Bridget Sabeth

Alsuna Jasmin - Sonnenblume


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Stellen versengt anfühlte und nachlässig zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst war.

      »Bis später!«, stieß der Transportdienst aus, er ließ die Haltegriffe des Rollstuhls los.

      Ich schaute ihm hinterher, wie er davoneilte. Ob er einen nächsten Patienten wohin karren musste, oder doch auf etwas nächtlichen Schlaf hoffte, wusste ich nicht. Bald darauf kam eine Krankenschwester aus dem angrenzenden Raum und brachte mich zu einem Stuhl in der Druckkammer. Ich fand Schwester Resi, wie sie sich vorstellte, auf Anhieb sympathisch. Ihre tiefliegenden braunen Augen wirkten vertrauensvoll. In ihrem rundlichen Gesicht waren etliche Fältchen eingegraben, die bewiesen, dass sie in ihrem Leben viel gelacht, aber wohl auch gelitten oder mitgelitten hatte. Bestimmt fehlten ihr bis zum Ruhestand nur wenige Monate. Selbst ich durfte als Achtundzwanzigjährige bereits neun Dienstjahre an Berufserfahrung sammeln.

      »Schauen Sie, hier über die Maske können Sie den hundertprozentigen Sauerstoff einatmen. Wenn Sie diese abnehmen, atmen Sie hingegen die ganz normale Raumluft ein. Über dieses Bullauge dort haben wir ständig Sichtkontakt, auch ein Arzt wird bald dort sein. Wenn es ein Problem gibt, einfach reden, wir können draußen alles hören. Wir werden am Anfang langsam den Druck erhöhen. Sind Sie einverstanden, wenn wir etwas Musik spielen?«, bemerkte Schwester Resi freundlich.

      Ich stimmte nickend zu. Musik konnte nicht schaden, und vertrieb hoffentlich ein wenig die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf. Ich musterte die Kammer, registrierte Stühle in unterschiedlichen Farben, die zum großen Teil zusammengestapelt waren. Insgesamt bot die Kammer für zwölf Menschen Platz, doch bei dieser Not-Behandlung würde ich offensichtlich allein bleiben. Die Wände waren in einem Grün gestrichen, und irgendwie fühlte ich mich, als wäre ich in einem Unterwasserboot und würde bald abtauchen. Ich unterdrückte ein Ächzen. Ein Abtauchen wäre wundervoll – fort aus dieser schrecklichen Realität und der Frage, aus welchem Grund meine Mutter bedroht und umgebracht worden war.

      »Wie lange wird es dauern?«, hakte ich nach. Dabei spielte Zeit für mich grad gar keine Rolle.

      »Voraussichtlich eine dreiviertel Stunde. Aber wir geben Ihnen die Zeit noch genauer durch. Ist auch abhängig davon, ob Ihre Werte stabil bleiben und wie lange es für Sie geht.«

      Ich presste die Lippen aufeinander. Es fühlte sich für mich seltsam an, auf der Patientenseite zu sein und nicht die Betreuungsperson, die sich um die Bedürfnisse meiner Pfleglinge kümmerte. Doch ich wollte folgsam bleiben, um rasch fit zu werden, und dann … dann herauszufinden, was hinter Mamas Tod steckte. Zu meiner inneren Qual gesellte sich ein erster Funken Hass – auf einen Unbekannten! Ob die Polizei schon aktiv geworden war?

      Ich schloss die Augen, während Schwester Resi die Tür hinter sich zuzog. Bald erklang eine Instrumentalmusik. Ich hielt die Maske an den Mund, versuchte, gleichmäßig ein- und auszuatmen, indes purzelten ohne Unterlass Tränen über meine Wangen hinab.

      Besuche

      Mara blickte in das bleiche Gesicht ihrer Freundin Jasmin. Feine Schläuche schmiegten sich an ihre Wangen, während eine transparente Maske über Mund und Nase lag und sie mit zusätzlichem Sauerstoff versorgte. Im Hintergrund piepste es, auf dem Monitor tanzten Linien, die Sunis Herzschlag anzeigten und zumindest regelmäßig schienen. Daneben wechselten Zahlen, die Mara als Blutdruck deutete.

      Mit zittrigen Händen strich sie vorsichtig eine Strähne aus Sunis Stirn. Es wirkte so surreal. Am Wochenende hatten sie erst gemeinsam gegrillt. Suni hatte Knoblauch-Baguettes, einen Kartoffelsalat und zwei Flaschen Hugo für sie Mädels mitgebracht, während sich Paul über ein Sechser-Tragerl-Bier freuen durfte. Ihre Freundin machte mit Abstand den besten Erdäpfelsalat, den Mara je gegessen hatte!

      Und nun?

      Neugierig schaute Mara sich um, unschlüssig hielt sie nach wie vor die Tasche mit den mitgebrachten Sachen in einer Hand. Am hinteren Bett stand ein weiterer Besucher, trug so wie sie, einen blauen Mantel zum Schutz. Er hielt Händchen mit der darin liegenden Frau, was sie schön fand. Zwei Betten weiter wurde hingegen jemand beatmet, der Brustkorb im regelmäßigen Rhythmus aufgeblasen. Mara wandte sich ab und war erleichtert, dass sie Friseurin war! Ein Job, der auch mal stressig sein konnte, aber zumindest nicht so belastend, so nah zwischen Leben und Sterben. Als selbsternannte Chefin, wie sich Mara selbst nannte, da sie mobil im Einsatz war, konnte sie ihre Zeit und Freizeit gut einteilen.

      »Hier, nehmen Sie doch den Sessel«, meinte eine Krankenschwester freundlich, die kurz einen Blick über Suni gleiten ließ.

      Es war dieselbe, die sie zuvor eingelassen und genau darauf geschaut hatte, dass Mara ihre Hände richtig und lang genug desinfizierte.

      »Sie können Frau Winzer ruhig ansprechen. Es geht ihr so weit gut, sie ist nur von den nächtlichen Untersuchungen und der Therapie ein wenig müde.«

      »Danke vielmals.« Mara rutschte mit dem Sessel näher, stellte die Tasche zwischen ihren Beinen ab. Nein, aufwecken wollte sie Suni nicht. Zumindest nicht gleich. Es erleichterte sie, dass die Freundin wohl nicht in akuter Gefahr schwebte. Das war ihre größte Sorge gewesen. Suni sollte schauen, dass sie ihre Kräfte dafür hernahm, bald gesund zu werden. Das war im Augenblick alles, was zählte!

      Es fiel mir schwer, mich aus meinem Schlaf zu lösen. Mein Verstand wollte aufwachen, während meine Augenlider wie zubetoniert blieben, egal, wie sehr ich mich auch anstrengte, diese zu öffnen. Da waren Stimmen und Geräusche! Ich wollte daran teilnehmen! Sprachen sie über mich?

      Aber jetzt! Bewege ich mich schon? Augen geht auf! Endlich schaffte ich ein Blinzeln, erkannte erste Schemen. Da war jemand! Kurz atmete ich tief durch, sammelte noch einmal alle Kräfte und blickte direkt in das besorgte rundliche Gesicht meiner Freundin Mara. Über ihrem knallpinken Haar lag ein heller Schimmer, weil die Sonne durch ein Fenster hereinblitzte.

      »He, Suni, was machst du bloß für Sachen.« Es klang erleichtert.

      Ein gequältes Lächeln huschte über meine Lippen. Mara war die Einzige, die meist die Koseform Suni benutzte, ihre Variante, abgeleitet von meinem Vornamen Alsuna. Bereits in der Volksschulzeit hatte es sich eingebürgert, dass ich meinen zweiten Rufnamen Jasmin verwendete, der leichter und ohne lange Erklärungen über die Lippen ging. Ich schluckte den emporsteigenden Kloß in der Kehle hinunter und war dankbar, meine Freundin zu sehen, meine Vertraute! »Du verrückte Kuh, bist extra den weiten Weg hergefahren«, schniefte ich, etwas dumpfer, bedingt durch die Maske in meinem Gesicht.

      »Aber sicher, für dich ist mir kein Weg zu weit. Hast du Schmerzen?«

      Ich fühlte in meinem Körper hinein, Müdigkeit und Schmerz waren vermischt wie zu einem riesigen Brei. »Zum Aushalten.«

      »Schau, ich hab dir ein paar Sachen zusammengepackt.« Sie deutete auf eine Tasche. »Zahnbürste, Parfum, Kleidung, Hausschuhe … Weißt du, wie lange du hierbleiben musst?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Es sollen noch ein oder zwei hyperbare Sauerstoffbehandlungen wegen meiner Rauchgasvergiftung stattfinden, hat der Arzt in der Nacht gemeint. Aber ich hoffe, dass ich bald raus kann. Ich muss doch endlich wissen …« Ich brach ab.

      Mara nahm mich mitfühlend in den Arm, drückte mich an ihren tröstlich weichen anschmiegsamen Körper, bis mein Schluchzen abebbte.

      »Die Polizei hat schon wegen einer Vernehmung angefragt«, fuhr Mara mit sanfter Stimme fort. »Ein gewisser Gruppeninspektor Albert Berger hat mir dein Handy gegeben, mich vernommen – aber ich konnte ihm leider nicht weiterhelfen. Du findest es mit dem Aufladekabel in der Tasche. Ein Kollege von ihm wird sich bald bei dir melden und ein persönliches Gespräch mit dir suchen. Willi weiß auch Bescheid, aber frag mich nicht, wie er es aufgenommen hat. Es sind etliche entgangene Anrufe am Telefon. Vorhin hab ich abgehoben, weil deine Chefin dran war. Dabei zeigte sie sich nicht gerade von der freundlichsten Seite. Obwohl, als sie von mir ansatzweise erfahren hat, was geschehen ist, hatte sie es plötzlich sehr eilig, sich zu verabschieden. Dabei müsste sie eh von der Polizei informiert worden sein. Bestimmt wollte sie dir keine gute Besserung wünschen. Und sorry, ich rede schon wieder viel zu viel.«

      Ich