Bridget Sabeth

Am Ende siegt die Wahrheit


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der Ältere.«

      »Lächerliche zehn Minuten!«

      »Als ob ich das nicht selbst wüsste!« Er zog eine Fratze. »Du kennst den Grund, weshalb sie so einen Affentanz veranstalten, es geht um deine Sicherheit!«

      »Sicherheit?! Als ob ich mich nicht zu wehren wüsste!« Maria schöpfte nach Atem. »Vor den britischen Soldaten habe ich keine Angst! Dorli geht sogar mit einem zum Tanz!«

      »Deine Freundin Dorli ist ein gutgläubiges Ding. Ich traue keinem Besatzungssoldaten, ganz gleich, aus welcher Nation er stammt!«

      »Das sieht dir ähnlich, stur und voreingenommen. Die Engländer bringen wenigstens Geld ins Land, während die Russen Häuser besetzen und die Siegermacht heraushängen lassen. Und es waren alliierte Truppen, die uns aus dem schrecklichen Krieg befreit haben!«

      »Und was ist mit den Franzosen? Die hast du in deiner Aufzählung vergessen!«

      Maria zischte verstimmt. »Zu denen kann ich nichts sagen. Die meisten sind in Tirol, Vorarlberg und Wien stationiert. Dort habe ich nichts zu schaffen.«

      Andreas musterte die Schwester. Sie war nicht nur klug, sondern eine Schönheit mit den schwarzen Locken, leuchtenden hellgrünen Augen und Rundungen an den richtigen Stellen. Äußerlich war sie zur Frau herangereift, doch in Hinblick, wenn es um Männer ging, wirkte sie für ihn so naiv wie ein Kind. Er traute den Kerlen nicht, die in der Gegend herumschlichen. Besonders dem Briten Walter nicht, der nach jedem hübschen Mädchen schielte! Sogar seinem Freund Markus hatte die Schwester den Kopf verdreht. Der war wenigstens ein Ehrenmann und würde viel besser zu Maria passen! »Was soll das nun bedeuten? Dass alle englischen Soldaten ehrenwert sind? Wohl kaum! Hineinschauen kannst du in keinen, wie er ist! Oder hat ein Brite dich schon um den Finger gewickelt? Wie dieser Walter? Fährt mit dem protzigen Auto umher. Ich frag mich, wie er sich den leisten kann!«

      Maria presste unwillig die Lippen aufeinander, sie massierte sich die verspannten Schultern. Walter wollte ihr erst letztens einen Strauß roter Rosen schenken. Beim Dorfwirt, wo ihre Freundin Dorli arbeitete, hatte er sie abgepasst. Heimlich war er ihr bis zum stillen Örtchen gefolgt. Maria empfand ihn als zu aufdringlich. Noch dazu kamen ihr die Rosen übertrieben und unpassend vor. Dorli kam gerade recht, als sie ihm den Strauß vor die Füße geworfen hatte. Ohne zurückzublicken war sie mit ihrer Freundin in die Stube gegangen. Ob sie ihn zu schroff abgewiesen hatte? Er sollte sich keinesfalls Hoffnungen machen, denn ihr Herz würde er nie entflammen, da war Maria sich sicher. »Was soll ich mit einem Kerl, der kaum Deutsch spricht und ich mit dem bisschen Englisch.«

      »Das klingt nicht wie ein klares Nein!«

      »Glaubst du, ich hätte nicht bemerkt, dass er hinter jedem Rockzipfel her ist! So einen will ich ganz sicher nicht.«

      »Dann hoffe ich, dass das so bleibt.« Es raschelte in der Nähe, ein Eichhörnchen kletterte einem Baumstamm entlang, ehe es aus Andreas’ Sichtfeld entschwand. »Wenn wir doch so frei wie das kleine Nagetier sein könnten«, sinnierte er. »Aber nein, unsere Befreier sind zu Besatzer geworden.«

      »Ach komm, man spürt kaum, dass die Soldaten da sind. Kein Vergleich zum Krieg! Jammern hilft uns nicht weiter. Wir haben überlebt, eine Landwirtschaft und ein Dach über dem Kopf. Was sollen die anderen sagen, die in zerstörten Gebäuden hausen oder in Schuppen leben. Viele stehlen und plündern aus purer Verzweiflung und Hunger. Die benötigen unsere Hilfe.«

      »Plündern, stehlen, und Frauen vergewaltigen, ... So etwas kann ich niemals gutheißen!«, bemerkte Andreas impulsiv. »Es gibt reichlich Arbeit, wenn sie wollen würden, auch bei uns am Hof! Aber dieses Pack klaut, was es kriegen kann! Und denen willst du unter die Arme greifen? Kein Wunder, dass die Eltern dich mit solchen Ansichten nicht allein heimgehen lassen! Hast du vergessen, was mit Zenzi passiert ist? Soll dir dasselbe passieren? Irgendwo läuft der Kerl frei herum. Hockt vielleicht in einem Wirtshaus, trinkt und sucht nach einem neuen Opfer!«

      Maria zuckte zusammen. Gut, dass Andreas bei ihr war! Sie mochte es nicht, wenn die Kerle ihr gierig hinterherglotzten! Ein Bursch hatte Zenzi, der Müllers Tochter, brutal Gewalt angetan. Seit zwei Jahren traute sie sich kaum mehr auf die Straße. Sie besuchte nicht einmal den sonntäglichen Gottesdienst! Gefasst hatte man den Kerl bisher nicht. Manchmal, wenn Maria vor dem Sägewerk auf den Bruder wartete, sah sie das Mädchen bleich durch den angrenzenden Garten huschen, wo es mit den Eltern wohnte. Dass der Vorfall Zenzi gebrochen hatte, war unverkennbar. Maria gruselte es kalt den Rücken runter. Ob der Kerl noch in der Gegend war? Unwahrscheinlich – zumindest gab es keinen weiteren bekannten Fall. »Das mit Zenzi ist unsagbar schlimm, und gleichzeitig ist sie ein Beispiel dafür, dass Menschen unverschuldet in Not kommen können. Ich bin dankbar, dass du an meiner Seite bist und mich beschützt. Es fällt mir allerdings schwer, deine Hilfe anzunehmen. Mir gegenüber gibst du dich gerne hart und kalt. Genauso, wie Vater zu unserer Mutter ist!«

      »Spinnst du? Mich mit dem alten Herrn zu vergleichen? Von seinem Jähzorn bin ich weit entfernt. Bei ihm gibt es bloß raue Töne, während er die Arbeit schleifen lässt, vermehrt zum Most greift und in sich reichlich Essen reinstopft. Bei sich selbst, da kennt er keinen Geiz! Aber ich muss schaffen, im Sägewerk und daheim!« Andreas setzte sich grollend in Bewegung. Wie konnte Maria es wagen, ihm so etwas an den Kopf zu werfen! Zimperlich war er gewiss nicht. Arbeitete wie ein Erwachsener, konnte mit Waffen umgehen, schoss Rehe, Hirsche oder Hasen, und machte die Hausschlachtungen ohne Hilfe des Vaters! Doch jemanden geschlagen, wie es der alte Herr gerne tat, hatte er nie! Andreas konnte sich gut an dessen Hiebe erinnern, ob mit der Hand oder einer Gerte. Erst seit er ihn überragte und stärker war, hielt sich der Vater zurück, obwohl Andreas oft ein gefährliches Glitzern in dessen Augen entdeckte.

      Maria nahm die Tasche seufzend hoch, sie schien ihr schwerer als zuvor. »Du weißt, dass es um Vaters Gesundheit nicht zum Besten steht, und er sich laut dem Arzt schonen muss. Außerdem bist du bei den Arbeiten nicht allein. Mutter melkt die beiden Kühe, ich füttere die Schweine sowie die Hühner, und unser Knecht Georg mistet die Ställe aus. Sei froh, dass das Vieh im Sommer meist auf der Weide ist. Sonst könntest du weniger häufig zu deinem Freund Markus laufen. Die harte Zeit hat bei Vater Spuren hinterlassen, jeder geht anders damit um, das kannst du ihm nicht vorwerfen. Zum Glück wurde er wegen seiner kriegsgewichtigen Tätigkeit nicht eingezogen. Die hohen Abgaben haben Mutter und ihm alles abgefordert. Wenigstens sind die beiden noch da, nicht so wie Jakob, der in den Kampf ziehen musste, und nie mehr heimgekehrt ist!«

      Jakob! Es stach schmerzhaft in Andreas’ Brust als er an den älteren Bruder dachte. Er beschleunigte den Schritt. Wie es sich anfühlt, mit erhobener Waffe einem Menschen gegenüberzustehen, den Finger am Abzug? Er erschauderte. Erst nach dem Kriegsende hatten sie erfahren, dass Jakob im Dienste des Staates gefallen war. Eine Granate hatte sein Leben ausgelöscht. Nach ungewissen Monaten, in der es keine Nachricht von ihm gegeben hatte, wirkte die Mitteilung von seinem Tod beinahe erleichternd. Denn der Gedanke, Jakob könnte in Gefangenschaft sein, oder verletzt dahinvegetieren, war noch unerträglicher. So wurden ihr Bangen und Hoffen von einer schmerzhaften Gewissheit abgelöst. Doch eine schlüssige Erklärung, wo der Bruder über die Zeit abgeblieben war, in der es keine Mitteilung gab, erhielten sie nicht. Andreas sah zurück zu Maria. »Was ist jetzt? Willst du Wurzeln schlagen?«

      Maria verkniff sich eine Entgegnung. Auch sie wollte endlich heim. Wartend klopfte Andreas mit dem rechten Fuß auf den Boden, bis sie aufgeschlossen hatte. »Gib schon her, du keuchst ja wie eine Dampflok!«

      Perplex betrachtete Maria ihn. Unter dem Hemd des Bruders zeichneten sich die harten Muskeln ab. Seine braunen Augen blitzten belustigt. »Mach schon, bevor ich es mir anders überlege.«

      »Auf eigene Gefahr, die Tasche ist schwer. Ich nehme dafür deine.« Maria hängte sich seine um. Das Werkzeug darin wirkte wie das reinste Fliegengewicht. Was für eine Wohltat für ihre Schultern!

      »Mein Gott, hast du Steine eingepackt?«, kam es von Andreas, als er durch die Lederriemen schlüpfte.

      »Nein, Bücher.«

      »Seit wann habt ihr Bücher an der Schule?«

      »Vom Pfarrer Ludwig.« Maria strich sich eine gelockte Strähne