Tobias Fischer

Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen


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schnell nicht mehr auf. Komm, es ist Zeit, abzuhauen«, sagte er.

      Im nächsten Augenblick sprangen die Alarmglocken im Schiff an, so laut, dass sich Tom instinktiv an die Ohren griff. »Feueralarm«, erkannte er. Und nicht nur das. Rund um sie herum schlossen sich die Feuerschotts und versperrten ihm und Vanessa jeden Fluchtweg.

      Wimilles ›kleine technische Spielerei‹ entfaltete ihre Wirkung. Auf dem Weg zur Brücke der Zaltic Asp hatte er vier seiner Golfbälle in kleinen Nischen versteckt, während er mit dem einen in seiner Hand pausenlos herumspielte. Auf der Brücke angelangt, hatte er die kurze Inspektion und den Tadel am Captain dazu genutzt, mit seinem Smartphone die Computer des Schiffs anzuzapfen. Auf gleiche Weise kontrollierte er auch die Golfbälle. In der Zeit, in der Tom daheim den Schlaf des Gerechten hielt, hatte er die Bälle aufgebohrt und mit Funkzünder und Pulver ausgestopft. Jeder Einzelne von ihnen war eine Mini-Bombe. Und die jagte Wimille nun mit einem einzigen Tastendruck auf seinem Telefon in die Luft.

      Die Explosionen waren nur klein und verursachten nichts weiter als Rauch, aber davon genug, um den Feueralarm auszulösen und die automatischen Schutzeinrichtungen zu aktivieren.

      Überall auf dem Schiff schlossen sich die Feuerschotts, riegelten Deck für Deck, Sektion für Sektion ab. Auf der Brücke herrschte absolutes Chaos. Niemand bemerkte, wie Wimille leise durch den Hinterausgang verschwand.

      Tom kannte nicht alle Einzelheiten des Plans, aber nun reimte er sich das Gesamtbild zusammen. Natürlich! Wimille musste auch an die Schotts gedacht haben. Vor Erleichterung lachte er auf.

      Vanessas Panik war indes weiter gewachsen. »Ich will nicht sterben«, heulte sie.

      Tom packte sie am Handgelenk und zog sie hinter sich her. Direkt vor ihnen öffnete sich eine Feuerschutzwand und ließ sie passieren, um sich hinter ihnen sofort wieder zu schließen. Auf diese Weise kamen sie Sektion für Sektion vorwärts. Niemand begegnete ihnen, denn während sich ihnen wie durch Zauberhand alle Türen öffneten, schlossen sie sich vor dem Personal der Zaltic Asp.

      Selbst Vanessa schien allmählich zu begreifen, dass hier etwas sehr Sonderbares vorging. Verdutzt starrte sie Tom an. »Wie geht das? Was läuft denn hier nur? Tom, das macht mir Angst«, jammerte sie.

      Tom musste dagegen von einem Ohr zum anderen grinsen. »Es ist Wimille. Er kontrolliert die Türen des Schiffs. Ach was! Er ist das Schiff!«, erklärte er und klatschte begeistert in die Hände. Seine bisherigen Zweifel, was das Genie Wimille Swifts betraf, waren wie weggeblasen. Allerdings stand immer noch nicht fest, wie sie von Bord entkommen sollten. Inzwischen musste sich die Zaltic Asp auf dem Meer befinden. Vielleicht gelang es ihnen, ein Beiboot zu kapern. Dazu mussten sie das Deck erreichen.

      Der Fluchtweg führte sie jedoch nicht nach oben, sondern immer tiefer nach unten in die Eingeweide des gewaltigen Containerschiffs. Die letzte Tür, die sich ihnen öffnete, führte in einen riesigen Frachtraum, eine leere, kalte Halle aus Stahl. Nur ein paar Neonröhren an den Wänden spendeten etwas Licht.

      Ganz leer war der Frachtraum jedoch nicht, wie Tom schnell herausfand. In den Boden war ein mehr als zehn Meter großer, ringförmiger Apparat eingelassen. Soweit er das im Halbdunkel erkennen konnte, bestand das Gerät aus zwölf komplex aussehenden Maschinenteilen, alle mit dicken Kabeln verbunden. Ein sonores Brummen verriet, dass der Apparat in Betrieb war, und an allen zwölf Modulen blinkten kleine Bereitschaftsdioden. Das ganze Ding sah aus wie die Miniaturversion eines Teilchenbeschleunigers. Vorsichtig näherte er sich der Maschine. Alte Erinnerungen wurden wach, Erinnerungen an eines seiner ersten Abenteuer mit Veyron Swift. Oh ja, er hatte einen solchen Apparat durchaus schon einmal gesehen.

      »Was ist das für ein Teil?«, fragte Vanessa eingeschüchtert. Nach all der Aufregung und der Angst musste ihr diese Maschine regelrecht gespenstisch vorkommen. Tom konnte es ihr nicht verdenken. Ihm ging es ganz genauso.

      »Das, Verehrteste, ist der Weg, den Ihr Mr. Fraud genommen hat«, erklang die helle Stimme von Wimille Swift hinter ihnen. Vanessa fuhr mit einem Schrei zusammen, während Tom vor Schreck einen Satz nach vorn machte. Veyrons Bruder hatte sie offenbar bereits erwartet und trat nun aus den Schatten des Frachtraums.

      »Es ist ein künstliches Durchgangstor«, verdeutliche Tom Wimilles kryptische Worte.

      Vanessa schien das jedoch nicht viel weiter zu helfen. »Ein Tor? Wohin?«

      »Nach Elderwelt. Der Ort, wo Ernie hingeschickt wurde.«

      Vanessa bedachte Tom mit einem Blick, als habe er den Verstand verloren. »Nie gehört. Wo soll denn Elderwelt sein? Ist das in der Nähe von Irland oder der Arktis?«

      »Nein, ganz woanders.«

      Sie zuckte mit den Schultern. »Geografie hat mich nie interessiert. Also, wo liegt jetzt dieses Elderwelt?«

      »Da gibt’s ’ne Menge, das dich nicht interessiert, Vanny«, meinte Tom sarkastisch. Trotz der ernsten Lage konnte er sich diesen fiesen Seitenhieb einfach nicht verkneifen. Dann deutete er auf die Umgebung. »Elderwelt ist hier, mitten unter uns. Unsichtbar und durch nichts aufzuspüren, mit Magie vor unseren Augen verborgen.«

      »Oder anders ausgedrückt, quantenverschoben«, ergänzte Wimille mit wissenschaftlicher Genauigkeit und brummelte in abfälligem Ton: »Magie … so ein Unfug.«

      Er trat vor und schubste Vanessa und Tom in das Zentrum des Rings, bevor er selbst sich hineinbegab. Dann zückte er sein Smartphone und tippte darauf herum. »Es ist Zeit, von diesem Schiff zu verschwinden. Die Batterien des Ohr-Mikros sind erschöpft, und den Schwindel mit den Rauchbomben wird man inzwischen entdeckt haben. Wahrscheinlich überprüfen sie gerade meine ID-Karte. Auch da wird der Schwindel früher oder später auffliegen«, erklärte Wimille. »Bereit für eine Reise nach Elderwelt?«

      Tom nickte, doch im nächsten Moment kam ihm ein besorgniserregender Gedanke. »Wir haben keine Ahnung, wo wir landen, oder?«

      »Nicht wirklich. Aber die Wahrscheinlichkeit dürfte sehr hoch sein, dass es sich um eine Einrichtung der Schwarzen Horde handelt«, meinte Wimille. »Ich habe die Einstellungen der letzten Aktivierung übernommen, folglich müssen wir am selben Ort herauskommen wie der junge Mr. Fraud. Aber ich sollte euch beide warnen: Ich habe den Zugriff auf die Software dieser Maschine blockiert. Sobald ich sie aktiviere, kann sie mindestens zweihundert Stunden danach nicht mehr benutzt werden. Eventuell sogar länger, das hängt ganz von den IT-Spezialisten ab, welche die ZTC auf dieses Schiff schickt«, sagte Wimille und musterte sie streng.

      Vanessa hielt ausnahmsweise den Mund, vermutlich, weil sie nicht wusste, was das alles zu bedeuten hatte. Tom zuckte nur mit den Schultern. »Ich will sowieso nicht hierher zurück«, meinte er lapidar.

      Wimille nickte und drückte eine Reihe von Tasten auf seinem Telefon. Gleich darauf wurde das Brummen des künstlichen Durchgangs lauter, die Luft heizte sich auf, es roch nach verbranntem Ozon. Blitze sprangen aus den zwölf Modulen. Dann ein lauter Knall. Tom zuckte zusammen – und fand sich an einem ganz anderen Ort wieder.

      Über ihnen wölbte sich ein nächtlicher Sternenhimmel, und jenseits des ringförmigen Apparats setzte sich die Welt in Form einer kargen Steppe fort. In der Ferne ließen sich die spärlichen Lichter einer fremden Stadt ausmachen.

      Tom sah, wie Vanessa vor Staunen die Kinnlade nach unten sackte. Unweigerlich musste er lächeln. Für sie war das alles neu und musste einem Wunder gleichen.

      »Wo sind wir? Ist das alles wirklich wahr?«, fragte sie verunsichert.

      Das war eine gute Frage. So friedlich die ferne Stadt auch wirkte, umso unfreundlicher zeigte sich die unmittelbare Umgebung. Ein tiefes, metallisches Stampfen lag in der Luft; irgendwo lief ein gewaltiger Motor. Hinter ihrem Rücken erhob sich ein hässliches, schwarzes Gebäude. Mehr als fünfzig Meter in alle Richtungen maß es, und nahezu zehn Meter in der Höhe. Vier riesige Schornsteine reckten sich dem nächtlichen Himmel entgegen, stießen schwarze Rauchschwaden aus, die den ganzen südlichen Teil des Himmels bedeckten. Tom sog scharf die Luft ein. Es stank überall nach verbranntem Benzin.

      »Ist das eine Fabrik?«, wollte Vanessa wissen.

      Wimille