Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten


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mir Kollegen.

      Was soll er jetzt tun?

      Ihm läuft die Zeit davon.

      Wem kann er jetzt noch vertrauen?

      Er braucht eine Idee, schnell und gut.

      Jetzt!

      Sofort!

      Aufgeregt lief er seinem Büro herum. Das könnte eher als kleines Rechenzentrum durchgehen. Der Raum war vollgestopft mit Servern, Monitoren, Kabeln und jede Menge Telefonen.

      Eine Lösung muss her, sofort!

      Er schaute wiederholt auf seinen Monitor und sah, dass der Schaden an beiden Fenstern von Weilham's Wohnhaus notdürftig behoben wurde. Auch im Haus drinnen scheinen die Beeinträchtigungen nicht so groß zu sein. Das Haus ist bewohnbar.

      Entsetzt sah er auf seinen Monitoren, dass die Alte von Georg Weilham unversehrt mit einem Polizisten und offensichtlichen Handwerkern von außen die Schäden der Molotov-Cocktails begutachtete. Richtig erbost war er, als er Weilham putz und munter aus einem Taxi aussteigen sah.

      Dabei ordnete er an, wirksamere Waffen zu verwenden; vom ihm aus Handgranaten. Von Weilham und der CodeWriter-Pest hatte er den Hals gestrichen voll.

      Jetzt Ruhe bewahren.

      Was war mit seinem Plan C?

      Er goss sich einen doppelten Malt ein und ließ das hellbraune flüssige Gold über seinen Gaumen genüsslich in die Kehle fließen. Sofort stellte sich ein wärmendes und wohliges Gefühl ein. Augenscheinlich korrigierte der zweite Schluck seinen Puls auf beruhigendes Betriebsniveau.

      Jetzt ist Nachdenken angesagt.

      Er dachte über seinen Sicherheitsplan nach. Ein Plan, gedacht als Fallback-Taktik.

      Für alle Fälle.

      Für den Notfall.

      Ist der jetzt eingetreten? Er sinnierte darüber und befand: Ja! Die Zeit drängte und Weilham ist noch immer der Störfaktor.

      Als er seinen leistungsfähigen Rechner und die Kryptologie-Programme gestartete, gab er seine individuellen Eingangsinformationen ein. Stolz war er auf seine kryptografische Hashfunktion, die definitiv nur eindimensional verwendbar und niemals nachvollziehbar sein wird. Den HMAC lässt er zusätzlich mit zufälligen Kompressionsverfahren ermitteln. So ist nie ein Anruf, keine einzige Aktivität seinerseits durch niemanden nach verfolgbar. Selbstverständlich benutzte er dynamische Routing- und Anonymisierungsverfahren, um definitiv auszuschließen, dass er jemals lokalisiert werden konnte.

      Obwohl er wusste, dass die Berechnungsverfahren trotz seines im Giga-Flop Bereich arbeitenden Rechners etwas länger dauerten, wurde er unruhig. Als aber die Töne des Wählverfahrens hörbar wurden – er war ein hoffnungsloser Nostalgiker und konnte auf die analogen Geräusche des Verbindungsaufbaus der Uralt-Telefonie nicht verzichten – konzentrierte er sich auf seine Botschaften.

      Auf der Gegenseite nahm nach genau zweiminütigem Klingeln jemand ab: „Ja, hallo.“

      „Wie abgesprochen. Holt sie euch und macht es hinter der Grenze.“

      Soweit die knappe Anweisung. Weiteres war dem nicht hinzuzufügen.

      „Überall ist Polizei. Wir kommen unbeobachtet nicht an die ran. Das Haus wird bewacht.“ Der Angerufene klang richtig verzweifelt und suchte nach Ausreden, um den erneuten Auftrag nicht ausführen zu müssen.

      „Nicht mein Problem. Ich erwarte Vollzugsmeldung morgen früh. Wenn nicht, dann hole ich dich. Ich finde dich überall.“ Er legte auf und war zufrieden. Sie wussten nicht, wer er war und wer sie drängt, solch einen riskanten Auftrag zu erledigen. Diese Ahnungslosen; sollen sie doch im Ungewissen bleiben.

      Nein, zufrieden sieht anders aus. Aber vorerst konnte er nichts mehr tun, also musste er sich mit dem begnügen, was er jetzt in die Wege geleitet hatte.

      Bis morgen musste er warten und sich in Geduld üben.

      Aber, wenn wieder nicht…

      „Ulrich, was konnten Sie über den Anschlag noch rausbekommen?“

      Dietering und Ulrich saßen im Büro des Kriminalrats. Nur Remsen widersetzte sich der mehrmaligen Aufforderung, stand am Fensterbrett angelehnt und schaute ausdruckslos auf die beiden. Er musste seinem Chef beweisen, dass er, Remsen immer noch derjenige ist, der mit genialen Ideen die beste Aufklärungsrate für sich reklamieren kann. Das sollte der Sepp nie vergessen.

      Außer die üblichen Informationen über Zeitpunkt, Beobachtungen und Befragungen in der Nachbarschaft und der Begutachtung des Schadens, kam von Ulrich nicht viel. Dafür ergoss er sich in Spekulationen, die das Ergebnis des Einsatzes des Kriminaloberkommissars nicht wirklich aufbesserten.

      „Sie machen einen Sonntagsausflug auf Kosten der Steuerzahler und liefern nichts? Ulrich, da habe ich mehr erwartet. Was sollen wir nachher der Presse erzählen? Spekulationen weitergeben, oder was?“

      Ulrich sank auf seinem Stuhl immer mehr zusammen und konnte dem nichts entgegnen. Soll doch der Chef ihn abkanzeln: Wo nichts war, wollte er auch nichts erfinden. Dietering muss sich damit abfinden, dass weder die Weilham noch irgendein Nachbar mitten in der Nacht irgendetwas beobachteten.

      So war es eben, basta!

      Wenn es ganz eng wird, hilft auch Murphy nicht: Das hier ist eine Katastrophe für ihn. Zum Glück gab es jemanden, der ausnahmsweise mal nicht das Falsche machte. Eine Negation des Gesetzes von Murphy?

      Ohne Anklopfen flog die Tür des Büros auf und Staatsanwalt Stiegermann trat ein. Wie es seine Art war, erwartete er, dass alle Anwesenden ihm die Aufmerksamkeit schenkten. Sein Auftritt. Als Erster drehte sich jedoch Remsen um und schaute aus dem Fenster; hinaus in den mausgrauen Novembersonntag. Leck mich, mehr fiel Remsen nicht ein.

      Torsten Stiegermann galt als Überflieger in der Staatsanwaltschaft. Hier in Vesberg sah er seine Aufgabe nur als Übergang an. Kurzfristig und immer auf dem Sprung nach Größerem. Er verspürte keinerlei Lust, einen Tag länger als nötig auf diesem Provinzposten zu verharren. So ging er recht rigoros in seiner Arbeit vor und scheute sich durchaus nicht, auch mal die Falschen anzuklagen. Hauptsache für ihn war, dass seine Ermittler eine hohe Aufklärungsquote lieferten und er fleißig anklagen konnte.

      In der Zeit der damaligen DDR konnte er Jura studieren. Ein Privileg, welches nur wenige genießen durften. Remsen kümmerte sich eigentlich nie darum, was Stiegermann früher so gemacht hatte. Es interessierte ihn schlicht nicht. Der Mann interessierte ihn ganz und gar nicht. Und er hätte auch nichts dagegen, wenn Stiegermann morgen nach Berlin oder Timbuktu versetzt werden würde. Wichtigtuer, Lackaffe mit eher primitiven Showfähigkeiten. Die bislang wenigen gemeinsamen Auftritte bei Pressekonferenzen und Gerichtsverhandlungen waren es wert, in einem Fortsetzungsroman erwähnt zu werden. Während Remsen Stiegermann überhaupt nicht akzeptierte und auch nicht mehr vorsah, das zu ändern, wusste zumindest der Staatsanwalt, dass er ohne die oft grenzgeniale Vorarbeit von Remsen nicht so blendend dastehen würde, wo er heute ist: immer mit einer Hand an der nächsten Sprosse der Karriereleiter.

      „Was haben wir Greifbares? Können wir den Pressefutzis genug anbieten?“ Sein Blick schweifte durch den Raum und blieb zunächst beim Kriminalrat Dietering hängen. Der Ranghöchste war immer sein erstes Opfer, bevor er gerne den anderen Ermittlern dessen Grenzen aufzeigte. Nur die Anwesenheit von Remsen behagte ihm überhaupt nicht.

      „Guten Tag Herr Stiegermann“, Dietering war im Dienst immer förmlich, während sich beide privat duzten. Da war mal ein Grillabend, den Kriminaloberkommissar Ulrich gegeben hat, mit jeder Menge Bier und viel Hochprozentigem, da haben sich beide auf das ‚Du‘ geeignet; halbherzig, wie es heutzutage üblich ist.

      „Wir wissen wer die beiden Toten sind, können den Tathergang rekonstruieren und wissen auch, dass die beiden am Freitagabend über den Autobahn-Grenzübergang nach Deutschland eingereist sind.“ Viel mehr bot Dietering nicht.

      „Russin“, lieferte Remsen nach, da sein Chef diese wichtige Information vergessen hatte.