Fjodor Gladkow

Zement


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er Brynsa jetzt antworten können? Besaß er selbst doch nicht einmal einen warmen Winkel mehr, sogar seine Frau hatte ihn allein gelassen, gerade in dem Augenblick, da man sonst alles andere vergisst, da die Nähe des geliebten Menschen allein genügt. Hätte sie ihre Reise nicht seinetwegen aufschieben können?

      Die Kumpels

      Im Kellergeschoß des ehemaligen Verwaltungsgebäudes drängten sich die Arbeiter in einem engen, dämmrigen Korridor. Im Raum hing schmutziger Tabaksqualm, und die Menschen, selbst schmutzig vom schwarzgrauen Staub der Steinbrüche und Wege, sahen alle gleich aus, wie abendliche Schatten.

      Sie fluchten unflätig und schrieen alle durcheinander. Es ging um Tagesrationen und um den Kantinenfraß, um Petroleum, Sonderzuteilungen, Feuerzeuge und Ziegen.

      Die Tür zum Betriebsgewerkschaftskomitee stand offen. Auch dort schmutziger Qualm und Gedränge. Niemand erkannte Gleb, als er sich durch den Menschenschwarm hindurchwand; man schielte nur kurz nach seinem Helm mit dem Stern und nach dem Rotbannerorden und hatte ihn im nächsten Augenblick wieder vergessen.

      An der Tür produzierte sich ein Bursche mit einer weißen Nachthaube auf dem Kopf, einem Korsett über der Jacke und einer Schnurrbartbinde vor der rasierten Oberlippe. Von der Menge eingezwängt, ruderte er mit den Ellenbogen, kreischte mit Weiberstimme und gebärdete sich wie ein affektierter Narr.

      „Ach, gestatten, dass ich mich vorstelle... Par voeux brusque rescape!" plapperte er in phantastischem Französisch und sang dann:

      „Ei, du Äpfelchen, wohin rollst du bloß, kommst du zum Gewerkschaftskomitee, wirst du alles los ..."

      Die Leute gafften, ermunterten ihn und lachten.

      Ein brünetter, schwindsüchtiger Mann, dem der Husten in der Kehle saß, ging gegen den Possenreißer wütend vor. Es war der Schlosser Gromada. Gleb war entsetzt: Wie hatten die letzten drei Jahre diesen Mann mitgenommen! „Hör auf zu diskutieren, Mitrej! Das ist eine Schande und eine Schmach und so weiter ..."

      Doch Mitja unterbrach ihn: „Ach, Genosse Gewerkschaftskomitee, entschuldigen Sie, wickeln Sie Ihre Nerven in ein Bündelchen und stecken Sie es sich mit einer Nadel an den Nabel... Gestorben! Krepiert! Gerührt und erschüttert! ... Leg mein Korsett aufs Parkett, das Häubchen als Wagen, als Zügel den Kragen — und wenn die Fuhre fährt, kutschiere ich in voller Parade zur Demonstration ... Prrr!..."

      Wieder verrenkte er sich affektiert und arbeitete sich mit dem Ellenbogen zum Ausgang durch. Voller Entzücken über das Schauspiel drängte ihm die Menge nach.

      Gleb ging ins Zimmer und stellte sich hinter den Arbeitern an die Wand. Am Tisch saß der bucklige Schlosser Loschak, schwarz und verrostet wie immer, schwerfällig und so unberührt, als wäre er taub.

      „Verfluchte Bande!" schrie eine Frau aus voller Kehle. „Ihr habt uns noch gefehlt, ihr Hunde! Seht euch bloß diese vollgefressenen Schnauzen an! Mein Alter krabbelt zu Hause der Ziege den Bauch, und ich muss mich hier mit diesen Dickwänsten rumschlagen."

      Die Arbeiter pufften sie in den Rücken und verschluckten sich vor Lachen.

      „Feste, Tante Awdotja, feste! Immer mit dem Bauch voran, der Hintern wird's schon aushalten ..."

      „Schnauze, ihr Idioten! Wozu hat man uns diese Gewerkschaftskerle aufgehalst? Das nennt ihr Schuhe? Darin soll man laufen?"

      Mit jähem Schwung warf sie das Bein in die Höhe und schlug mit dem Schuh auf den Tisch. Der Rock rutschte hoch und entblößte ihr Bein bis zum blaugeäderten Oberschenkel.

      Loschak saß unbewegt da, als wäre er taub. Gromada aber sprang wutschnaubend auf.

      „Bürgerin! Genossin! Du bist doch eine Arbeiterin. Das Gewerkschaftskomitee tut seine Pflicht... und so weiter... Du musst doch verstehen."

      „Mach ihn fertig, Tante Awdotja! Sprich für uns alle hier im Raum!"

      „Ruhe, ihr Trottel! Was ist aus meinen Schuhen geworden, die ich als Zuteilung bekommen habe?... Wie lange haben sie gehalten? Einmal ins Dorf, dreimal in die Kantine, Graupensuppe für die Schweine holen — und nun seht euch die Sohlen an!" Sie zog einen Schuh aus und schleuderte ihn auf den Tisch. Mit seinem weit aufgerissenen Rachen stieß der Schuh Loschak vor die Brust.

      Er nahm ihn seelenruhig in die Hand und betrachtete ihn interessiert von allen Seiten. „So, Tante, nun mal ruhig weiter im Text. Wir hören."

      Aber Gromada hielt es nicht länger aus, er sprang auf und fuchtelte mit den Armen.

      „Ich kann das nicht dulden, Genosse Loschak. Der Bürgerin fehlt's an Bewusstsein und so weiter ... Das ist eine Schande und eine Schmach."

      „Ruhig Blut, Gromada! Ein tüchtiges Schwitzbad tut immer gut. Gleich werden wir uns mit ihr unterhalten. So, du armes, gekränktes Waisenkind, nun sag mal, für welche Arbeit hast du diese Schuhe bekommen?"

      „Red mir keinen Knoten in den Kopf, du buckliger Gauner. Gearbeitet oder nicht, ein Paar Schuhe stehen mir zu."

      „Ich frage dich: Für welche Leistung verlangst du denn mit Milch und Honig gepäppelt zu werden? Na? Gib auch den andern Schuh her. Sie sind dir aus Versehen zugeteilt ... Und deine Schweine werden requiriert wegen der Kantinensuppe, die dazu da ist, dass du dir den eigenen Wanst vollschlägst."

      Awdotja bedrängte die Arbeiter und machte sie rebellisch.

      „Verdammtes Weib!" schrieen die Arbeiter. „Passt auf, Jungs, dass eure Fassade ganz bleibt."

      Mit derselben finsteren Ruhe nahm Loschak wieder den Schuh und hielt ihn über den Tisch.

      „Da, nimm ... Lass ihn dir von deinem Alten reparieren und trag ihn weiter, zum Spaßen aber komm ein andermal her."

      Awdotja riss ihm den Schuh aus der Hand, setzte sich auf den Fußboden und zog ihn hastig über ihren dicken Fuß.

      Alles lachte.

      Loschak ächzte, stemmte die Hände auf den Tisch und erhob sich. Lange ließ er seinen schweren Blick auf der Menge ruhen und ächzte dann noch einmal.

      „Hört zu, Freunde: Ihr habt wohl nicht kapiert, wie die Sowjetmacht sich die ganze Sache denkt? Dem Bauern hat sie das Getreide weggenommen für den Krieg mit den Bourgeois, dem Bourgeois die Fabriken, wie zum Beispiel unsere. Aber Arbeit ist keine da. Den Bourgeois hat sie allen möglichen Krempel weggenommen und sagt: Da, ihr Arbeiter, teilt es unter euch auf, damit nichts verloren geht. Macht mit dem Zeug, was ihr wollt... Ich möchte damit nur sagen: Wenn wir die Fabrik erst wieder in Gang haben, dann wird alles anders."

      Er setzte sich schwerfällig und finster.

      Gleb hatte sich zum Tisch durchgeschlagen und salutierte. „Tag, Genossen! Bitte mich freundlich wiederaufzunehmen. Bin zu meiner Werkbank zurückgekehrt."

      Gromada schrie auf, breitete die Arme aus und stürzte auf Gleb zu. „Loschak, Freund, siehst du denn nicht? Gleb Tschumalow! Unser Gleb! Tot und lebendig. Sieh doch, Loschak!" Loschak blickte Gleb ebenso gleichgültig an wie die Arbeiter, die sich täglich von früh bis spät im Gewerkschaftskomitee herumdrückten. „Sehe schon. Ein neuer Trumpf in unserer Farbe! Die Schlosserei ist hin, Gleb, da werden jetzt Feuerzeuge fabriziert. Eine scheußliche Bude!"

      Er zog mit Mühe seinen langen Arm unter dem Tisch hervor und streckte Gleb zögernd die schwere Hand hin.

      Arbeiter aus verschiedenen Abteilungen umdrängten Gleb, staunten ihn verstört an wie einen von den Toten Auferstandenen, tauschten Blicke untereinander, murmelten und suchten seine Hände zu fassen. „Ja, Genosse Tschumalow. So sieht das nun bei uns aus. Die Herren sind jetzt wir, ja. Die alten Herren haben wir alle fortgejagt. Und nun — Scheibenkleister. Alles geht zum Teufel! Der eine klaut Daubenholz, der andere montiert das Messing von den Maschinen, der dritte schneidet die Treibriemen ab. Feine Herren sind wir!"

      Gleb aber sah sie der Reihe nach an und nickte ihnen freudig zu. „Aah, Böttcher, Schmiede, Elektriker, Schlosser, Kumpels!"