Karl-Heinz Biermann

Gezeitenstrom


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es Mord war, und wir haben eine Verdächtige.“

      „Sie bleiben also bei einer Mordtat und haben die Frau des Bürgermeisters im Verdacht.“ Die beiden Beamten waren zusammen mit dem Inselpolizisten in den Dienstwagen gestiegen.

      „Sie sind beide verdächtig.“

      „So? Gleich zwei?“ Der Kommissar schaute kurz mit hochmütigen Seitenblick nach seinem jungen Kollegen und dann in den Rückspiegel. „Und was sagen Sie, Peters?“ Damit meinte er den Inselpolizisten hinten auf dem Rücksitz. „War der Bürgermeister erpressbar?“

      „Ja, und sind hier demnächst irgendwelche Wahlen?“, flocht Wagner ein und fing sich erneut einen geringschätzigen Blick seines älteren Kollegen ein. Der Kommissar steuerte den Wagen soeben durch Tammensiel.

      Frank Peters, der Inselpolizist, zog die Schultern hoch.

      „Aber Sie können doch sicher sagen, wo sich der Bürgermeister mit seiner Geliebten zu ihren Schäferstündchen trafen?“, forschte Kommissar Brandt weiter.

      „Soviel ich weiß, benutzten sie dafür das Leuchtturmwärterhäuschen“, kam die Antwort von hinten.

      Die Kieler Kriminalbeamten schauten sich kurz an.

      „Sicher haben Sie auch schon das Motiv für einen Mord.“ Der Kommissar sah wieder geradeaus und meinte seinen neben ihm sitzenden jungen Kollegen.

      Der Kriminalmeister schüttelte mit dem Kopf. „Dazu ist es zu früh. Lassen Sie mich den Bericht der Spurensicherung lesen, ob die etwas Interessantes in dem Häuschen gefunden haben.“

      „Reichen Sie ihm die Mappe rüber.“ Kommissar Brandt sah im Rückspiegel nach dem Inselpolizisten.

      „Es sollten nicht mehr als zwei DNA zu finden gewesen sein.“ Der junge Wagner blätterte in den Unterlagen auf seinem Schoß. „Hier sind aber viel mehr festgestellt worden. Ich dachte, das Leuchtturmwärterhaus sei nicht mehr in Betrieb.“

      „Sie glaubten wohl nur die DNA des Liebespaares zu finden? Was ist, wenn die Ehefrau des Bürgermeisters die beiden dort überrascht hat? Sie selbst sagten doch, dass Sie die Frau im Verdacht haben.“

      Der Kommissar hatte den Dienstwagen jetzt bis an den Deich auf der Nordseite der Insel gesteuert. Langsam ließ er das Auto weiterrollen, die Straße verlief nun wieder ins Inselinnere.

      „Ich sagte ja bereits, Pellworm ist nicht so groß“, ging der einheimische Polizist auf die zögerliche Fahrweise des Kieler Beamten ein. „Die Hauptstraße führt nur einmal ringsum.“

      „Und die Häuser dort hinten?“

      „Bauernhöfe und Ferienwohnungen in den Kögen, nur über unbequeme Wirtschaftswege zu erreichen“, erklärte Frank Peters.

      4

      Entgegen der herbeigehofften Annahme der Beamten gab es auf dem väterlichen Hof des Bürgermeisters und offensichtlich auf der gesamten Insel nicht die geringste Spur desselben, selbst der einheimische Polizist konnte das ihm bekannte Auto des Inselvorstehers ringsum nirgends ausmachen und so beendete Kommissar Brandt die Rundfahrt, nicht ohne immer wieder bis zu den Deichen hin Ausschau gehalten zu haben, ob nicht doch noch irgendetwas Verdächtiges in seine Augen kommen sollte. Bald führte er sein Tun ad absurdum; seine in die Eintönigkeit dieser ihm fremden Inselwelt hinausgeworfenen Blicke erschienen ihm völlig ohne Sinn.

      Er dachte daran, noch mal zur Ehefrau des Bürgermeisters zu fahren, allein schon, um sie zu vernehmen und von ihr eine Speichelprobe zum Zweck der DNA-Analyse zu entnehmen. Diese müsste dann wiederum zum Festland geschickt werden, dachte er, oder die Spurensicherung kam von dort erneut hierher. Alles umständlich, dachte er weiter, alles verlängerte nur seinen Aufenthalt hier auf dieser Insel.

      Aber so war es nun mal und mit einem knappen Blick sah er nach Wagner und stimmte insgeheim seinem jungen Kollegen zu. Es gab Motive zweier Verdächtiger: der Bürgermeister hatte sich seiner jungen Geliebten warum auch immer entledigt und war geflohen. Seine Ehefrau konnte aus Eifersucht gehandelt haben, obwohl sie selbst fremdging. Es konnte zu einem Streit gekommen sein, sie hatte dabei ihre Nebenbuhlerin auf der Treppe zum Leuchtturm zu Fall gebracht – dann wäre es immer noch Totschlag. Theorien, dachte er, alles Theorien, ein ganzes Berufsleben lang immer dieselbe Denkweise, bis die Fälle aufgeklärt waren – oder auch nicht. Er wollte nicht weiter darüber sinnieren, dass es auch solche gab, die bis dato nicht zu Ende gebracht worden waren.

      Aber bald war sowieso Schluss. Er sah wieder nach seinem Amtskollegen. „Lassen Sie den Bürgermeister zur Fahndung ausschreiben“, brummte er.

      „Das wollte ich eh vorschlagen.“ Der junge Kriminalmeister wandte sich nach hinten zum Inselpolizisten. „Das machen wir auf dem Computer in der Wache.“

      „Vielleicht ist er auch nur mal rüber zum Festland.“ Der Kommissar stoppte den Wagen vor der Polizei-wache in Ostersiel. „Das lässt sich sehr leicht feststellen. Fragen Sie die Besatzung der Fähre, die erinnern sich bestimmt.“

      „Falls er mit der Fähre rüber ist. Er könnte auch mit einem beliebigen Boot unbemerkt auf und davon sein“, entgegnete Wagner.

      „So? Wie Sie meinen.“ Der Kommissar blieb am Steuer des Dienstautos, während die beiden anderen ausstiegen. Der Kriminalmeister schaute abwartend durch die noch geöffnete Beifahrertür nach seinem älteren Kollegen.

      „Machen Sie das mal allein, da muss ich nicht dabei sein.“ Der Kommissar bedeutete ihm, die Tür zuzuwerfen. Dann wendete er den Wagen und während er die Straße befuhr, die rings um die Insel führte, nahm er den Hörer des Autotelefons und ließ sich mit dem Staatsanwalt in Husum verbinden, der daraufhin umgehend per Fax an die kleine Polizeistation auf Pellworm die Vornahme einer Speichelprobe bei Lina Olsen, der Frau des Bürgermeisters veranlasste. Ich brauche dafür keinen Computer, dachte Kommissar Brandt, und fuhr zurück zu seiner Pension in Klostermitteldeich, warf sich dort, so wie er war – nur die Schuhe hatte er vorher abgestreift – aufs Bett und gönnte sich einen Mittagsschlaf, wie er meinte, einen verdienten.

      Am späten Nachmittag holte er Lina Olsen in Begleitung seines Kollegen Wagner und des Inselpoli-zisten ab und sie nahmen sie mit auf die örtliche Polizeiwache nur wenig weiter.

      Eine Stunde später, nachdem ihr die Speichelprobe entnommen worden war, und zwar durch den jungen Kriminalmeister, der sich dazu förmlich aufgedrängt hatte – und Kommissar Brandt den Eifer seines Kollegen dabei kritisch beobachtete –, betrat ein Mann die Wache.

      Ohne Umschweife stellte er sich als der Freund der Frau des Bürgermeisters vor und er sei als Vogelschutzwart tätig. Er wolle bezeugen, mit Lina Olsen den ganzen vorgestrigen Abend zusammen gewesen zu sein, bis kurz nach Mitternacht; zu diesem Zeitpunkt war nach Angaben der Spurensicherung die Geliebte des Bürgermeisters bereits tot.

      Noch bevor der Kommissar darüber spekulieren wollte, wie der Mann da vor ihm so schnell an die

      Information gekommen war, dass sie die Frau hier auf der Wache als Verdächtige hatten, fügte dieser hinzu, die komplette Stammgästeschaft des „Dorfkrugs“ in Tammensiel könne bezeugen, dass er und Lina Olsen den ganzen Abend über nicht ein einziges Mal die Wirtsstube verlassen hätten.

      Dieses angebliche Alibi bedeute nichts für die beiden, brummte der Kommissar ihm zu, aber er wusste, dass dieses Alibi erst einmal saß, wenngleich er auch die Möglichkeit in Betracht zog, all diese Stammgäste der Kneipe dazu einzeln zu vernehmen. Er kam aber dahin, dass es, außer einem noch längeren Aufenthalt hier auf Pellworm, letztlich zu nichts weiterem führen würde. Den Verdacht auf die Frau des Bürgermeisters musste er fallenlassen.

      Auch der junge Wagner hatte bei den Ausführungen des Vogelschutzwarts einige Male bedächtig genickt, wie der Kommissar ärgerlich an ihm feststellen wollte.

      „Bleibt noch die Frage nach Ihrem Ehemann“, ließ er dennoch nicht nach. „Solange Sie mir nicht sagen wollen, wo er ist oder wann er zurückkommt, muss ich annehmen, dass sie beide“, der Kommissar zeigte dabei