geblieben.«

      »So ist es«, steuerte ich bei, ohne einen Schimmer, worum es ging. Audrettes Ausdruck hatte sich verändert. Tränen schimmerten in ihren Augen. »Was ist denn los?«, doch sie war nicht bereit zu antworten.

      Das Licht wurde heruntergedimmt. Für ein paar Minuten verharrten wir schweigend, Hand in Hand, trauerten, untermalt von Orgelmusik vom Band; sie um ihre Schwester und ich um meine schöne Unbekannte, die den Namen Hellen trug. In diesem Moment traf mich die Erinnerung an diesen gammeligen Zettel, den ich beim Anziehen des neuen Anzuges in dessen Innentasche gesteckt und bisher ignoriert hatte. Ich holte ihn hervor, entfaltete ihn und kniff die Augen zusammen. Der Text war kurz, hastig geschrieben und besagte:

      »Mein lieber Traumpartner, bitte vergiss mich nicht. Kümmer dich um meine Schwester, sie ist stark, aber auch sehr zerbrechlich. In Liebe, deine Hellen.«

      Ich heulte auf. Ein Wolf war ein Waisenknabe dagegen. Wie konnte Hellen ihren Tod vorhersehen? Unheimlich. Ich stupste Audrette an, reichte den Zettel an sie weiter. Sie las und schaute mich dann mit feuchten Augen an.

      »Sag Amos, bist du sicher, dass du mich heiraten willst?«

      »Ja, aber natürlich! Keine Frage, egal was geschieht.« Ein ziemlich intimer Moment, den zu genießen mir nicht vergönnt war, als die Kirchentür aufschwang, eine Kugel mich rücklings durchbohrte und mich Richtung Altar katapultierte. Das Projektil durchlöcherte meinen rechten Lungenflügel wie eine Dartscheibe. Beim Austritt erwischte es noch eine Rippe, riss drei pfeilartige Knochensplitter mit, die in den Altarkerzen zum Stecken kamen. Ein letzter Blick sollte Audrette aufmuntern, doch sie war völlig in ihrem Element. Geschosse flogen umher, denkmalgeschützter Putz rieselte. Nach etwa fünfzehn Sekunden herrschte Grabesstille. Der Pfarrer lugte hinter dem Altarstein hervor und bekreuzigte sich. Mit letzter Kraft rief ich meine Geliebte herbei, hauchte:

      »Ja, ich Amos Cappelmeyer, will dich, Audrette Miller, zu meiner Ehefrau nehmen.« Dann verlor ich das Bewusstsein.

      Der geschockte Pfarrer, ein Krankenwagen sowie Polizei waren prompt zur Stelle, um Erste Hilfe zu leisten. Der Rettungswagen beförderte Amos auf Wunsch von Audrette in das beste Krankenhaus der Stadt. Voraussetzung, Herr Cappelmeyer würde anonym eingeliefert werden. Sie hielt den verdutzten Ärzten ihren Secret–Service-Ausweis unter die Nase. Dass sie eine ruhende Agentin war, wusste offiziell niemand in Europa. Im Krankenhaus wirbelten die Götter in Weiß um den Patienten herum, nachdem sich herumgesprochen hatte, dass er in Begleitung einer amerikanischen Geheimagentin war. Die ersten Bilder der Untersuchung zeigten, welches Glück das Opfer gehabt hatte. Ein Kinderspiel für die Ärzte, nach lediglich drei Stunden konnte der Patient den OP verlassen. Für die Heilung versetzte man ihn für ein paar Tage in ein künstliches Koma.

      Audrette nutze ihre Beziehungen und postierte vor dem Krankenzimmer ranghohe Ex-Agenten, die, genau wie sie, deaktiviert, also im Ruhestand waren. Sie selbst ging auf die Jagd, ihr Blut brodelte. Sie war äußerst gründlich in dem, was sie tat, und sie wollte wissen, was es mit dem Vertrag, geschlossen zwischen dem Verlagshaus Kniebrecht und Herrn Cappelmeyer, auf sich hatte. Leider konnte sie das obskure Dokument bisher nicht persönlich lesen, würde das aber nachholen, wenn sie in München fertig war. Es war äußerst suspekt, dass ein namhaftes Haus wie Kniebrecht, solch zwielichtige Verträge ausgestaltete.

      Sie forderte bei einem alten Freund einen Gefallen ein. Dieser Freund, nennen wir ihn Joe, hatte weniger als achtundvierzig Stunden Zeit, einen spannenden Roman unter der Mailadresse: [email protected] einzureichen. Unmöglich? Joe kannte Audrette viele Jahre und wenn sie anrief, brannte der Baum. Trotzdem erlaubte er sich die Frage: »Wer hat sich diesen Schwachsinn denn ausgedacht?«

      »Frag nicht. Fang besser an zu schreiben.«

      »So haben wir aber nicht gewettet«, beschwerte sich das Opfer. »Das kostet dich was extra, mein liebes Fräulein.«

      »Stell dich nicht so an. Du brauchst nur die Rohfassung abliefern, den Rest übernimmt anschließend das Lektorat.«

      »Wie großzügig. Ich glaube, du hast nicht den leisesten Schimmer, wovon du überhaupt sprichst, mein Engel.«

      »Ich hab dich auch lieb«, dann legte Audrette auf. Auf Joe war verlass. Kein Zweifel, er würde sich den Arsch für sie aufreißen.

      Sie nahm sich die Zeit innezuhalten und gedachte mit einem Gebet ihrer Schwester, danach galt die Hatz auf die Drahtzieher des Anschlags als eröffnet.

      Die Spur wies, wie sollte es anders sein, auf das deutsche Verlagshaus. Audrette entschied, nach München zu fliegen, wo Kniebrecht seinen Stammsitz hatte. Sie beauftragte noch ihre Kollegen, die restliche Habe von Herrn Cappelmeyer aus dem »Hotel zur Schwalbe« abzuholen. Ein schriller Pfiff plus ihr gutes Aussehen sollte sicherstellen, dass ein Taxi zügig den Weg zu ihr fand. Ihre Laune sank weiter. Unfassbar! Wieder dieser schmierige Taxifahrer. Hatte Wien nicht mehr zu bieten?

      »Sie schon wieder«, stöhnte der Chauffeur im gleichen Atemzug. Sein Namensschild lautete auf Harry Stöbsl. Er roch, als hätte er vor kurzem noch im Auto gequalmt.

      »Ja, ich. Und ich bin in Eile.« Sie stieg genervt auf der Beifahrerseite ein. »Flughafen! Zügig und unfallfrei, wenn Sie dazu in der Lage sind.« Stöbsl war kein abergläubischer Mensch, aber er sah in ihr einen Fluch, bekreuzigte sich, schaltete den Taxameter ein und raste los, wie auf dem Formel Eins Kurs in Spielberg. Im Nu stoppten sie vor dem Abflugterminal. Heile, unversehrt und pünktlich. Audrette warf ihm einen Fünfziger zu. Erleichtert fuhr Harry los, starrte aber dummerweise mit einem Auge auf den Hüftschwung seiner Passagierin.

      Diesmal schob er drei weitere Taxis zusammen.

      Kapitel Fünf

      Observierung

       Achte auf deine Gedanken, sie sind der Anfang deiner Taten. China

      Eine kleine Gruppe von fünf Geschäftsreisenden stand am Abflugschalter für Privatmaschinen. Unweigerlich blieb deren Blick an der Amerikanerin haften, die am Nebenschalter vergebens versuchte, einen Flug nach München zu ergattern. Ihre hilflose Mimik stellte sie mädchenhaft zur Schau. Audrette besaß eine Begabung Männer in fünf Sekunden um den kleinen Finger zu wickeln. Das Ende vom Lied; die Geschäftsleute brachten es nicht übers Herz, die zarte, hilflose Frau mit dem süßen amerikanischen Akzent stehen zu lassen, zumal der Flieger nicht vollbesetzt war. Sie erklärte sich bereit, einhundert Euro Benzingeld zu leisten, doch ihr Angebot wurde mit lautstarkem Gelächter quittiert, so hörte man seriöse Businessmänner selten lachen. Die Herren kamen aus der Maschinenbaubranche und hatten zusammen mit einem österreichischen Kooperationspartner einen bedeutsamen Deal ausgeheckt. Da war Man(n) schon mal spendabel und Audrette war eine fabelhafte Schauspielerin, wenn es darum ging, ein Ziel schnellstmöglich zu erreichen.

      Beim Landeanflug auf das knapp vierhundert Kilometer entfernte München brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Bei Herrn Janus Keilbart, der sie federführend zum Flug eingeladen hatte, bedankte Audrette sich aufrichtig mit einem Kuss auf die Wange.

      »Auf Wiedersehen, schöne Frau. Ich hoffe, es trifft zu, dass man sich immer zweimal im Leben über den Weg läuft.«

      Der Weg zum Autoverleiher hingegen war kurz, nur einmal um die Ecke, ENTER EUROPA. Der einzig anwesende Serviceangestellte erklärte verlegen mit tomatenfarbenen Kopf, dass nur noch ein Fahrzeugtyp zu haben sei, ein Oberklasse-SUV, Automatik-Diesel.

      »Ist ziemlich groß, wissen Sie«, sagte der junge Mann zweifelnd mit einem Blick auf die zierliche Kundin.

      »Ja, weiß ich. Das ist genau, was ich suche. Der ist perfekt.« Sie hielt ihm ihre Kreditkarte unter die fettig glänzende Nase. Max, so hieß der Knabe mit der schlechten Haut, der ihr das Auto samt dem unterschriebenen Mietvertrag schnell aushändigte, gewährte ihr einen Rabatt von fünf Prozent, führte dann seine Kundin zum Wagen, erklärte kurz alle relevanten Funktionen