Denny van Heynen

Mord an Halloween


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Es war zu einer Tradition meines Freundes geworden, jedes Jahr an diesem Tag eine Torte für uns und unsere Kollegen auf dem Revier zu backen.

      Dieser Tag... Er war für uns einer der arbeitsreichsten des Jahres.

      Es war der 31. Oktober.

      Das Fest der Toten.

      Halloween.

      Kapitel 2: Ein seltenes Lob

      Ich sah mir das am Abend zuvor entstandene Kunstwerk an.

      „Was denkst du, was die Kollegen sagen werden?“ wollte er von mir wissen.

      „Dass sie dieses Jahr schwarz ist und sie gleich ein Stück probieren wollen. Vielleicht fragen Sie dich auch nach dem Rezept“ vermutete ich.

      Die Farben seiner Torten änderte sich jedes Jahr. Mal waren sie eklig grün, ein anderes Mal blutrot – und jedes Mal schmeckten sie hervorragend. Wäre Cole nicht so ein brillanter Ermittler gewesen, wäre aus ihm vermutlich ein begnadeter Konditor geworden. Dieses Jahr hatte ich ihm zum ersten Mal bei der Herstellung geholfen, doch am Abend hatten wir in der Küche nicht nur gebacken... Bei der Erinnerung daran spürte ich ein Kribbeln in meiner Bauchgegend. Aber nun drängte die Zeit, weshalb ich den Gedanken an die schönen Stunden zu zweit schnell wieder verwarf.

      „Ich glaube, sie interessieren sich mehr für ihren Geschmack, als für den Aufwand“ lachte mein Freund, der die Torte in einen Karton packte, ehe er sich seine Jacke überzog.

      Ich sicherte unsere Alarmanlage und schloss unsere schwarze Stahltür zweimal ab. Obwohl Cole´s Auto neben dem Apartment stand, nahmen wir meinen Dienstwagen. Die wenigen Schritte bis zum Fahrzeug reichten aus, um zu frösteln, denn das Wetter war heute ziemlich ungemütlich.

      Cole friert wahrscheinlich noch mehr, ging es mir durch den Kopf, immerhin schützte mich mein sportlicher Körperbau mehr, als den schlanken Hünen.

      Der Straßenverkehr an diesem Tag war die Hölle. An Halloween nahmen sich zwar viele Menschen frei, was jedoch nicht bedeutete, dass die Straßen dadurch leerer waren. Dazu musste man bis zum Folgetag warten, weil am Feiertag meist niemand mehr vor die Tür ging – selbst wir nicht, denn dieses Jahr hatten wir den ersten November dienstfrei.

      Aber nun ging nichts mehr in Coregroth, unserer kleinen englischen Stadt. Wir hatten hier alles, was wir zum Leben benötigten. Supermärkte, Kinosäle und einen veganen Schnellimbiss, in welchen Cole mich nach seiner Eröffnung vor zwei Jahren eingeladen hatte. Doch das Leben hier war nicht gänzlich unbeschwert, denn auch in Coregroth gab es Vergewaltigungen, Morde und Totschläge – diese herben Delikte waren unser tägliches Brot. Deren Beseitigung machten wir uns zu unserer Lebensaufgabe. In den letzten Jahren hatten Ladenbesitzer auf unseren Rat hin mächtig aufgerüstet und in gute Sicherheitssysteme investiert, da Kleinkriminelle oftmals an diesen feierlichen Tagen zuschlugen. Diebstähle gehörten genauso zu unserer täglichen Arbeit, wie Erpressungen oder Menschenhandel. Wenn wir mal nicht über einem wichtigen Fall brüteten, fuhren wir ab und an Streife, mussten aber zugeben, dass uns die kompliziertesten Fälle am meisten reizten. Unser Vorgesetzter, Inspector Bale, traute uns deren Behandlung oft sogar im Alleingang zu.

      „Es wird wohl gar nicht richtig hell heute“ seufzte Cole vom Beifahrersitz aus.

      „Na, umso besser. Die Kinder werden sich freuen, wenn sie schon am Nachmittag durch die dunklen Straßen ziehen können und nicht bis zum späten Abend auf ihre Süßigkeiten warten müssen“ meinte ich konzentriert.

      Halloween war für mich immer ein großartiges Fest gewesen, aber mein Interesse daran hatte mit zunehmender Dienstzeit immer mehr nachgelassen. Vielleicht lag es daran, dass Halloween in Wahrheit ein Fest des Grauens war – zumindest in unserem Berufsalltag. Überall trieben sich Vampire oder Zombies herum – eine Tatsache, welche mir einst so sehr gefallen hatte. Man konnte sich den ganzen Tag verkleiden oder in die Rolle einer Filmfigur aus einem alten Horrorstreifen schlüpfen.

      Doch durch meine Arbeit wurde ich fast täglich mit den schrecklichsten Taten unserer Einwohner konfrontiert. Diese fanden ganzjährig statt und entlarvten Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen zu Verbrechern geworden waren. Es war die Aufgabe von Scotland Yard, diese Leute hinter Gitter zu bringen, um unsere Stadt so gut es ging vor ihnen zu schützen.

      Wir erreichten das graue Gebäude, welches von innen hell beleuchtet war. Im Police Office war nicht nur unser Großraumbüro, sondern auch der ein oder andere Verhörraum untergebracht, in denen wir Verdächtige zu einer Straftat befragen konnten. Cole´s Lippen legten sich auf meine. Mit geschlossenen Augen genoss ich den zärtlichen Kuss. Auf dem Revier wusste jeder von unserer Beziehung, da wir nicht wollten, das hinter unserem Rücken getuschelt wurde. Zudem hätten wir unsere Gefühle füreinander nicht lange vor den anderen verheimlichen können. Alleine unsere hingebungsvollen Blicke wären den Kollegen wie ein offenes Buch vorgekommen.

      Ich löste mich von der sanften Liebesbekundung und stieg aus dem Fahrzeug. Wieder fröstelte ich etwas. Cole nahm die Torte und schloss die Wagentür. Er hakte sich bei mir ein, weshalb ich annahm, dass ihm ebenfalls etwas kalt war.

      „Erinnerst du dich an das Wetter im letzten Jahr?“ fragte er.

      „Ja, es war ein ungewöhnlich warmer Herbsttag. Wenn wir nur ein paar Grad mehr hätten...“

      „... wäre unsere Erde noch schneller dem Untergang geweiht, als ohnehin schon“ merkte Cole seufzend an. „Heute wird bestimmt nicht viel los sein. Wenn wir Glück haben, können wir den ganzen Tag im warmen Büro bleiben.“

      Das Großraumbüro, welches unseren Arbeitsplatz beherbergte, war ziemlich leer. Nur einige unserer Kollegen hatten heute Dienst. Ich beneidete jene Polizisten, welche ihren Urlaubsantrag schon im Frühsommer einreichten, um dem ganzen Samhain – Trubel zu entgehen. Ich nahm mir vor, irgendwann auch einfach mal während des heidnischen Festes einen Tag Urlaub zu nehmen. Cole und ich wussten sicher, wie wir die freie Zeit miteinander verbringen konnten...

      „Da sind ja meine besten Männer“ vernahm ich eine raue Stimme.

      Die Konturen unseres Vorgesetzten wurden in meinem Augenwinkel deutlicher.

      „Guten Morgen, Inspector Bale“ begrüßte ich ihn.

      Die wenigen Extrapfunde des Endfünfzigers wurden durch seinen üblichen braunen Trenchcoat verhüllt.

      „Lassen Sie das bloß nicht die anderen hören“ sagte Cole augenzwinkernd. „Sie könnten auf uns neidisch werden.“

      Der Mann mit der grauen Halbglatze winkte ab.

      „So bescheiden, Morkride? Das ganze Büro – ja, wenn nicht sogar die ganze Stadt – weiß, was sie an Ihnen beiden hat. Bisher haben Sie immerhin jeden noch so verzwickten Fall gelöst.“

      Ich sah zu meinem Freund. Ein Lob unseres Vorgesetzten war sehr selten, weshalb wir es umso mehr genossen.

      „Wir sind eben ein gutes Team“ grinste ich und umarmte Cole.

      „Das bestreitet auch niemand, Mason. Sie und Ihr Lebensgefährte sind eine wirkliche Bereicherung für Scotland Yard. Aber nun genug der freundlichen Worte. Ich möchte Sie nicht von Ihrer Arbeit abhalten.“

      Wir setzten uns an unseren gemeinsamen Schreibtisch, den Inspector Bale letztes Jahr extra für uns hatte aufstellen lassen. Ich warf den Computer an, während Cole in eine Akte sah, die auf dem Tisch lag.

      „White wurde zu zwei Monaten Jugendarrest verurteilt“ verkündete er.

      „Sehr gut. Dann können wir seine Akte, zumindest vorerst, runter ins Archiv bringen.“

      White war ein siebzehnjähriger Teenager, der für Taschendiebstähle bekannt war. Doch mit seiner neuesten Aktion im Spätsommer hatte er den Bogen eindeutig überspannt. Mit einem Klappmesser, welches er sich auf dem Schwarzmarkt besorgt hatte, hatte er eine Drogerie überfallen und zahlreiche Markenparfums mitgehen lassen. Die ausführlichen Zeugenaussagen hatten schnell zu seiner Verhaftung geführt. Ich wusste, dass der