Bridget Sabeth

Am Ende siegt die Wahrheit


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die Tür klopfen sollen, sondern sie herausholen! Dann wäre es nie so weit gekommen!«

      »Das war Schicksal, nicht unser Verschulden. Niemals hätte ich mir ausgemalt, dass eine Verwüstung derart massiv sein könnte.«

      »Tod, Hunger und Armut – ich bin es leid! Endlich habe ich das Gefühl, dass es aufwärtsgeht. Aber du, du …« Sie drückte ihm Schaufel und Harke in die Hand. »Bleib doch so egoistisch, wen kümmert’s?! – Mit der Art, die du an den Tag legst, wirst du ohnehin nie hinter das Geheimnis kommen, weshalb Vater vom Onkel so viel Geld geliehen hat! Falls es überhaupt eines gibt!« Eilig raffte Maria den Rock ihres Kleides hoch. »Und zum Essen kriegst du heute auch nichts, denn mit der braunen Brühe aus dem Rohr ist ein Kochen unmöglich!« Sie stürmte davon.

      »Maria, Maria!« Andreas machte ein paar Schritte hinterher. Doch so impulsiv, wie sie grad war, war es sinnvoller, ihre Emotionen abkühlen zu lassen. Braune Brühe aus dem Rohr?! Er hatte sich schon gewundert, was sie mit dem Werkzeug wollte. Besser er schaute gleich nach, was es mit der Quelle auf sich hatte, das würde seine Schwester sicher besänftigen.

      Maria drehte sich nicht mehr um, sondern hastete ins neuerrichtete Haus. Laut knallend warf sie ihre Zimmertür zu. Zornig zog sie die Halbschuhe von den Füßen, schleuderte diese nacheinander auf den Boden, einer prallte ab, über den Tisch hinaus an die Zimmerwand. Noch im Flug entwich ihr ein entsetztes: »Nein!« Es folgte ein Knall und ein Zersplittern.

      Fassungslos starrte sie auf den Spiegel, der ihrer Mutter gehörte und einen Ehrenplatz neben der Kommode gefunden hatte. Zersprungen lag er in lauter Scherben am Boden. »Nein! Sieben Jahre Unglück!« Oder waren es sieben Monate? Sie hockte sich nieder, schichtete die größeren Bruchstücke aufeinander. Es war ihr, als lägen dort Tausende Splitter ihrer Seele verstreut. Hab ich damit den bösen Geistern ein Tor geöffnet?

      Sie langte nach dem Rahmen. An der Hinterseite war Pappe zum Schutz befestigt, die sich gelockert hatte. Ein Papier schaute heraus. Maria entfernte den Karton, ein Kuvert fiel auf die Dielen. Was hatte das zu bedeuten?

      Maria entfaltete den Papierbogen. Die Handschrift war ihr nicht bekannt, der Brief klar an ihre Mutter gerichtet, datiert November 1946. Unterzeichnet mit Karl! Welcher Karl? Maria setzte sich auf das Bett und begann zu lesen:

       Liebste Margarethe,

       ich bin verwirrt. Dein Zauber hält mich eng umschlungen. Bitte sag, dass es nicht wahr ist, dass Du alles wegwerfen willst! Du hast etwas Besseres als Adams Jähzorn verdient! Ja, ich weiß, wir sind gefangen in unseren Beziehungen. Noch. Ich werde reinen Tisch machen, wenn Du es möchtest.

       Es wird ein Schock für Agnes und Adam sein, und auch für die Kinder, jene, die den Krieg heil überstanden haben. Denkst Du nicht, Markus, Andreas und Maria könnten es verstehen? Oder hast Du Sorge, um Adams angeschlagenes Herz? Das würde Dir ähnlichsehen, Du opferst Dich für diesen Kerl auf, seit Jahren, obwohl er nie ein gutes Wort für Dich oder die Kinder übrighat.

      Maria ließ kurz das Blatt sinken. Markus! Agnes hieß die Mutter, Kurt sein Vater! Sein Vater hatte ihrer Mutter geschrieben! Rasch las sie weiter.

       Wie lange willst Du noch dieses grausame Spiel mitspielen? So gerne hätte ich Dich schon früher an meiner Seite gehabt, damals ist es an meinen Eltern gescheitert, die von Dir keine Mitgift erhoffen konnten. Da hab ich Agnes genommen, und Du diesen Holzklotz Adam. Fleißig waren beide, da gab es nichts zu meckern. Agnes hat der Tod unserer älteren Söhne zugesetzt, ich denke, ihre Kälte steht der Deines Mannes um nichts nach. Deswegen frag ich mich, ob das alles von unserem Leben gewesen sein soll: Arbeit, Krieg, Armut, Hunger, Einsamkeit … Mit vielem hatte ich mich abgefunden, bis vor einem Jahr der gemeinsame Nachhauseweg nach der Kirche mir gezeigt hat, welches Juwel in der Nachbarschaft wohnt. Noch immer! Meine Zuneigung zu Dir ist mit voller Wucht aufgebrochen. Auch in Dir, sonst hättest Du unseren heimlichen Treffen nie zugestimmt.

       Alle Besitztümer der Welt sind im Vergleich zu Dir bedeutungslos. Jetzt, nach dem Schrecken, im Aufbau unseres Landes, hätten wir womöglich eine letzte Chance dafür, etwas Gemeinsames zu beginnen. Wenn es sein muss, ganz woanders. Was hindert uns? Wie viel sollen wir noch entbehren? Wir haben den Krieg überstanden! Ein bisschen Herzenswärme in dieser kalten Zeit! Wie sehr Du Dich danach sehnst, hast Du mir in Deinen schwachen Stunden gestanden. Wir sind keine gutgläubigen Grünschnäbel mehr. Ich bitte Dich, fass auch Du Mut, steh zu uns und zu unserer Liebe!

       Lass Dich nicht von diesem Briten irritieren! Warum sollte Walter, oder wie er heißt, es an Adam weitertragen, dass er uns gesehen hat? Er ist nicht hier, um sich in Beziehungen einzumischen!

       Ich kann mich nicht so geirrt haben. Ich will nicht, dass unsere Küsse und die Nähe gestohlene Momente bleiben. Und doch fühle ich mich schlecht, weil ich Dich bedränge. Ich möchte Dich lieben, so wie es uns über Jahre verwehrt geblieben war.

       Bitte, denk darüber nach.

       In tiefer liebevoller Verbundenheit

       Dein Karl

      Maria legte das Blatt auf ihren Schoß. Karl und Mutter! In Gedanken erwachte Margarethe mit dem grauen Haar, dem verkniffenen Mund. Marias Herz klopfte hart in der Brust. Und Walter hatte sie gemeinsam gesehen! Der Walter, der ihr nachstieg? Sie blinzelte zu dem Datum. Nur zwei Monate, nachdem der Brief verfasst worden war, wurde das Forcher-Haus ein Raub der Flammen. Wusste Vater von der Affäre? Kam daher die plötzliche Aversion gegen Markus? – Ja, so musste es sein! Er wollte wohl nicht auch noch sein Mädchen an einen Forcher verlieren! – Und Walter? Durfte sie wegen des Briten nicht alleine heimgehen und kaum den Hof verlassen? Den protzigen Wagen fuhr Walter auch erst nach dem Brand! Ein sonderbarer bitterer Geschmack breitete sich in Marias Mund aus.

      Was ist, wenn Vater das Feuer gelegt hat? Ihr Herz schien einen Moment auszusetzen.

      ANNÄHERUNGEN?

      Andreas strich sich den Schweiß von der Stirn. Endlich war er fertig. Die nachrutschende Erde hatte er weggeschaufelt, mit flachen Steinen eine Art Wanne gemacht, so konnte das Wasser ungehindert in das vorgesehene Rohr fließen. Dicke Holzpfosten, mit denen er alles abgedeckt hatte, sperrten weiteren Schmutz oder Laub aus.

      »Das wird Maria freuen.« Er griff nach dem Spaten, und wählte den Weg heim. Er hatte Gewissensbisse, weil sie häufig aneinandergerieten. Maria konnte am wenigsten dafür, dass sich ihre Leben derart verändert hatten. Er verstand ihren Wunsch nach Ruhe und Frieden. Seine Schwester und Markus waren die einzigen Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Maria war so ernst geworden. Zu erwachsen! Er bemerkte ihren sehnsuchtsvollen Blick, stets dann, wenn er sich zu Markus aufmachte. Bestimmt würde sie gerne mitgehen. Während er sich nichts diktieren ließ, kam sie ihren vermeintlichen Verpflichtungen nach und blieb am Hof, um, wenn nötig, für den Onkel da zu sein. Da machten die Knechte und die Dirn bereits Feierabend im Ort.

      Kurz stellte sich Andreas vor, wie Marias Alltag aussah: putzen, waschen, kochen, Vorräte auffüllen … Sie hatte ihren Beruf als Betreuerin an der Schule geliebt! Was nützte es ihr, dass sie neuere Kleidung trug, wenn sie weniger Freiheiten hatte als zuvor? Sie ließ sich blindlings vom Charme des Onkels einlullen! Ihm ging die Galle über, wenn er daran dachte, wie der sie ausnutzte.

      Andreas stoppte. Er sah vom Waldrand hinunter zu dem neuerrichteten Haus. Daneben befanden sich der Ahornbaum und die Holzbank, die das einstige Unwetter unbeschadet überstanden hatten. Sein Zuhause war ihm fremdgeworden. Ob Vater tatsächlich für Jakobs Suche bezahlt hatte? – Wohl nicht solche Unsummen, die die Schulden am Hof rechtfertigten. Irgendetwas war faul! Andreas wollte herausfinden, welchen unsauberen Geschäften Alfons nachging! Das konnte auch Markus nicht verhindern, der ihn mahnte, dass der Krieg längst vorbei war, und er akzeptieren sollte, dass alle einschneidende Umbrüche erfahren mussten.

      Andreas schüttelte unwillig den Kopf. Alfons hatte etwas an sich, das ihn rasend machte, ohne es genauer benennen zu können. »Mache deinen Feind