Mama eigentlich ziemlich in Ordnung. Und Paps auch. Und in den Ferien sind sie immer besonders in Ordnung, weil sie sonst so wenig Zeit für mich haben. Glauben sie! Und um ihr Gewissen zu beruhigen, darf ich im Urlaub meistens bestimmen, was wir machen.
Dagegen habe ich natürlich überhaupt nichts einzuwenden! Eltern, die ein schlechtes Gewissen haben, sind nämlich pflegeleicht. Und gerade in Italien, wo an jeder Ecke eine Kirche oder eine alte Tempelruine rumsteht, die man unbedingt besichtigen muss, da ist ein schlechtes Elterngewissen Gold wert. Oder mindestens Gelato!
Wenn die wüssten, wie froh ich bin, dass bei uns nicht den ganzen Tag jemand zu Hause ist, der nur darauf wartet, mich zu erziehen. Mein bester Freund, Lennart, der kann ein Lied davon singen!
Seine Mutter ist nämlich nicht berufstätig, weil er zwei kleine Schwestern hat. Als ob das nicht schon Strafe genug wäre, steht er noch dazu den ganzen Tag unter Beobachtung. Ätzend!
So, jetzt hole ich mir aber doch eine Tomate. Giovanni hat gestern Abend ausdrücklich gesagt, wir dürfen im Garten ernten, was wir mögen. Giovanni ist Italiener (natürlich!), und ihm gehört das Haus, in dem wir wohnen. Er hat noch ein kleines Haus dicht bei den Olivenbäumen am Hang. Früher hat es seinem Onkel gehört, und jetzt wohnt er da ganz allein mit seinem dicken, grauen Kater Umberto.
Das hat er uns alles gestern Abend erzählt. Selbstverständlich auf Deutsch, sonst hätten wir ja kein Wort verstanden. Giovanni kann deutsch, weil er früher mal in einer Pizzeria in Dortmund gearbeitet hat. Ausgerechnet in Dortmund, wo meine dicke Tante Hermine wohnt! Vielleicht war sie ja Stammgast in seiner Kneipe und ist deshalb ...?
Interessante Theorie, würde Paps jetzt sagen.
Ein staubgraues Ungeheuer
So weit war Maxi in seinen schwachen Bestrebungen, sich aus der Hängematte zu erheben, gerade gekommen, als ihn plötzlich ein lautes Hupen aus seiner Trägheit weckte. Ruckartig setzte er sich auf – und fand sich gleich darauf zwischen den Wurzeln der Korkeiche wieder, wo er unsanft gelandet war. Hängematten sind eben sensibel und nehmen ruckartige Bewegungen grundsätzlich übel.
Ächzend rappelte Maxi sich wieder auf. Jetzt war er nicht mehr muffelig, jetzt war er stinkewütend. Wer wagte es, um diese Zeit in dieser Gegend derartig laut zu hupen? Wer wagte es, überhaupt mit einem Auto diesen abgelegenen, holprigen Privatweg zu benutzen?
Maxis Empörung wuchs, soweit das überhaupt noch möglich war, als er einen großen, blauen Kombi älterer Bauart langsam um die Kurve schwanken sah. Das Auto war voll beladen bis unters Dach. Und auf dem Dach war ein knallgelbes Schlauchboot befestigt, aus dem oben zwei Kinderfahrräder hervorguckten: ein giftgrünes und eins, das offenbar früher mal pink gewesen war.
Jetzt war es mehr staubgrau. Überhaupt war der ganze Wagen ziemlich staubgrau. Er hatte wohl eine längere Reise hinter sich. Angestrengt versuchte Maxi, das Kennzeichen zu entziffern: Der erste Buchstabe schien ein F zu sein, und das D-Schild konnte er deutlich erkennen – also Frankfurter!
Das Auto hielt unten an der Ecke gleich neben der Mülltonne. Plötzlich begann es Maxi zu dämmern: Auf seinem ersten kurzen Erkundungsrundgang, gleich nach der Ankunft, war ihm aufgefallen, dass sich hinter der undurchdringlichen Oleanderhecke, die Giovannis Grundstück umgab, offenbar noch ein weiteres Haus befand. Man konnte durch die dichten Büsche nicht allzu viel erkennen, und ziemlich dunkel war es auch schon gewesen, aber jedenfalls war das Haus nicht sehr groß und hatte dicke, hölzerne Fensterläden und einen gemauerten Brunnen mit einer Wasserpumpe vor der Tür.
Vor diesem Haus also wurde es plötzlich lebendig. Die Türen öffneten sich und auf allen Seiten quollen Menschen heraus: Ein Mann in blauen Jeans-Shorts stieg aus, auf der anderen Seite erschien eine dunkelhaarige Frau, ebenfalls in Shorts, schließlich sprang ein großer, hellbrauner Hund auf den Weg und bellte fröhlich in die Runde – aber dann!
Maxis Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen: Eins, zwei, drei – drei Mädchen kletterten nacheinander vom Rücksitz und fingen auf der Stelle an, Krach, Unruhe und Hektik zu verbreiten. Wie Frauen eben so sind! Maxi stöhnte innerlich; das waren ja schöne Aussichten.
Stop, un momento! Das ist natürlich völliger Quatsch! Also, ich meine, entsetzt war ich schon, aber ich habe nicht innerlich gestöhnt, ich habe laut „Ach, du dicke Scheiße!“ geschrien. Ich hör’s ja jetzt noch, weil ich mich selbst ein bisschen erschrocken habe.
Schließlich sollte man es möglichst vermeiden, seine armen Eltern gleich am ersten Ferientag mit so unerzogenen Ausdrücken zu verwirren. Und wenn ich sie womöglich sogar geweckt hätte! Nicht auszudenken! Aber ich glaube, das ist noch mal gutgegangen. Jedenfalls rührt sich nichts hinter der Terrassentür.
Unglaublich: Mädchen! Und dann gleich drei! Und das womöglich drei Wochen lang! Unmittelbar neben uns! Das halt’ ich nicht aus. Und Paps hält das auch nicht aus. Wo er so froh war, seinen Weibern im Büro endlich mal entronnen zu sein. Weiber darf ich natürlich nicht laut sagen; Paps nennt sie auch nur so, wenn Mama nicht zuhört, eben unter uns Männern.
Einen Krach machen die, nicht zu beschreiben. Dabei ist die Größte von den dreien höchstens acht und die kleinste vielleicht vier. Aber allerhöchstens! Die kann ja kaum richtig laufen. Da, prompt ist sie gleich über die Klematiswurzel gestolpert, die sich vor der Mülltonne quer über den Weg schlängelt. Typisch!
Na ja, gestern Abend bin ich auch mit den Flipflops hängengeblieben; aber das ist ja wohl überhaupt nicht zu vergleichen: Erstens konnte ich mich so eben noch abfangen, und zweitens war’s auch schon stockdunkel, jedenfalls fast. Und drittens hatte ich mich gerade umgedreht, um sicherzugehen, dass mir keiner folgt. Also wie gesagt: überhaupt nicht zu vergleichen!
Schreien kann sie für ihr Alter aber ganz hervorragend, die Kleine. Dass Mädchen sich gleich so anstellen müssen wegen jeder winzigen Schramme! Paps sagt auch immer: „Was uns nicht umbringt, macht uns hart!“ Den stört es überhaupt nicht, wenn er sich beim Basteln mal auf den Daumen haut oder mit dem Messer ritzt.
Nur als er neulich ein bisschen erkältet war, da mussten Mama und ich ihn ganz furchtbar pflegen, als ob er mindestens eine schwere Lungenentzündung hätte. Aber Mama hat gesagt, dass mit Erkältungen nicht zu spaßen ist und dass man sie nicht verschleppen darf. Und dann hat sie Paps noch einen Holunderbeertee gekocht und mich nach dem Fieberthermometer geschickt. Dabei hat sie mir verstohlen zugezwinkert, aber das hat Paps glücklicherweise nicht gesehen.
Davon wollte ich aber eigentlich gar nicht erzählen. Diese Mädchen bringen einen ganz durcheinander. Jetzt gehe ich da hin und sorge endlich für Ruhe. Schließlich können die sich hier nicht alles erlauben. Mama braucht ihre Ruhe. Und außerdem waren wir zuerst da.
Anna mag kein Kaugummi
Mit forschen Schritten machte sich Maxi auf den Weg. Kurz bevor er aus dem Schatten der Gartensträucher auf den Weg hinaustrat, blieb er jedoch plötzlich wie angewurzelt stehen: Vor ihm stand der Hund. Verflixt, an den hatte er ja überhaupt nicht mehr gedacht. Maxi war kein besonderer Freund von Hunden. Um den Terrier von Münstermanns zu Hause machte er zum Beispiel immer einen großen Bogen.
Dieser Vierbeiner hier sah allerdings wirklich nicht übertrieben angriffslustig aus. Freundlich wedelnd machte er ein paar Schritte auf Maxi zu und beschnüffelte interessiert seine Turnschuhe. Das war aber vermutlich nicht sehr aufregend, denn bald wandte er sich gelangweilt ab und fing an, den Garten auszukundschaften. Maxi dachte gerade darüber nach, ob er ein vorsichtiges Streicheln riskieren sollte, da hörte er von unten lautes Rufen: „Konrad, Konrad, wo bist du denn jetzt schon wieder?“
Konrad – komischer Name für einen Hund, fand Maxi. Aber den schien das Rufen ohnehin nicht zu beeindrucken. Inzwischen war er damit beschäftigt, nach dem Wein zu schnappen, der an der Pergola rankte. Glücklicherweise hingen die