Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten


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anbrennen ließ, wenn sich die Gelegenheit ergab. Das führte in den letzten Monaten zu viel Streit in der Familie geführt. Aber eine ganze Nacht war Carsten noch nie weggeblieben. Bis Mittag warteten sie. Dann rief Eva bei ihren Schwiegereltern an, erreichte aber nur Cordula. Georg war wie sonnabends immer nicht da, auch telefonisch nicht erreichbar. Sie konnte Eva kaum beruhigen, kein Wunder, wenn sie von ihrem Mann so enttäuscht wird. Immer und immer wieder versuchte Eva, Carsten auf dem Handy zu erreichen – vergeblich. Am Nachmittag haben sie sich in der Stadt etwas abgelenkt, sofern das überhaupt möglich war. Den Paul konnten sie dann bei einem Freund aus der Kita über Nacht unterbringen; der hat sich gefreut und die Eltern waren ganz unkompliziert. Wie es weitergeht, weiß sie auch nicht.

      Oh doch. Remsen legte sich seinen Plan zurecht und arbeitete ihn jetzt genauso ab. Er entschied sich für einen Frontalangriff.

      „Könnten Sie bitte uns kurz alleine lassen?“ Diese Bitte ging an Evas Freundin. Ihre Augen suchten etwas verzweifelt Eva, die aber nur kurz nickte und zu verstehen gab, dass es für sie okay ist.

      Wieder allein nahm Remsen sich Eva vor. „Bitte antworten Sie genau: Wo war Ihr Mann? Wen hat er getroffen? Wer waren auf der Dienstreise seine Gesprächspartner?“

      Eva beschlich ein ganz komisches Gefühl. So unsicher, so kotzelend fühlte sie sich noch nie. Hoffentlich war Carsten nicht in dem Unfall verwickelt. Trunkenheit am Steuer, Fahrerflucht. Oh Gott, wie schnell kann man in so etwas verwickelt sein. Sie hatte ganz tief im Inneren die leise Vorahnung, dass ihr Leben kurz davorstand, eine unselige Wendung zu nehmen. Jetzt durchhalten, Eva! Sie machte sich selbst Mut, soweit das in dieser Situation noch möglich war.

      „Er ist am Dienstag zu einer Dienstreise nach Lemberg aufgebrochen. CodeWriter waren wohl schon länger dort in Kontakt zu neuen potenziellen Kunden. Carsten, Georg und ein, zwei andere der Firma waren im Laufe des Jahres auf einige Messen und Kongresse in Russland, Polen und der Ukraine. In anderen Ländern wohl auch; weiß aber nicht genau wo überall. Mit einem Interessenten aus der Sicherheitsbranche waren sie sich handelseinig; soweit ich das mitbekommen habe. Das ist eine Firma aus der Ukraine, aus Lemberg oder der Umgebung. Genaueres, kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Die Firma kenne ich nicht.“

      „Aber Sie haben doch mit Sicherheit im Laufe der Woche mit Ihrem Mann telefoniert. Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie so gar nichts wissen wollen. Wer bei CodeWriter wusste was von dem geplanten Deal?“

      „Vor allem Karl Hausmann. Der muss das eingefädelt haben. Hausmann war schon seit längerer Zeit drauf und dran, die Geschäfte in Richtung Osteuropa auszuweiten. Georg, mein Schwiegervater, stand deswegen dauernd mit ihm im Clinch. Ich gehe auch davon aus, dass der Herzinfarkt Anfang des Jahres auf den Dauerstreit zurückzuführen ist.“

      Remsen wurde nun doch langsam ungeduldig. „Wer wusste noch was? Ich kann mir nicht vorstellen, dass vor so einem wichtigen Auftrag nicht die halbe Firma mitgefiebert hat, ob der Vertrag auch tatsächlich zustande kommt.“

      „Das müssen Sie Georg fragen, wenn er von seinen Wochenendeskapaden zurück ist. Aber was hat das alles mit Carsten zu tun?“

      „Sie gehen davon aus, dass er eine Bekannte hat, bei der er sich gerade vergnügt, richtig?“ Gegenfrage, das beliebte Rezept von Remsen, seine Gesprächspartner unsicher zu machen.

      Eva war wieder kurz davor, die verlassene Ehefrau zu geben und loszuheulen: „Was glauben Sie denn? Gestern noch telefonierte er auf der Rückfahrt mit mir und erzählte etwas vom Stau auf der Autobahn. Als wenn in Polen alle genau am Freitagnachmittag dort unterwegs sind, wo mein Carsten gerade langfährt. Geglaubt habe ich ihm das sowieso nicht.“

      „Wissen Sie, mit dieser Art von Glauben kann ich nichts anfangen. Wo ist Ihr Mann?“ Die Frage formulierte Remsen so, dass selbst Frau Eva Weilham aufwachen musste. Ein letzter Versuch, dann wird es ernst. Er musste noch mehr von ihr herausbekommen; allerdings erschien ihm das immer mehr aussichtslos.

      Remsen ließ nicht locker. „Was ist mit Ihrem Mann, Frau Weilham? Sie wissen, wo er ist. Falsche Scham bringt uns hier nicht weiter. Wir ermitteln in einem Unfall mit Todesfolge und Sie geben hier die verlassene Ehefrau.“ Das kam jetzt nicht mehr so angsteinflüsternd rüber, da Remsen es auf die ruhige und sanfte Tour versuchte.

      „Ich kann Ihnen nichts sagen. Gestern am späten Nachmittag rief von seinem Handy aus an und sagte, dass er auf der Rückfahrt sei und noch vor Mitternacht zu Hause sein würde. Ich habe aber an seiner Stimme gespürt, dass da was war. Sie klang anders, angespannter als sonst. Der war nicht allein im Auto, ganz sicher.“

      „Hatte er öfters mal, na ja sagen wir, sich woanders ausprobiert?“ Höflicher ging’s für Remsen nicht.

      „Hören Sie, wie können Sie annehmen, dass Carsten ein Frauenheld ist? Er liebt mich und seinen Sohn über alles.“ Innerlich brach in ihr etwas zusammen, wohl ihr letzter Mut an Widerstand. „Na ja, im letzten Jahr war er öfter geschäftlich ja in Osteuropa; da soll für etwas Geld alles zu haben sein. Vielleicht hatte Carsten sich da öfter…“, bedient, dachte sich Remsen.

      Ihm war inzwischen jede Rücksichtnahme egal: „Frau Weilham, ist das ihr Mann?“ Er holte ein Foto vom Unfalltoten aus seiner Tasche, legte es vor ihr hin und fixierte die Frau.

      Ein herzzerreißender Schrei. Sie riss die Augen entsetzt auf und sackte in sich zusammen. Remsen stand unschlüssig daneben: Was jetzt tun? Diese Entscheidung nahm die verbannte Freundin ab, die wie auf Kommando in das Zimmer stürzte und sich um Frau Weilham kümmerte. Die lag halb schluchzend, halb heulend und ziemlich verkrampft auf dem Zweisitzer. Ihre Freundin nahm sie in die Arme und versuchte sie zu beruhigen. Dabei sah sie das Foto auf dem Tisch und nickte Remsen zu.

      Schöne Scheiße!

      Er suchte die Küche, verlief sich dabei im dunklen Haus, fand sie aber doch. Nachdem er ein einem der Schränke Gläser fand, ließ er den kalten Hahn eine Zeitlang offen und vergewisserte sich mit dem Hausfrauenfingertest, dass das Wasser angemessen kalt war. Die ersten zwei Gläser gehörten ihm. Er füllte ein zweites Glas und wollte es der Frau Weilham zur Stärkung bringen.

      Sein Handy hielt ihn davon ab. Auf halben Weg kehrte er um, stellte das Glas ab und nahm das Gespräch entgegen. Dr. Ansbaum.

      „Es war vergleichsweise einfach: Es ist Carsten Weilham. Wir konnten eine auffällige Narbe am rechten Oberschenkel entdecken und damit die einschlägigen Krankenhäuser in Vesberg kontaktieren. Bei einer privaten Chirurgie mit angeschlossenem Bettenlager haben wir einen Treffer gelandet. Der Abgleich der Bilder brachte die Bestätigung. Carsten Weilham spielte in seiner Jugend recht professionell Fußball und erlitt dabei eine heftige Fleischwunde. Muss länger gedauert haben, bis er wieder laufen konnte. Er ist es, kein Zweifel.“

      „Danke Dr. Ansbaum, seine Frau hat mir das gerade auch bestätigt. Das hilft mir weiter. Wissen Sie schon, wer die Tote ist? Haben Sie schon was rausgefunden?“

      „Nein. Keine Auffälligkeiten; keine Fußballernarbe, kein Tattoo, Piercing am Bauchnabel und im Scharmbereich. Auch im Zahnbereich nichts Auffälliges festzustellbar. Sollte es tatsächlich eine Osteuropäerin sein, dann haben die bei der Zahnpflege jede Menge hinzugelernt.“

      „Osteuropa könnte stimmen; wahrscheinlich war Weilham die letzten Tage dort und hat seine Gespielin gleich mitgebracht. Jetzt wissen wir aber, wo wir ansetzen. Vielleicht erfahren wir über den alten Weilham oder CodeWriter noch mehr. Danke Ihnen Doc.“ Remsen drückte das Gespräch weg.

      Frau Weilham fing sich inzwischen wieder etwas; zumindest sah es so aus, als er wieder ins Zimmer eintrat. Mit ihrer Freundin führte sie eine Art stumme Kommunikation.

      „Frau Weilham, ich hoffe es geht Ihnen wieder besser?“ Remsen schaute etwas genauer hin, um zu prüfen, ob er sie mitnehmen kann. Sie sparte mit Worten, legte ihre Antwort in einen besonderen Blick ihrer Augen. Remsen deutete das als ein ‚Ja‘.

      „Bitte machen Sie sich etwas frisch. Draußen wartet ein Streifenwagen. Sie müssen ihn identifizieren. Bekommen Sie das hin?“ Er reichte ihr das Glas Wasser.

      Ihre Freundin spielte nun ungefragt ihre Beschützerin: „Sie sehen doch, wie es ihr geht.