Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten


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      Der Vernehmungsraum Nr. 3 ist ihm von allen der Unangenehmste. Dort gibt es kein Fenster und nicht mal eine Heizung. Remsen liebt diesen Raum, weil dort die Vernehmungen erstaunlich kurz dauern. Muss wohl an der ganz speziellen Atmosphäre liegen; Remsen grinste in sich hinein. Was bisher noch niemand bekommen hat, ist immer noch sein Geheimnis: Von Hamburg her hatte er eine ganz besondere Vernehmungsmethode mitgebracht: die Qual des Stillsitzens. Eines Nachts kürzte er ganz einfach die beiden vorderen Beine des Stuhls. Jener Stuhl, auf dem die Vorgeladenen saßen, um etwa 6 bis 7 Millimeter. Seitdem achtete er peinlich darauf, dass der Stuhl niemals ausgetauscht wird und ausschließlich den Gästen vorbehalten blieb.

      „Nöthe, Sie und Sie beide…“ er deutete auf die Verstärkung, „recherchieren weiter: CodeWriter; Weilham's, beide Sippen: Ob jung oder alt – heute und früher, ich will alles wissen; Hausmann ganz besonders und ach ja, gibt es schon Informationen zu Igor Abtowiz?“

      „Noch nicht allzu viel Verwertbares. Er ist Inhaber einer Sicherheitsfirma, die sich interessanterweise recht seriös gibt. Nichts Auffälliges.“

      „Nichts Auffälliges? Ein Russe führt ganz sauber eine Sicherheitsfirma? Klingt ganz so, als wenn ein Wahnsinniger die Klicke in Nordkorea zu Superdemokraten auf Lebenszeit ernannt hat.“

      „Pole.“ Der ganz diskrete Hinweis aus dem Hintergrund kam von Kundoban. „Abtowiz ist ein Pole, kein Russe.“

      „Okay liebe Leute, ab morgen sind eure Autos sicher.“ Schlechter Scherz, aber mehr fiel Remsen dazu nicht ein. „Das macht die Sache auch nicht besser. Und jetzt? Wenn bei der Sicherheitsfirma nicht mindestens eine Leiche im Keller liegt, verkaufe ich meine Vinylsammlung bei eBay – komplett.“

      „Wenn es dafür Abnehmer gibt…“ Jutta Kundoban konnte sich das nicht verkneifen, denn sie wusste, dass Remsen das niemals übers Herz bringen würde und dass Safety Objects mit absoluter Sicherheit nicht sauber war. Tolles Wortspiel, so spät am Abend, fiel ihr aber erst später auf.

      „Also los, worauf warten wir noch. Morgen früh um 8:00 Uhr sehen wir uns alle hier wieder.“ Remsen stand auf und wollte schon losmarschieren, drehte sich aber wiederum: „Hat jemand eine Kaffeemaschine, die er mal entbehren kann? Mit Kaffee dazu natürlich, bitte.“

      Holla, aus dem Hintergrund kam eine Antwort: „Gebongt.“ Ulrich trudelte gerade heran, hatte die Frage, war wohl mehr eine Bitte, noch mitbekommen und wedelte so mit dem Arm, dass allen klar war: Morgen am heiligen Sonntag gibt es vernünftigen Kaffee.

      „Was machen wir mit Weilham? Er sitzt im VR3 und wird von Minute zu Minute nervöser.“ Ulrich besaß zwar seine eigene Theorie, wie er vorgehen würde, aber er weiß, dass sein Partner bei Vernehmungen äußerst geschickt und clever vorzugehen weiß. Genau deshalb überlässt er bei Befragungen gerne Remsen das Feld.

      Remsen deutete an, dass sie sich erstmal Zeit lassen und im Büro die Dokumente sichten werden. Sofern dort Luft und Temperatur wieder Normalwerte annehmen. Der Thai-Geruch war fast nicht mehr vorhanden und die Heizung voll aufdreht. Also rein.

      Remsen griff sich die Fotos von der Überwachungskamera und zeigte sie Ulrich. „Sollte Weilham uns weiterhin anlügen, dass darf er gleich für heute Nacht hier einchecken. Mal sehen, welche Taktik er sich zurechtgelegt hat. Haben wir noch etwas in der Hand?“ Ulrich schüttelte mit dem Kopf und sah nicht so aus, als wenn er mit Euphorie der kommenden Befragung entgegensah.

      „Herr Weilham, mein Beileid. Vielen Dank, dass Sie uns geholfen und Ihren Sohn identifiziert haben.“ Remsen machte eine Pause, auch wenn ihm das außerordentlich schwerfiel. Immerhin log der Mann nachweislich. Er wartete auf eine Reaktion, aber Weilham rutschte nur etwas unbeholfen auf seinem Stuhl umher. „Dürfen wir Ihnen was zum Trinken anbieten, Wasser oder Kaffee?“

      Weilham reagierte kaum wahrnehmbar ablehnend und war mehr mit sich selbst beschäftigt, als auf die Fragen der Polizisten zu achten. „Ich will nach Hause; meine Frau ist alleine. Das ist einfach nicht gut. Ich muss zu ihr.“

      „Wir haben da noch ein paar Fragen an Sie. Wenn wir alles geklärt haben, dann bringen wir Sie nach Hause.“ Ulrich mischte sich ein und versuchte Weilham zu beruhigen.

      „Kommen wir noch mal auf die Dienstreisen Ihres Sohnes der letzten Woche zurück. Sie sagten vorhin aus, er hätte Kunden besucht. Wer war das genau?“ Remsen begann mit einer ganz perfiden Vernehmungstaktik; ganz harmlos anfangen und dann richtig zermürben.

      „Ich sagte doch er war bei Safe Guard United; einem langjährigen Kunden, um über Budgets und Aufträge für das neue Jahr zu sprechen. Planungsphase eben, wie jedes Jahr.“

      Während sein Hansi den Assistenten mimte, tippte Kundoban auf ihrem Smartphone herum.

      „Wo finden wir den Kunden? Wer ist dort Ansprechpartner?“

      „In Berlin, irgendwo in Mitte glaube ich. An den Namen des Ansprechpartners kann ich mich nicht genau erinnern; irgendwas mit ‚Berg‘, Linderberg oder so. Muss aber nicht stimmen; aus der Kundenbetreuung bin ich komplett raus.“

      Remsen legte nach: „Und wann war Ihr Sohn beim Kunden? Bitte ganz genau Her Weilham.“

      „Was wollen Sie denn? Glauben Sie mir nicht? Carsten war dort, soweit ich mich erinnere. Er fährt kurz vor dem Jahreswechsel alle Kunden an und macht mit ihnen die Planungen. Ist doch überall so – bei Ihnen nicht?“

      „Unsere Kunden überlegen es sich meistens kurzfristig, ob sie mit uns in Kontakt treten. Das kann man so nicht planen. Zumindest kennen wir hier keine Planwirtschaft.“ Allgemeines Gelächter im Raum bestätigte, dass Remsen mit seiner Art des Sprüche Klopfens gerade zur Höchstform auflief. Remsen der Meister des objektiven Sarkasmus. Obwohl sich seine Kollegen nicht sicher waren, ob an ihm nicht schon Züge eines ausgeprägten Zynismus erkennbar waren.

      „Vielleicht Herr Weilham können Sie jetzt noch die Angaben zu den Reisedaten nachliefern oder sind Sie da auch raus?“ Remsen ließ mit seinen sarkastischen Sprüchen nicht locker. Wenn er einmal in Fahrt war…

      „Hören Sie, mein Sohn liegt da unten auf dem Seziertisch oder vielleicht schon im Kühlregal und ich soll mich hier auf Kleinigkeiten konzentrieren, die mich eigentlich nichts angehen.“ Weilham versuchte sich am Delinquenten-Aufstand; ja, er stand sogar auf und rieb sich am Hinterteil.

      Schmerzt wohl etwa, dachte sich Remsen. „Hinsetzen.“ Recht schneidend kam von ihm der Befehl zur Herstellung der Vernehmungsordnung. Weilham tat es auch. Widerwillig, das sah man ihm an.

      „So, und jetzt bitte Tag und Uhrzeit für alle Dienstreisen und Termine der letzten Woche Ihres Sohns.“ Bei Remsens unmissverständlicher und mit knallharter Stimme formulierten Anweisung zuckten alle etwas zusammen.

      „Meines Wissens von Dienstagmorgen bis gestern Abend. Genauer müsste ich es im Reisekalender nachschauen. Hier habe ich keinen Zugriff darauf.“

      Jutta Kundoban dachte wie gewohnt recht pragmatisch: „Herr Weilham, Sie sind Informatiker, Softwareentwickler, und Sie wollen uns erklären, dass Sie kein Smartphone haben? Hier auf Ihrer Website…“ sie zeigte auf ihr eigenes Smartphone „bewerben Sie Ihre Apps. Sie wissen doch was Apps sind. Oder soll ich Ihnen das erklären?“

      Remsen mischte sich ein: „Ich erklär Ihnen das mit den Apps mal.“ Logischerweise hatte Remsen davon keine Ahnung, aber als Laie könnte er einen hervorragenden Schulmeister abgeben. Seine Kollegin schaute skeptisch drein.

      Es war die entstandene kurze Pause, die das Gespräch ins Stocken brachte. Weilham schaute jetzt doch etwas verdutzt drein und beendete diese mit einer Gegenfrage: „Welche Frage soll ich zuerst beantworten?“

      „Meine!“, mischte sich Remsen wieder ein. „Meine erste Frage nach den Dienstreisen. Dann können Sie uns gerne einen Vortrag zu Ihren Apps halten. Wir hören dann auch nicht zu.“ Wir müssen uns ja nicht jeden Unsinn anhören, dachte sich Remsen. Doch Zynismus der ausgeprägten Art, Arroganz oder eine Mischung aus beiden; das war auf jeden Fall Remsens schärfste Waffe. Selbst Ulrich musste das immer wieder anerkennen.

      „Ich