Bridget Sabeth

Am Ende siegt die Wahrheit


Скачать книгу

Zudem stimmte es: Sie hatte Onkel Alfons angestarrt!

      »Hol deinen Teller herüber!«, fauchte Mutter einen Atemzug später. »Oder denkst du, ich bin deine Dienstmagd!«

      »Ja, Mutter.« Maria lief folgsam los. Ich hab nicht verlangt, bedient zu werden! Sie schnappte sich den Teller, kehrte um, bemerkte, dass Vater mit funkelnden Augen auf sie wartete.

      Adams Hände waren zu Fäusten geballt. »Was sehe ich da? Du verschmähst das gute Essen!«

      »Ich, ich …«, stotterte Maria. Da klatschte es auf ihrer Wange. Sie taumelte zurück, der Holzteller fiel auf die Erde, die Essensreste verteilten sich im Dreck. Ihre Hand glitt zur brennenden Wange. Sie starrte mit aufgerissenen tränenschimmernden Augen den Vater an, beachtete das Malheur am Boden nicht. Geschlagen hatte er sie seit Jahren nicht mehr!

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte Adam ab. Margarethe folgte, so als ob es diesen Vorfall nicht gegeben hätte. Maria blieb geschockt stehen. Die Eltern wurden ihr zunehmend fremder, während sich Onkel Alfons benahm, als wäre er ein Freund! Was für eine Not musste dahinterstecken, dass sie die Nerven verloren?

      Sie halten uns nach wie vor für Kinder! Egal, um welches Geschäft es sich handelte, für Vaters Laune war das keineswegs zuträglich! Maria bückte sich. Über das Geselchte hatten sich mittlerweile die Hofkatzen hergemacht. Mit einem dünnen Ast schob sie das übriggebliebene Sauerkraut auf den Teller zurück, um es später an die Schweine zu verfüttern. Mit dem säuerlichen Essensgeruch in der Nase stand sie auf, hielt kurz inne. Sie blickte hoch zu den Wolken, die dabei waren, sich aufzutürmen. Ob es an der schwülen Hitze lag, dass heute alle durchdrehten? Sie hoffte, ein Regen brächte bald Abkühlung!

      Maria hastete in den Flur, sie wollte den Eltern möglichst nicht begegnen. Dabei wäre sie beinahe über zwei große Pakete gestolpert, die mit buntem Papier umwickelt waren. Sind das die Geschenke, von denen Onkel Alfons gesprochen hat? Sie blinzelte ungläubig. Allmählich gewöhnte sie sich an die Dunkelheit im Inneren des Hauses, die hellen Lichtpunkte in den Augen hatten ihr keinen Streich gespielt. Aus der Stube drangen dumpf die aufgebrachten Stimmen ihrer Eltern. Sie stritten, was seit dem letzten Dreivierteljahr häufig vorkam.

      Maria las die Etiketten an den Geschenken, eines war für Andreas, das andere für sie. Was sich wohl in ihrem Paket drinnen befand? Zuvor wollte Maria allerdings rasch die Hühner und die Schweine versorgen, dann bräuchte sie nachher nicht mehr in den Stall.

      Nach getaner Arbeit nahm Maria ihr Paket ächzend hoch. Es war schwer. Über die Treppe gelangte sie in den oberen Stock, wo ihr Zimmer linksseitig lag. Sie platzierte das Präsent auf ihrem Tisch, fuhr über das glatte Papier, das ein florales Muster aufwies. Achtsam löste sie es an den Klebestellen und versuchte, es möglichst nicht zu beschädigen. Danach faltete sie das Einpackpapier fein säuberlich zusammen, strich dabei die Knicke flach. Erst jetzt öffnete Maria die braune Schachtel, hob den Deckel an.

      »Oh!« Es leuchtete ihr ein hellblaues Kleid entgegen. Entzückt nahm sie es hoch, schmiegte den weichen Stoff an ihre Wange. Doch es gab mehr zu entdecken. Maria beförderte neue Schuhe mit Absatz hervor. Am Berg waren die nicht zu gebrauchen, aber ihr Rock würde beim Tanz herrlich damit schwingen! Falls die Eltern sie dorthin gehen ließen! Dazu gab es einen gelben Seidenschal, den sie gleich um den Hals schlang. Ein filigranes Nachthemd ließ ihr die Röte ins Gesicht schießen!

      Markus könnte das gefallen! Sie rang nach Atem. Du verrückte Kuh! Der ist an dir Küken sicher nicht interessiert!

      Zuunterst lag ein schwarzes Köfferchen. Neugierig drückte sie auf die Schließe, die sogleich aufsprang. Vor ihr breitete sich eine Sammlung aus verschiedenfarbigen Lidschatten, Lippenstifte sowie Nagellacke aus. Ich träum bestimmt! Maria zwickte sich sicherheitshalber in den Arm. Der Schmerz war echt! Die wollte sie später ausprobieren!

      Maria schälte sich aus den alten Klamotten, zog das blaue Kleid über, und schlüpfte in die hochhackigen Schuhe, die sich eng an ihre Füße schmiegten. Sie ging kichernd ein paar wackelige Schritte, kam sich wie eine Prinzessin aus einem Märchen vor. Sachte strichen ihre Finger dem seidigen Stoff entlang. Sie drehte sich vor dem Spiegel im Zimmer, der einige blinde Stellen aufwies, ihr dennoch offenbarte, wie hübsch sie im Gewand aussah. An der Taille saß das Kleid etwas zu locker, aber mit einem Gürtel, musste sie es nicht einmal abnähen. Es endete eine Handbreit unter ihren Knien, gewährte einen Blick auf ihre schlanken Fesseln.

      Onkel Alfons hatte auf Anhieb die passende Größe getroffen, wie konnte das sein? Maria fand keine Antwort darauf. Sie schlüpfte aus dem herrlichen Kleid, drapierte es über die Stuhllehne, damit es keine Knitterfalten bekam. Stattdessen zog sie das Nachthemd an. Sie fühlte die sanfte Spitze auf der nackten Haut, als ob sie jemand liebkosen würde. Maria glitt unter die Leinendecke ins Bett. Lächelnd schlief sie ein und träumte davon, wie Markus mit ihr über das Parkett wirbelte – sie in ihren hochhackigen Schuhen und dem seeblauen Kleid!

      EIN DONNERWETTER

      Aufgebrachte Stimmen rissen Maria aus ihrem Traum. Es dauerte eine Weile, bis sie realisierte, dass sie sich in ihrem Zimmer und nicht tanzend im Dorfsaal befand. Sie setzte sich auf, drehte das Licht der Petroleumlampe höher. Regen prasselte gegen die Fensterscheibe. Wie passend, zu ihrer betrübten Stimmung. Sie schielte zu dem Gefäß am Holzboden, in den es im schneller werdenden Rhythmus hineintropfte. Bevor das Wasser überquoll und durch die Holzritzen des Bodens hinuntersickern konnte, musste sie den Topf austauschen.

      »Schon wieder Streit!«, murmelte Maria. Auch wenn sie die genauen Wortlaute nicht verstand, erkannte sie ihre Eltern und Andreas. Seit dem Auftauchen von Onkel Alfons schien die Atmosphäre regelrecht vergiftet. Sie fröstelte, dachte an die ungerechte Behandlung des Vaters. Sie zuckte zusammen, als einen Stock tiefer eine Tür knallte.

      Maria sprang Bruchteile später aus dem Bett, zog einen Rock und einen Pullover über das Nachthemd. Barfüßig trat sie an das Türblatt, lauschte. Sie hörte jemanden nach oben kommen. Andreas! Sie erkannte ihn an seinen vertrauten polternden Schritten.

      »Verdammte Arschlöcher!«, fluchte er im Stiegenhaus und kurze Zeit später fiel dessen Zimmertür krachend ins Schloss.

      Maria wich Richtung Fenster ab. Ein gleißender Blitz zuckte am finsteren Horizont entlang, gefolgt von einem Donner, der sie aufhorchen ließ. Schimpft sogar der Herrgott mit uns? Der gesamte Tag war erfüllt von schwülwarmer Luft gewesen, ein Vorbote dieses Gewitters. So spät in der Nacht, fand sie das Tosen und Rauschen besonders unheimlich. Sie klammerte sich an den Vorhang.

      Der folgende Blitz erhellte den Hof, zeigte dicke Tropfen, die auf den Knecht Georg herab prasselten. Klatschnass humpelte er über den Platz zwischen Haus und dem Stallgebäude, um zu seiner Unterkunft zu gelangen. Bestimmt kam er geradewegs vom Dorfwirt, hatte dort reichlich Alkohol konsumiert! Georg erzählte ihnen stets, er könnte bloß damit die körperlichen Schmerzen lindern! Dabei tat ihm das Saufen gar nicht gut! Litt zu seinem Handicap am schmerzhaften Gliederreißen, was jedes Glas Hochprozentiges eher verschlimmerte als verbesserte. Aber da hatte er kein Einsehen!

      Maria bemerkte, wie Georg gegen die Steinmauer des Stalls torkelte. Er schüttelte sich, schlurfte mit schweren Schritten weiter, bis sie ihn vom Fenster aus nicht mehr sehen konnte.

      Ob Georg eher den inneren Schmerz meinte? Den Tod seiner Schwester Anna hatte er nie verwunden. So schrecklich und banal zugleich! Ein eingetretener Dorn in der Ferse war ihr zum Verhängnis geworden. Sie hatte die Gefahr unterschätzt, schwieg über ihre Verletzung, zeigte ihre Wunde erst, als es bereits zu spät war. Die Behandlung schlug nicht mehr an. Ein Wundstarrkrampf raffte sie dahin. Maria erinnerte sich an Annas verkrampften überstreckten Körper. Um die Magd besser umsorgen zu können, wurde sie bei ihnen in der Stube untergebracht. Jeder Laut hatte Qualen in ihr verursacht. Dazu das verzerrte Gesicht, wie zu einem grausigen dämonischen Lächeln, das der Krankheit geschuldet war. Ihre Augen brachten am Schluss nur mehr ein Blinzeln zustande. Anna litt furchtbar. Bis Georg heimlich in die Stube geschlichen war.

      Maria zitterte, spürte die ausgekühlten Zehen auf den Holzdielen. »Dabei