Fjodor Gladkow

Zement


Скачать книгу

e/>

      Fjodor Gladkow

      Zement

      Zement

      Fjodor Gladkow

      Impressum

      Texte: © Copyright by Fjodor Gladkow

      Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

      Verlag: Das historische Buch, 2022

      Mail: [email protected]

      Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

      Berlin

      Inhalt

       I. Das verödete Werk

       II. Das rote Kopftuch

       III. Das Bezirkskomitee der Partei

       IV. Der Arbeiterklub „Komintern"

       V. Der „innere" Emigrant

       VI. Vorsitzende

       VII. Das Vaterhaus

       VIII. Heiße Tage

       IX. Der Bremsberg

       X. Seelenschichten

       XI. Die Bourgeoisie wird geschröpft

       XII. Signalfeuer

       XIII. Langsame Fahrt

       XIV. Empfang der Büßer

       XV. Kesselstein

       XVI. Spreu

       XVII. Vorstoß in die Zukunft

      Vor dem leeren Nest

      Wie vor drei Jahren wogte auch an diesem frühen Morgen Anfang März hinter den Dächern der Mietskasernen und den Arkaden der Fabrik das Meer; in der Sonne glitzernd, lag zwischen den Bergen am Ausgang der Bucht der gleiche leuchtende Glanz in der Luft, rot wie Wein. Die bläulichen Schlote, die Werkgebäude aus Eisenbeton, die Arbeiterhäuschen der „Gemütlichen Kolonie" und die kupferrot leuchtenden Berggrate hatten in der Sonne ihre Konturen eingebüßt und waren durchsichtig wie Eis.

      Nichts hatte sich in diesen drei Jahren verändert. Das dunstige Gebirge mit seinen Spalten, Klüften, Steinbrüchen und Felsen war dasselbe wie in der Kindheit. Von weitem schon sah man die altbekannten Abbaustellen an den Bergwänden, sah die Bremsberge zwischen Geröll und Gestrüpp und in engen Schluchten die Brücken und Aufzüge. Auch das Werk unten war dasselbe geblieben — eine ganze Stadt aus Kuppeln, Türmen, Tonnendächern —, und über alledem, am Bergabhang, die „Gemütliche Kolonie" mit ihren verkümmerten Akazien und den fünf Quadratmetern Hof vor jedem Häuschen.

      Ging man durch das Loch in der Betonmauer, die Fabrikgelände und Vorstadt voneinander trennte (ehedem war das Loch eine Pforte gewesen), so gelangte man zu Glebs Wohnung in der zweiten Mietskaserne. Gleich wird sie herauskommen, seine Frau Dascha mit dem Töchterchen Njurka; aufschreien wird sie und an seine Brust sinken, erschüttert vor Glück. Sie erwartet ihn nicht, ebenso wenig weiß er, was sie ohne ihn in diesen drei Jahren durchgemacht hat. Es gibt im ganzen Lande weder Weg noch Steg, auf dem nicht Menschenblut geflossen wäre. Ist hier der Tod nur durch die Straße gezogen, ohne die Siedlungen der Arbeiter zu berühren? Oder ist auch Glebs Heim von Feuer und Wirbelsturm zerstört?

      Auf dem unbebauten Gelände hinter der Mauer spielten schmutzige Kinder. Dickbäuchige Ziegen mit Schlangenaugen streunten umher und nagten an den Akaziensträuchern, Hähne streckten Gleb aufgeschreckt die roten Köpfe entgegen und schrieen ihn böse an: „Was ist denn das für einer?"

      Im Herzen vernahm Gleb das unterirdische Grollen, das immer in den Bergen mit ihren Steinbrücken war, aber auch in den Schloten und in der Arbeitersiedlung.

      Von der Höhe sah man die riesigen H-förmigen Betonpfeiler der Seilbahn herabsteigen und zwischen den steinernen Werkgebäuden hindurch wie Triumphbögen zu den Landungsbrücken am Meer hinunterlaufen. Die Drahtseile waren straffgespannt wie Saiten, unter den im Fluge erstarrten Loren zog sich das rostige Gewebe des Sicherheitsnetzes hin. Am Ende der Anlegestelle erhob sich der durchbrochene Turm des elektrischen Hebekrans mit seinen ausgebreiteten Schwingen.

      Herrlich! Wieder Maschinen und Arbeit — eine neue, befreite Arbeit, erkämpft in heißen, blutigen Schlachten. Herrlich! Zusammen mit den Kindern lachten und lärmten die Ziegen. Es stank nach Schweinestall — ein fäulnisartiger Salmiakgeruch. Überall wucherte Unkraut, die Gassen waren voller Hühnermist.

      Was hatten hier nur all die Ziegen, Schweine und Hühner zu suchen? So etwas hätte die Direktion früher streng verboten!

      Von der „Gemütlichen Kolonie" kamen im Gänsemarsch drei Frauen auf Gleb zu, eine alte und zwei junge, die irgendwelche Lumpen auf dem Arm trugen. Die alte, die voranging, sah aus wie eine Hexe. Von den jüngeren war die eine mollig und vollbusig, die andere hatte das Kopftuch tief ins Gesicht gezogen, ihre Augen und Lider waren gerötet.

      In der Alten erkannte Gleb die Frau des Schlossers Loschak, in der Vollbusigen die des Schlossers Gromada. Die dritte war ihm fremd.

      In freudiger Erregung hob er die Hand an die Mütze. „Guten Morgen, Genossinnen!"

      Sie warfen ihm einen argwöhnischen Blick zu und schlugen einen Bogen um ihn. Nur die Gromada fuhr ihn keck an: „Mach, dass du weiterkommst! Wenn man jeden grüßen wollte."

      „Was ist los mit euch Weibern? Erkennt ihr mich denn nicht?"

      Loschaks Alte blieb stehen und sagte mit ihrer Bassstimme mehr zu sich als zu ihm: „Das ist doch — Gleb! Großer Gott! Kommt aus dem Jenseits." Dann ging sie ruhig weiter, mürrisch wie zuvor. Die Gromada lachte nur auf und sagte nichts. Erst als sie schon die Mauer erreicht hatte, wandte sie sich um und schnatterte los: „Lauf schon, Gleb Iwanowitsch, lauf! Spiel mit deiner Dascha Verstecken. Wenn du sie gefunden hast, könnt ihr noch mal Hochzeit machen."

      Gleb starrte den Frauen nach und erkannte die freundlichen Nachbarinnen von einst nicht wieder. Das Leben musste ihnen übel mitgespielt haben!

      Da war er, der niedrige Zaun um die fünf Quadratmeter Hof, da war das Aborthäuschen gleich an der Straße! Nur hatten die Jahre und winterlicher Nordost den Zaun verbogen, und eine graue Kruste bedeckte die Bretter.

      Gleich wird mit einem Aufschrei Dascha herausstürzen. Wie wird sie ihn empfangen, den aus Feuer und Tod Heimgekehrten? Vielleicht hält sie ihn für gefallen ... Oder sie wartet noch tagtäglich auf ihn — von der Stunde an, da er in jener finsteren Nacht sie und Njurka in dieser Bruchbude allein gelassen hat.

      Er warf seine Tasche zu Boden und den Soldatenmantel auf den Zaun, stand da und wischte