Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten


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der Insolvenz entgegen schlitterte, wie die Tatsache, dass damit seine Tage als Unternehmenschef gezählt waren.

      Es musste Hilfe her.

      Die kam in Gestalt der Treuhand. Noch vor der offiziellen Vereinigung gegründet, erhielt sie den Auftrag, die Unternehmen der DDR zu einem Spottpreis zu verscherbeln und den sogenannten Investoren den Zugriff auf neue Märkte zu sichern. Zumindest nahm Egger das so wahr und ihm konnte eigentlich nichts Besseres passieren. Da sein Unternehmen trotz der schlechten Entwicklung der letzten Monate noch über ausreichend Reputation, Wissen und gute Mitarbeiter verfügte, dauerte es nicht lange, bis er mit Anstaltsvertretern an einem Tisch saß.

      Deren Plan war bereits beschlossene Sache; Egger konnte nur noch versuchen, das Beste daraus zu machen. Er nutzte seine Kontakte zu seinen damaligen Parteifreunden, von denen es einige in die Treuhand geschafften. Egger brachte Details zur geplanten Privatisierung in Erfahrung und empfahl sich bei den potenziellen neuen Eigentümern. Die Verhandlungen waren nervenaufreibend, denn die Rolle, in der er sich hierbei befand, war eher die eines Bittstellers. Und darin kannte er sich einfach nicht aus. Die Hoffnung, im neuen Unternehmen an vorderster Front mitzuspielen, schien sich lange Zeit nicht zu erfüllen. Das Unternehmen wurde für einen lächerlichen Preis einem global agierenden IT-Konzern zugesprochen; es entstand die Unlimited IT Equipment AG. Vesberg war anscheinend für die neuen Eigentümer ideal, um erst einmal hier und dann in Osteuropa gute Geschäfte zu machen.

      Egger begrub beinahe seine Ambitionen, als das Schicksal es wieder gut mit ihm meinte. Aus lange für ihn unerklärlichen Gründen, zeigten die Besitzer der uIT AG doch Interesse an seiner Person, sodass recht schnell und im Stillen über seine Anstellung verhandelt wurde. KHE stieg zum mächtigen Vorstandsvorsitzenden der uIT AG auf und begann sofort, sich sein eigenes Reich zu bauen. Seine neuen Geschäftspartner brachten reichlich Kapital mit, machten klaren Vorgaben und ließen ihm jede freie Hand der Umsetzung. Egger wäre nicht Egger, wenn er diesen Spielraum nicht für sich genutzt hätte.

      Inzwischen sitzt er fast 15 Jahre fest im Sattel. Mit eiserner Disziplin hat er die uIT AG zu einem erfolgreichen Unternehmen gemacht; ohne zu vergessen, Mitbewerber zu attackieren, ihnen mit legalen und durchaus auch anderen Mittel den Marktzugang zu erschweren oder gar die Kunden ganz abzuwerben. Sein Steckenpferd war von Beginn an die Geschäftserweiterung in Richtung Osteuropa. Oh, wie schön war es doch, dass die alten Kanäle und Kontakte noch immer funktionierten und sich auch dort viele ehemalige Kommunisten in Unternehmen oder Behörden festsetzen konnten.

      Traumhaft!

      Egger war realistisch genug, um sich seiner Sache nie sicher zu sein. Die uIT AG hatte jede Menge Feinde; viele davon befanden ganz speziell mit KHE im Streit. Denn KHE nannten ihn nicht nur Freunde. Es waren vor allem Feinde, alte Feinde, die nicht vergessen wollten. Die einen staunten ehrfürchtig, weil er trotz allem Erfolge nachweisen konnte; die anderen mit Abscheu, weil sie seine Skrupellosigkeit kannten und hassten.

      An diesem trüben Sonnabend war Egger, wie so oft am Wochenende, in seinem Büro gewesen. Diese Tage ohne Störungen und ständige Unterbrechungen nutzte er ganz gerne, um nicht nur Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Hier in seinem Büro fand er die notwendige Ruhe, um über Geschäfte, neue Kunden, Chancen und Risiken zu sinnieren. Er legte sich seine Strategie für die nächsten Tage zurecht und brütete darüber, wie er die uIT AG noch erfolgreicher und seine Geschäftspartner in Holland noch zufriedener machen konnte.

      Am späten Nachmittag des 13. November klingelte sein Mobiltelefon. Erst wollte er es ignorieren, denn Störungen mochte er besonders an den Wochenenden überhaupt nicht. Unwirsch griff er sich doch das Handy, um nachzusehen, wer von ihm was will. Ein wohlbekannter Name leuchtete auf dem Display. Jemand, den er lieber nicht ignorieren sollte.

      „Hallo Torsten?“ KHE ergriff wie gewohnt die Initiative.

      „Hallo Kalle, wollte mal hören, was du so treibst. Wir sollten uns mal wieder zum Essen verabreden.“

      „Du, gerne. Warum nicht gleich heute Abend? Hätte ohnehin Lust, auswärts was zu essen. Kommst du mit? Jetzt hab ich leider wenig Zeit, muss noch ein paar Dinge fertigmachen.“

      „Das wird leider nichts, muss gleich noch mal ins Präsidium. Die Kollegen der W36 haben einen recht abstrusen Fall vor der Brust: Mord mit einem Hirsch oder so ähnlich. Das wird mal wieder ein unruhiger Sonntag. PK und so weiter, du weißt ja.“

      „Was es nicht alles gibt. Lass doch mal den Nachwuchs ran und gönn dir ein ruhiges Wochenende. Weiß man schon Genaueres?“ Informationen schaden eigentlich nur dem, der keine hat. Immer wachsam bleiben, Genosse. Ex-Genosse.

      „Ein Auto einer IT-Firma ist an einen Hirsch geraten, CodeWriter glaube ich heißen die. Aber mehr weiß ich auch noch nicht und Kalle; ich würde es dir übrigens auch nicht sagen.“

      Staatsanwalt Torsten Stiegermann nimmt es mit seiner Schweigepflicht sehr genau. Er weiß ganz genau, wem er wann Informationen gibt. Noch immer fühlt er sich gut vernetzt. Das war durchaus nicht immer so, denn gerade die unruhigen Wellen der Vereinigung hätten ihn beinahe weggespült. Aber eben nur beinahe.

      „Wenn von dem Hirsch noch eine Portion übrig ist, dann denke bitte an mich. Im Herbst ist Jagdzeit. Mach’s gut und denke daran: Wir sollten mal wieder Essen gehen.“ KHE legte auf, um sofort einen anderen Eintrag seiner unendlich langen Kontaktliste zu suchen. Er fand ihn auch recht bald und wählte dessen mobile Nummer.

      „Hallo?“ Ein kurzes Knacken in der Leitung machte ihn unsicher.

      „Ja, was gibt’s?“ Scheinbar erkannte der Angerufene inzwischen, wer ihn da anrief.

      „Die Polizei ermittelt in einem Mordfall. CodeWriter. Habt ihr was damit zu tun?“ KHE war dieses Mal direkt und unverschlüsselt. Egal wer hinter dieser Geschichte steckte; es gefiel ihm ganz und gar nicht.

      Statt einer Antwort beendete sein Gegenüber einfach das Gespräch. Wortlos.

      Fuck!

      Jetzt bleibt nur abwarten. Stiegermann wird ihn schon informieren. Rechtzeitig, sodass er immer noch früh genug eingreifen kann. Hoffentlich geht die Geschichte für ihn und seine uIT glimpflich aus. Obwohl, ihm fiel überhaupt nicht ein, warum ein Mord bei CodeWriter mit ihm zu tun haben könnte. Nein, da ist nichts und da wird auch nichts sein.

      Egger hatte trotz seiner Versuche, sich zu beruhigen, jetzt keine Lust mehr, im Büro zu bleiben. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren. So ein Mist! Ich habe bis Montag noch jede Menge fertigzustellen. Dann eben morgen, am Sonntag; geht halt nicht anders. Er griff sich seine Dokumente und Unterlagen für morgen, um von zu Hause aus arbeiten zu können; führte schnell eine Sicherung durch und war sich richtig unschlüssig, was er jetzt mit dem Sonnabendabend anstellen soll. Er könnte ja über die Grenze in den Club fahren; wäre doch schön ein Bad mit einer Massage danach. Vielleicht ist die schlanke Lettin wieder da, die konnte so richtig gut… Nein, auch darauf meinte er, sich heute nicht freuen zu können.

      Dieser Anruf vom Stiegermann versetzte ihn immer mehr in Unruhe. Viel schlimmer war, dass er überhaupt nicht ergründen konnte, warum. Für heute Abend blieben nicht mehr viele Alternativen: Was essen gehen, ein paar Bier oder ein guter Roter und dann morgen weitersehen.

      Licht aus; Alarmanlage an.

      Moldawien ist weit. Hier in Vesberg bricht langsam die Nacht herein. In Moldawien dürfte es schon dunkel sein. Die nasse Kälte schlich an seinen Beinen hoch; es wurde richtig ungemütlich. Ist er nicht mehr immun dagegen? Zweifel kamen auf, nagten an ihm. Scheiße, dass brauche ich jetzt nicht; überhaupt nicht. Zurück in die Gartenhütte war nicht mehr möglich. Obwohl? Die Dunkelheit wäre dafür sein Freund; aber nur ein Aufschub; nicht mehr. Nein, die Nacht musste er ausnutzen, um die Grenze zu überqueren und Deutschland zu verlassen. Wenn er erst mal in Polen ist, geht es sicher einfacher weiter. Dort sucht ihn keiner. Dort ist die Polizei längst nicht so gut wie hier, schon gar nicht nachts.

      Er muss weg hier, das war ihm klar. Nur wie? Geld hatte er nur wenig, mit den paar Euros kommt er nicht weit. Das war ihm klar. Ihm würde ein Auto reichen, vollgetankt bitte, damit er es wenigstens bis zur Grenze schafft. Danach müsste er neu planen. Ein Auto muss also her. Darauf