Irene Dorfner

Der Heinrich-Plan


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können doch aus dem Dokument, das Sie in der Hand halten, unschwer erkennen, dass wir berechtigt sind, die Leiche von unserer Pathologin Dr. Künstle untersuchen zu lassen,“ schaltete Leo sich jetzt ein.

      „Ja, das kann ich. Aber wie ich schon bereits mehrfach gesagt habe, kann ich Ihnen die Leiche nicht geben.“

      Christine hatte schon angesetzt, um den Kollegen weiter zu beschimpfen, als Leo sie stoppte.

      „Warum können Sie uns die Leiche nicht geben?“

      „Weil ich sie gar nicht hier habe. Ich kenne diesen Namen überhaupt nicht. Das versuche ich schon die ganze Zeit zu sagen, aber diese Frau lässt mich nicht zu Wort kommen.“

      Jetzt waren alle sprachlos.

      „Wieso ist die Leiche nicht hier? Sie muss doch heute Nacht ungefähr gegen 24.00 Uhr hier eingeliefert worden sein. So steht es zumindest in dieser Akte, die ich eben von Albert Steinberger bekommen habe.“

      „Nein. Es ist definitiv seit gestern früh keine neue Leiche eingeliefert worden. Sehen Sie selbst.“ Er übergab Leo eine Liste mit den Eingängen der letzten Tage. Tatsächlich. Es war weder eine Leiche mit Namen Mahler, noch ein Eingang in der letzten Nacht verzeichnet.

      Leo griff sofort zum Telefon und wählte Steinbergers Nummer, der jedoch nicht ans Telefon ging.

      „Den kauf ich mir,“ sagte Leo und ging los. Christine und Georg folgten ihm. Diesmal fuhr Georg den Wagen und Leo informierte seinen Vorgesetzten Zeitler über die hiesigen Missstände. Der reagierte ungehalten und rief umgehend seinen Passauer Kollegen Hartmann an.

      Im Präsidium war Steinberger nicht auffindbar. Niemand wusste, wo er war. Das Telefongespräch seines Vorgesetzten mit dem Chef der hiesigen Polizei hatte jedoch zur Folge, dass sie uneingeschränkt grünes Licht für weitere Ermittlungen bekamen und ihnen auch jegliche Unterstützung zugesagt wurde. Außerdem wurde ihnen der Bericht eines Polizisten über den Unfall Mahler übergeben, der der Akte noch nicht beigefügt war. Diesem Bericht entnahmen sie, dass die Leiche bereits schon vom Unfallort direkt in ein Bestattungsunternehmen abtransportiert wurde, dessen Name und Adresse aus den Unterlagen ersichtlich war. Das widersprach sich jetzt völlig. In der Akte stand, dass die Leiche in die Pathologie gebracht wurde und laut dem Bericht des Polizisten war die Leiche direkt zum Bestattungsunternehmen gebracht worden. Was war hier los?

      Umgehend setzten sich Leo, Georg und Christine in den Wagen und fuhren zu dem Bestattungsunternehmen. Leo versuchte fortlaufend, dort jemanden telefonisch zu erreichen, jedoch war ständig besetzt. Nach endlosen Minuten erreichte er schließlich eine freundliche junge Frau.

      „Hier Leo Schwartz von der Polizei Ulm. Ich rufe an wegen der Leiche Tim Mahler, die Sie heute Nacht bekommen haben.“

      „Das muss ein Missverständnis sein,“ flüsterte sie fast ins Telefon, „bei uns ist keine Leiche mit diesem Namen und wir haben auch letzte Nacht keinen neuen Kunden hereinbekommen.“

      „Sind Sie sich ganz sicher?“ Leo war außer sich. Hatte dieser Steinberger auch die Adresse des Bestattungsunternehmens gefälscht?

      „Ja, ich bin mir ganz sicher. Wir haben seit zwei Tagen keinen neuen Kunden bekommen.“

      Leo musste einen Moment durchatmen. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Welches Spiel wurde hier gespielt?

      „Gibt es noch weitere Bestattungsunternehmen in Passau?“

      „Natürlich, wir haben in Passau eine große Konkurrenz. Es gibt noch vier weitere Unternehmen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Namen und Telefonnummern geben.“

      „Das wäre sehr freundlich.“ Leo notierte sich Namen und Telefonnummern. Georg hatte mitgehört und war rechts rangefahren.

      „Habe ich das richtig verstanden? Die Adresse des Bestattungsunternehmens in den Unterlagen stimmt nicht? Das gibt es doch nicht!“ Christine war außer sich. So etwas hatte sie noch nie erlebt.

      „Ja, du hast richtig verstanden. Das ist unglaublich. Steinberger hat die kompletten Unterlagen manipuliert. Hoffentlich finden wir die Leiche des Jungen.“ Leo wählte eine Nummer nach der anderen und hatte bei der dritten Nummer Glück.

      „Ja, wir haben heute Nacht eine Leiche bekommen, ein Unfallopfer. Wir haben den Auftrag bekommen, den Leichnam so schnell wie möglich zu verbrennen.“

      „Unter keinen Umständen wird die Leiche verbrannt, bis wir sie gesehen haben, ist das klar? Sie haften mir persönlich dafür. Wir sind unterwegs.“

      „Gut, wenn Sie das sagen, dann warten wir.“

      Leo notierte die Adresse und Georg fuhr los. Zur Sicherheit rief Leo noch das vierte Beerdigungsunternehmen an, die zwar eine Leiche während der Nacht bekamen, aber dabei handelte es sich nicht um ein Unfallopfer. Auch diese Leiche sollte so schnell als möglich verbrannt werden. Leo gab strikte Anweisung, noch nichts zu unternehmen, bis er sich wieder melden würde.

      „Da brauche ich aber etwas Amtliches in den Händen, das müssen Sie verstehen. Was soll ich den Angehörigen sagen? Mir ist lieber, ich habe ein amtliches Schriftstück in den Händen, das ich vorzeigen kann.“

      Leo verstand den Mann und telefonierte mit seinem Vorgesetzten Zeitler, der versprach, umgehend ein entsprechendes Dokument per Fax direkt an das Unternehmen zu schicken.

      Im Bestattungsunternehmen angekommen, wurden sie bereits erwartet. Sie ließen sich das Unfallopfer zeigen, das ziemlich übel zugerichtet war. Eine Identifizierung war unmöglich. Christine sah sich den Mann an und runzelte die Stirn.

      „Wie alt ist dieser Junge, der heute Nacht umgekommen ist?“

      „20. Warum ?“

      „Weil dieser Mann hier mindestens 30 ist, eher 35.“

      Leo nahm den Totenschein zur Hand, den ihm der Mitarbeiter des Unternehmens übergeben hatte. „Hier steht eindeutig Mahler, Tim, 20 Jahre.“

      „Das kann nicht sein, der Mann hier ist eindeutig älter. Was weißt du noch über diesen Mahler? Ich meine, die Leiche ist in einem sehr schlechten Zustand, vielleicht müssen wir eine DNA-Analyse machen. Ich bin mir absolut sicher, dass dieser Mann älter ist.“

      „Mahler war Sportler, Fußball-Spieler. Er studierte nicht nur Sport, sondern war wegen seines Talents bereits in Verhandlungen mit Spitzenvereinen.“

      Christine schüttelte energisch den Kopf.

      „Das hier war nie und nimmer ein Sportler. Sieh dir die Beinmuskulatur an, die ist bei einem Fußball-Spieler viel ausgeprägter, da ist ja quasi gar nichts. Der Mann hier hat niemals dauerhaft Sport gemacht.“

      Leo war stinksauer. Albert Steinberger hat nicht nur die ganze Akte manipuliert, sondern besaß auch noch die Dreistigkeit, Toten falsche Namen zuzuordnen.

      „Kommt. Wir müssen uns noch eine Leiche ansehen.“

      „Das hier ist Peter Kremer, 32 Jahre. Den haben wir heute Nacht geholt,“ sagte der Angestellte des Bestattungsunternehmens. „Plötzlicher Herzstillstand steht auf dem Totenschein.“ Leo und Georg besahen sich die Unterlagen, Christine trat an den Sarg.

      „Der ist eindeutig jünger als 32 Jahre.“

      Leo versetzte es einen Stich, als er in das junge, hübsche Gesicht von Tim Mahler blickte, das vom Bestattungsunternehmen für die Verbrennung zurechtgemacht wurde. Die Leiche war unversehrt.

      Der Leichnam Mahler wurde in die Pathologie gebracht. Bei Christines Anblick stöhnte der Pathologe laut auf, half ihr jedoch bei der Autopsie. Christine hatte ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen und zeigte sich von ihrer besten Seite. Sie gab ihm hilfreiche Tipps und er bewunderte ihr Geschick. Bis sie ihre Arbeit beendeten, war ihr Umgangston schon fast freundschaftlich.

      Leo und Georg warteten währenddessen draußen. Die beiden wurden von Polizisten auf dem Laufenden gehalten, was die Suche nach Albert Steinberger betraf, aber leider blieb er verschwunden. Steinberger wurde von Hartmann persönlich zur Fahndung