Torsten Stau

Methoden der projektorientierten Risikoanalyse


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allzusehr vorzugreifen läßt sich sagen, daß diese Verfahren in der Praxis so gut wie nicht angewendet werden. Ein Hauptgrund für die mangelnde Akzeptanz ist, daß die Modelle sehr komplex und schwierig sind und die Ergebnisse für den Projektmanager meist schwer nachvollziehbar sind. Diesen Sachverhalt hat Little [3] in folgendem vielzitierten Satz treffend formuliert: "Ein Manager lebt lieber mit ungelösten Problemen als mit Modellen, die er nicht versteht."

      Die Menge der vorhandenen Literatur auf diesem Gebiet ist dementsprechend sehr hoch, wobei allerdings einige Einschränkungen zu machen sind:

       Viele Verfahren bauen auf denselben Grundlagen auf, beispielsweise auf älteren Verfahren wie PERT.

       In den letzten Jahren hat sich auf diesem Gebiet nicht mehr viel getan.

       Der Schwerpunkt der Forschung und Entwicklung und damit auch der Veröffentlichung liegt eindeutig in den USA, wobei meistens das Verteidigungsministerium (DoD) der Auftraggeber ist, was sich behindernd auf die Beschaffung von Literatur auswirkt.

       Die meisten Veröffentlichungen stammen von den Firmen, von denen die Verfahren entwickelt wurden, so dass keine allzu kritische Betrachtung erwartet werden darf, da die Unternehmen ihre Verfahren schließlich verkaufen wollen.

       Vergleichende Übersichten über verschiedene vorhandene Verfahren gibt es praktisch überhaupt nicht.

      Die vorliegende Arbeit soll versuchen, eine solche Übersicht zu geben und die bisher entwickelten Verfahren mit ihren charakteristischen Merkmalen, Voraussetzungen, ihren Vorteilen und Nachteilen vorstellen. Dabei sollen die für den Projektmanager wichtigen Fragen beantwortet werden, z.B. wann und für welche Projekte kann ein Verfahren eingesetzt werden, oder welche Projektziele werden modelliert?

      Im dritten Abschnitt werden die Top-down-Verfahren behandelt. Diese Verfahren werden hauptsächlich bereits in der Vorauftragsphase angewendet, d. h. die Projektstruktur muss nicht bis in alle Einzelheiten bekannt sein. Die Verfahren kommen also unter Umständen schon zur Anwendung, bevor eine Entscheidung über die Durchführung eines Projekts gefallen ist. Da diese Verfahren immer größere Bedeutung erlangen, bildet dieser Teil den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit.

      Leider gibt es zur Zeit noch sehr wenige fertige Top-down-Verfahren und entsprechend wenig brauchbare Literatur, weshalb hauptsächlich Ideen, Konzepte und Hilfsmittel vorgestellt werden. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass sich in naher Zukunft auf diesem Gebiet einiges bewegen wird.

      Bei der Überarbeitung der ersten Auflage aus dem Jahr 1990 habe ich aus Gründen der Authentizität die alte Rechtschreibregelung teilweise beibehalten.

      Hamburg, im September 2000

      Torsten Stau

      Bei den erneuten Überarbeitungen wurde die Rechtschreibung weitgehend angepasst. Das Thema Genderpolitik gab es damals noch nicht bzw. stand damals noch nicht so im Fokus wie heute. Deswegen kann es sein, dass einige Textstellen damit nicht konformgehen.

      Koblenz, im Juli 2021

      Torsten Stau

      aktuelle Adresse:

      Torsten Stau

      Im Eulenhorst 15

      56072 Koblenz

      [email protected]

      Teil I

      Projektorientierte Risikoanalyse

      1. Einleitung

      In der heutigen Zeit nimmt die Größe und Komplexität menschlicher Organisationen immer mehr zu. Eine solche Entwicklung ist in gleicher Weise bei Unternehmungen, öffentlichen Betrieben, Behörden und im Verteidigungsapparat festzustellen. Im Zuge wachsender Komplexität wird es für die Leitungen solcher Organisationen zunehmend schwieriger, Ziele zu erkennen, festzulegen und kontrolliert zu erreichen.

      Zur Realisierung der Projektziele stehen zahlreiche verschiedene Techniken des Projektmanagements zur Verfügung. Dazu gehört das Management der Risiken, die mit jedem Projekt verbunden sind. Den Methoden und Verfahren zur Analyse dieser Risiken sowie den darauf aufbauenden Projektentscheidungen kommt also immer größere Bedeutung für die erfolgreiche Durchführung von Projekten zu.

      An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich davor warnen, den im folgenden verwendeten Begriff Risikomanagement von Projekten mit dem Oberbegriff Projektmanagement zu verwechseln! Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit dem Risikomanagement, insbesondere der Risikoanalyse, die ein wichtiger Bestandteil des Risikomanagements ist und dazu dient, Risiken zu identifizieren und zu bewerten. Die Ergebnisse der Risikoanalyse sind eine Grundlage für Entscheidungen im Rahmen des Risikomanagements.

      Bevor ein Überblick über das Problem des Risikomanagements von Projekten gegeben werden kann, sollten die am häufigsten verwendeten Begriffe definiert werden. Das ist besonders deshalb notwendig, weil die Terminologie in der Fachliteratur in diesem Bereich nicht immer eindeutig ist. Begriffe wie Risiko, Ungewissheit und die damit verbundenen Aspekte bei der Durchführung eines Projekts werden in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt und mit voneinander abweichenden Bedeutungen belegt.

      Die Bereiche Risikomanagement und Risikoanalyse werden anschließend ausführlich behandelt. In einem weiteren Kapitel wird versucht, ein Raster zu entwerfen, nach dem vorhandene Modelle und Verfahren zur Risikoanalyse klassifiziert und bewertet werden können.

      2. Definitionen

      Da wie bereits erwähnt die Terminologie in der Fachliteratur nicht immer eindeutig ist, werden zunächst die im Folgenden ständig verwendeten Begriffe definiert, bevor auf Risikomanagement und Risikoanalyse näher eingegangen wird, wobei ich mich weitgehend an die von Charette [4] verwendete Terminologie halte. Da die Fachliteratur überwiegend in den USA erschienen ist, halte ich es für ratsam, jeweils auch die englischen Fachbegriffe zu nennen.

      2.1. Ungewißheit / Unsicherheit

      Ganz allgemein lässt sich Ungewissheit oder Unsicherheit (uncertainty) folgendermaßen definieren:

Grafik 1

      Die Ungewissheit kann sich dabei auf vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Ereignisse und Bedingungen erstrecken. Besondere Bedeutung kommt dabei den Aussagen über zukünftige Ereignisse oder Zustände zu, d.h. den Prognosen. Nach Brockhoff [5] ist eine Prognose (forecast) eine "Aussage über ein oder mehrere zukünftige Ereignisse, die auf Beobachtungen und einer – wenn auch rudimentären – Theorie beruht. Eine unsichere Prognose ist eine Vorhersage, bei der das Eintreffen eines zukünftigen Ereignisses nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit angegeben werden kann."

      Unter Sicherheit (safety) versteht man ein Risiko, das so gering ist, dass es akzeptiert werden kann. Eine Entscheidung hierüber zu fällen, ist Aufgabe des Risikomanagements.

      Je höher der Informationsstand, desto präziser wird im Allgemeinen eine Prognose zutreffen. Ein vollkommener Informationstand bedeutet dabei allerdings nicht, dass der Faktor Ungewissheit völlig eliminiert wird. Da in der (ökonomischen) Umwelt subjektiv nondeterministische Zusammenhänge gelten, ist auch bei Kenntnis aller relevanten Informationen, die für eine Aussage über die Zukunft notwendig sind, eine vollkommene Voraussicht niemals gegeben (vgl. Brockhoff [5]).

      2.2. Risiko

      Der Begriff des Risikos (risk) wird in der Fachliteratur (vgl. z.B. Charette [4], Fürnrohr [1], Rowe [6] oder Whatley [7]) einheitlich wie folgt definiert: