als die, dass die Erhebung Ravenna's zur Residenz des westlichen Reiches vom Neuen die erschlaffenden Kräfte anspornte und so nochmals ein zeitweiliges Aufflackern der bereits im Erlöschen begriffenen Fackel der Kunst herbeiführte. Ravenna wurde auf diese Weise eine der wichtigsten Stationen, auf welchen die alte Kunst auf ihrem Zuge nach Norden Halt machte, nochmals einen Blick zurückwarf und sich zur Weiterreise sammelte. Wesentlich trug hiezu die grosse Menge von Elfenbein-Diptychen bei, welche der jeweilige Consul bei seinem feierlichen Amtsantritte an die Glieder des kaiserlichen Hauses, an die Behörden, an Freunde und Gönner verschenken musste und die er ohne Zweifel in der Residenzstadt herstellen liess.
Wenn demnach Ravenna als Mittelpunkt des abendländischen Kunstschaffens seit dem Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr. anzusehen ist, dann müssen alle Werke, welche in Geist und Stil mit den vorhin genannten Verwandtschaft zeigen, in Beziehung zu dieser Kunstschule gebracht werden. An erster Stelle wäre hier die berühmte Elfenbeinpyxis im Berliner Museum (Schaaase, Geschichte der bildenden Künste. 2. Aufl. Bd. III. S. 95 ff. - Kunsthistorische Bilderbogen. Leipzig, E. A. Seemann Nr. 42.) zu nennen, welche Carl Schnaase dem 3. Jahrhundert zuzuschreiben geneigt ist. Allein trotz der Schönheit der Komposition und der lebensvollen Bewegtheit der Gestalten ist dieselbe sicher doch nicht früher als das 5. Jahrhundert, wie Einzelheiten des Reliefs, Unkorrektheiten in der Zeichnung, Missverhältnisse in den Proportionen der Figuren, die etwas zu gross gerathenen Hände und Füsse und Anderes dergl. zur Genüge darthun. Dagegen zeigt ein einziger Blick auf die dargestellten Scenen, dass der betreffende Künstler sich an den früheren Werken der Kunst inspirirt hat, ja man möchte beinahe behaupten, dass er in seinem, die Apostel lehrenden jugendlichen Christus direkt den Stadtvikar Rufius Probianus auf dem obgedachten Diptychon kopirt hat. Auch die treffliche, wohl ebenfalls dem Anfang des 5. Jahrhunderts angehörige Elfenbeintafel in der Bibliothek zu Brescia, (W. Lübke, Grundriss der Kunstgeschichte. g. Aufl. S. 266.) auf welcher der Tod des Ananias und der Saphira dargestellt ist, setzt ein eingehendes Studium früherer Werke von Seite des betreffenden Schnitzers voraus.
Eine ähnliche Wahrnehmung lässt sich an einer Reihe anderer Elfenbeintafeln machen, unter ihnen namentlich auch an jener des Bayerischen Nationalmuseums, von welcher unsere Betrachtung ausging. Sie ist ungefähr gleichzeitig mit dem Diptychon Kaiser Valentinian's III., stammt also aus der Zeit um 430 n. Chr. und zeigt uns in der Nachbildung der Grabkapelle zu Jerusalem, wenn sonst Professor Messmer Recht hat, dass man damals die Werke der früheren Zeit, plastische wie architektonische, geflissentlich zu studiren und an ihnen sich zu begeistern pflegte.
Die gleiche Beobachtung können wir an einer Elfenbeintafel zu Brescia machen, von welcher Wilh. Meyer (a. a. O. S. 34 ff.) wahrscheinlich gemacht hat, dass sie zwischen 442 - 452 angefertigt wurde. Darauf sieht man eine genaue Nachbildung des Circus mit der Spina und den Meten, mit Statuen, Obelisk und Wasserbehälter. Kurz es besteht kein Zweifel, dass man im Laufe des 5. Jahrhunderts, absichtlich zum Studium der älteren Kunstwerke zurückkehrte und dadurch eine relative Blüthe der Kunst herbeiführte.
Kurze Zeit nachher erstand in Theoderich dem Grossen (gest. 526) ein Mann, welcher diese Richtung thatkräftigst unterstützte. Sein Bestreben, die alten Gebäude zu restauriren, seine direkte Aneiferung zum Studium der Werke des Alterthums legen ein vollgiltiges Zeugniss dafür ab, dass die einsichtsvollen Kreise damals das Heil der Kunst lediglich in der Anlehnung an die Antike erkannten. Diese Anlehnung ermöglichte noch Werke, wie die Elfenbeinskulpturen am Predigtstuhle des ravennatischen Erzbischofs Maximianus (546 - 552) in der Metropolitankirche zu Ravenna (Schnaase, a. a. O. Bd. III S. 219 ff. - J. O. Westwood, A descriptive Catalogne of the fictile ivories in the South Kensington Museum p. 31. 357.), obgleich an diesen schon eine leichte Dosis byzantinischen Einflusses bemerkbar ist.
Zeigt sich in diesen, unter antikem und byzantinischem Einflusse stehenden Arbeiten eine gewisse Selbständigkeit der betreffenden Künstler, so existiren andere, welche uns direkte Nachbildungen älterer Werke auch noch im 6. und 7. Jahrhundert vor Augen führen. Dahin gehören namentlich jene frühmittelalterlichen Diptychen, welche häufig geradezu Kopien römischer Vorbilder sind. Das wichtigste Denkmal dieser Art ist ein im Domschatz zu Monza aufbewahrtes Diptychon, welches auf der einen Tafel den König David, auf der anderen den hl. Gregor dargestellt zeigt. Beide Gestalten sind in Tracht und Attributen vollständig wie die Consuln gehalten, so dass manche Gelehrte zu der Ansicht kamen, dieselben seien ursprünglich wirkliche Consuln gewesen, welche erst später getauft und mit der Tonsur ausgezeichnet worden seien, eine Ansicht, welche indess von Wilh. Meyer gründlich widerlegt worden ist. (a. a. O. S. 76. Nr. 37.)
Genau dieselbe Erscheinung finden wir in den Miniaturen, wie Anton Springer an verschiedenen Beispielen schlagend gezeigt hat. (Anton Springer, die Psalter- IIlustrationen im frühen Mittelalter mit besonderer Rücksicht auf den Utrechtpsalter. Ein Beitrag zu Geschichte der Miniaturmalerei. (Des VIII. Bandes der philologisch- historischen Klasse der königl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften Nr. II.) Leipzig, S. Hirzel 1880.) Ich will nur eines. herausgreifen, den Sänger David mit seinen Chören im Canterbury-Psalter vom Jahre 700. „Dieses Bild“, sagt Springer, (a. a. O. S. 207.) „ist keine angelsächsische Erfindung, auch in der Technik, in der Anwendung der Deckfarben, in der Schattirung, durch tiefere Lokaltöne von der heimischen Übung abweichend. Dem Künstler lag ein älteres Malerwerk vor, welches er ziemlich schwerfällig nachahmte.“ Er erhielt somit die antiken Elemente allerdings nur in der bereits erstarrten und vielfach umstellten Umprägung, welche dieselbe in der altchristlichen Zeit erfahren hatten; immerhin aber ist das. Streben, ältere Werke zu Vorbildern zu nehmen, zur Genüge erwiesen.
Dass sodann in der karolingischen Zeit neben dem byzantinischen Einflusse auch ein italienischer, welcher von der Antike getragen wurde, sich geltend machte, ist selbstverständlich, wenn derselbe auch nicht mehr in der früheren Stärke vorhanden war. Ja, Anton Springer hat gezeigt (Die Quellen der Kunstdarstellungen S. 7.), dass es eben die karolingische Zeit war, welche die Vermittlerrolle spielte zwischen der altchristlichen Kunst und jener des 10. und der folgenden Jahrhunderte. Der genannte Gelehrte hat auch die Annahme eines byzantinischen Einflusses auf die Kunst des karolingischen Zeitalters, wenigstens soweit es die Miniaturen betrifft, auf ihr wahres Mass zurückgeführt (Die Psalter-Illustrationen etc.) und bewiesen, dass die „Verwandtschaft, die zwischen der byzantinischen Kunst und der früh-romanischen beobachtet wurde, vorwiegend auf dem Umstande beruht, dass da und dort gleichmässig die ältere (altitalienisch-römische) Kunst die unmittelbare Vorlage abgab und das mangelnde selbständige Naturstudium ersetzte.“ (Die Quellen der Kunstdarstellungen S. 7. ff) In den Miniaturen jener Zeit trifft man häufig Anklänge an die antik-römische Kunst. Ich meine nicht die Personifikationen der Sonne und des Mondes, der Winde, Flüsse u. s. w., auch nicht die Darstellungen des Cerberus, des Hymenäus u, dergl., da die damaligen Künstler hiezu schwerlich bestimmte Vorbilder hatten, sondern durch die Lektüre römischer Dichter oder durch die Predigten angeregt wurden. (Springer, die Psalterillustrationen, S. 203 ff). Der Einfluss des Alterthums, welcher sich hierin kundgibt, war nur ein rein stofflicher; formell dagegen wird er in gewissen Nachbildungen antiker Bauformen. Sehr interessant ist in dieser Beziehung der Rundtempel und die offene Giebelhalle in der Illustration des ersten Psalmes des um die Mitte des 9. Jahrhunderts entstandenen Utrechtpsalters in der Bibliothek der Universität zu Utrecht. (Springer a. a. O. S. 193. 203. 229.) An diesen beiden Bauten erscheinen nämlich Säulen mit Blätterkapitälen geschmückt, welche an die korinthische Weise erinnern; ja an den Säulen der Giebelhalle erscheint die attische Basis deutlich nachgebildet, so zwar, dass die Annahme gerechtfertigt ist, das Auge des Künstlers sei von einem realen Bauwerk gelenkt worden. Vielleicht war es eine Elfenbeinschnitzerei, welche ihm als Muster gedient hat. Hat er doch auch für die Illustration des XV. Psalmes getreu das Grabmal verwerthet, welches auf der bereits besprochenen Elfenbeintafel im Bayerischen Nationalmuseum zu sehen ist. Endlich setzt auch die Zeichnung eines Aquäducts in der Illustration des XXV. Psalmes die Kenntniss einer wirklichen römischen Wasserleitung voraus. Aber nicht blos im Bezug auf die Architektur, auch hinsichtlich der Plastik begegnet uns hin und wieder ein unmittelbarer Einfluss des antiken Formensinnes. So sehen wir in der Illustration des XXIV. Psalmes des Utrechtpsalters eine weibliche Gestalt von entschieden antikem Gepräge. „Sie hat den Mantel über den Kopf gezogen, so dass er gleichzeitig als Kopftuch dient, legt die Linke auf den Kopf eines der drei neben ihr stehenden Knaben und hält in der ausgestreckten Rechten eine Rolle. Ein langes, unter dem Busen gegürtetes Gewand