Elke Schwab

Kullmann jagt einen Polizistenmörder


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Reitanlage direkt am Stadtwald mit zwei Reithallen und einem großen Außenplatz. Als Anke vorfuhr, sah sie, dass großer Betrieb auf dem Reitplatz herrschte. Viele Reiter gaben zusammen mit ihren Pferden ein sehr lebendiges Bild ab. Einige Pferde bewegten sich sehr gelassen und zufrieden und erhielten ständig Lob von ihren Reitern. Andere Reiter hingegen wirkten so, als müssten sie ständig gegen ihr Pferd ankämpfen, wodurch Reiter und Pferd äußerst verkrampft aussahen. Ständig nörgelten sie an den Pferden herum, die darauf wiederum nur noch widerspenstiger reagierten, was manchmal ausgesprochen lustig wirkte.

      Anke tauchte in eine andere Welt, wenn sie Wiehern hörte und den Duft von Ammoniak roch. Manche lästerten von Gestank, andere sogen diesen Geruch ein und empfanden ihn als eine Wohltat für die Nase. So auch Anke. Sie baute sich hier eine heile Welt auf, in der sie eine Sprache lernte, die meilenweit von dem formalen, trockenen Amtsdeutsch entfernt war, zu dem sie ihr Beruf verpflichtete. Wer wusste schon, was beim Striegeln, Trensen oder Satteln zu tun war, was Schenkelweichen, am Zügel gehen oder in einer Abteilung reiten bedeutete. Das sollte auch so bleiben, und Anke würde sich nie verpflichtet fühlen, diese Dinge einem Außenstehenden zu erläutern. Die vielen neuen Wörter waren wie die geheimen Pforten, die sich früher nur in Märchen für sie geöffnet hatten. Jetzt konnte sie ganz für sich mit diesen Wörtern den Zugang zu ihrem Reiten ermöglichen. Sie befanden sich in ihrem Besitz und waren dort wohl verwahrt. Und sie schafften auch neue Beziehungen zu den anderen Reitern in dem bunten Karussell von Ablehnung und Freundschaft, von Neid und Vertrauen, das sich mit vielen Überraschungen drehte und immer wieder mit neuem Leben füllte. Genau wie im Dienst, kam es ihr in den Sinn, nur mit anderen Vorzeichen. Hier konnte sie sich jederzeit zurückziehen und sich schützen. Ihren Dienst verrichtete sie mit zuversichtlichem Ehrgeiz; hier konnte sie die vielen Vorschriften vergessen.

      Kaum war sie aus ihrem Auto ausgestiegen, wurde sie von einem lustigen kleinen Hund begrüßt, der so begeistert an ihren Beinen hochsprang, als hätte er sie schon lange vermisst. Anke kannte den kleinen schwarz-weiß gescheckten Jack-Russel-Terrier; es war Rambo, einer von Susannes Hunden, der Reitlehrerin.

      Nach dieser wilden Begrüßung ging sie zielstrebig auf die Stallungen zu. Die Fenster der Pferdeboxen waren alle geöffnet, und neugierige Köpfe schauten heraus. Erwartungsvoll rief sie Rondos Namen. Rondo war der Fuchswallach, den sie in den Schulstunden ritt. Das große Pferd reagierte tatsächlich mit einem leisen Brummeln auf ihre Stimme. Glücklich ging sie auf ihn zu und begrüßte ihn mit Leckerli und Möhren, die sie immer bei sich trug, wenn sie zum Stall fuhr. Aufgeregt betrat sie die Stallgasse, um das Pferd aus der Box heraus auf die Anbindestelle vor dem Stall zu führen, als sie erschrocken zurückweichen musste. Peter Biehler, Besitzer zweier großer Turnierpferde, kam mit seinem Schimmelwallach gerade aus der Stallgasse heraus und führte das Pferd rücksichtslos an ihr vorbei, so dass Anke Mühe hatte, sich nicht von dem riesengroßen Pferd auf die Füße treten zu lassen.

      »Kannst du mich nicht vorwarnen?«, rief sie empört, doch Peter tat so, als hörte er nichts. Verärgert schüttelte Anke den Kopf. Sie kannte Peter Biehler zufällig dienstlich, denn er war bei der Verkehrspolizei beschäftigt. Mit dieser Dienststelle kam Anke selten in Berührung, was sie gerade in diesem Moment als großes Glück empfand. »Benimmst du dich auf deiner Dienststelle genauso unverschämt?«, fragte sie, erhielt aber keine Antwort von Peter Biehler.

      »Du kennst doch die Wohlverhaltenspflicht der Polizei, die sich auf unser Verhalten im Privatbereich bezieht? Das betrifft auch dich«, fügte sie noch erboster an, als plötzlich ein Reiter aus der dunklen Stallgasse auf sie zutrat und meinte: »Stör dich nicht daran, Peter ist unverbesserlich.«

      Erstaunt schaute sie zu ihm hinauf und sah in das sympathische Gesicht eines Mannes, den sie noch nicht kannte. Er hatte hellblonde Haare und so strahlend blaue Augen, dass sie es sogar in der dunklen Stallgasse deutlich erkennen konnte. Sein Lächeln wirkte hypnotisierend auf sie, sodass Anke sofort ihre Wut auf Peter Biehler vergaß.

      »Ich bin Robert.«

      Als Rondo begann, mit den Hufen gegen die Boxenwand zu schlagen, ging Anke zu ihm in die Box, zog ihm das Halfter über den Kopf und führte ihn damit aus der Stallgasse zum Anbindeplatz, der in der wärmenden Frühlingssonne lag.

      »Ich habe dir schon einige Male beim Reiten zugesehen und erkannt, dass du Talent hast«, folgte Robert ihr. Anke fühlte sich sehr geschmeichelt. Außerdem gefiel ihr Robert. Sein Lachen wirkte so ansteckend und seine ruhige Stimme so aufrichtig. Sie hegte keinen Zweifel an seinen Worten.

      Als sie Rondo auf den Reitplatz führte, spürte sie großes Unbehagen, das sich auch sofort auf den sonst so ruhigen Wallach übertrug. Immerhin war es das erste Mal, dass sie draußen reiten sollte. Dort fehlte ihr einfach der vermeintliche Schutz der Halle, der ihr das Gefühl gab, dass das Pferd nicht weit laufen konnte. Aber hier auf dem Reitplatz, der von keiner Seite abgesperrt war, sah alles ganz anders aus. Wenn ihr hier das Pferd einfach durchgehen sollte, konnte es mit ihr hinlaufen, wohin es wollte, falls sie nicht schon vorher auf den harten Boden gefallen wäre. Den ganzen Tag hatte sie sich unbändig auf die erste Stunde im Freien gefreut, doch als sie sah, wie rücksichtslos Peter Biehler über den Platz galoppierte, ahnte sie, dass es eine schwere Herausforderung für sie werden würde, unter diesen Bedingungen auf dem Reitplatz zu reiten.

      Sie stieg in den Sattel.

      Wie ein Wilder jagte Peter Biehler seinen Schimmel über den großen Reitplatz, als gäbe es keine Bahnregeln. Einige Hindernisse standen auf dem Platz, über die er sprang, ohne vorher darauf aufmerksam zu machen. Er zwang die übrigen Reiter selbst zu erahnen, was er als nächstes vorhätte, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Am Rand des Reitplatzes stand Peters Frau Sybille. Ihre strohblonden, dauergewellten Haare schimmerten grell in der Sonne und ständig feuerte sie ihren Mann mit schrillen Rufen an. Als Anke in ihre Nähe kam, hörte sie: »Toll, mein Schatz. Das hast du wunderbar gemacht.«

      Das Einzige, was Anke von Peter Biehler wahrnahm, war, dass er Helmut Keller, einem Turnierreiter, in die Quere geritten war, so dass dieser sein Pferd hastig herumreißen musste, um nicht mit Peters Schimmel zusammenzustoßen. Helmut Keller fiel Anke gelegentlich auf, wie er gekonnt seine Pferde trainierte. Seine reiterlichen Fähigkeiten waren in ihren Augen bewundernswert. Insgeheim wünschte Anke sich, wie Helmut Keller auf dem Pferd sitzen zu können. Gerne schaute sie ihm beim Reiten zu, weil sie glaubte, allein vom Zugucken eine Menge von ihm lernen zu können.

      »Du Idiot!«, schrie Helmut Keller wütend, womit er Anke ganz unsanft aus ihren Gedanken riss. »Auf dem Außenplatz gelten dieselben Bahnregeln wie in der Halle. Aber wahrscheinlich kennst du die noch gar nicht.«

      Peter Biehler lachte nur gehässig und galoppierte gerade zum Trotz noch einmal besonders dicht an Helmut Kellers Pferd vorbei.

      »Du kannst wohl nicht anders: immer nur Scheiße bauen und anderen in die Quere reiten?«

      »Das musst du gerade sagen. Wer hat denn hier die große Scheiße gebaut?«, lachte Peter Biehler so zynisch, dass es Anke eiskalt den Rücken herunter lief. Boshaftigkeit schwang in seinem Tonfall mit.

      »Glaub nicht, dass du mir drohen kannst«, erwiderte Helmut Keller nicht weniger feindselig, doch Peter Biehler lachte nur überheblich, erwiderte nichts mehr.

      Vorsichtig ritt Anke im Schritt ganz am Rand des Platzes entlang, um sich von diesen beiden Streithähnen fernzuhalten. Aber schon nach kurzer Zeit rief die Reitlehrerin Anke zu sich und meinte, dass sie sich der Abteilung anschließen sollte, weil sie ihre Reitschüler nicht korrigieren könnte, wenn sie alle durcheinander ritten. Anke nickte und ritt los.

      Völlig konzentriert begann Anke mit den Übungen, die die Reitlehrerin ihr auftrug. Die Rittigkeit des Pferdes zu erlangen, war das Grundprinzip des Reitens, was nur durch gymnastizierende Übungen, wie Schenkelweichen oder Tempowechsel zu erreichen war. Anke spürte, dass ihre Arbeit Erfolg hatte, weil Rondos verkrampfter Rücken sich entspannte. Er begann zufrieden an seinem Gebiss zu kauen, das direkt mit den Zügeln verbunden war, die Anke in beiden Händen hielt und mit denen sie ihre Paraden gab, von denen die Reitlehrerin immer wieder sprach.

      Doch plötzlich sah sie ganz dicht vor ihrem Pferd den großen Schimmel von Peter Biehler, der gerade im Begriff war, das Hindernis anzureiten, das in