dauerte noch immer fort. Die Leti wollte sich für die Weigerung der Königin rächen; und da sie fest entschlossen war, mich zu verlassen, wollte sie mir noch einen Denkzettel hinterlassen. Ich glaube, sie hätte mir am liebsten einen Arm oder ein Bein gebrochen; nur wagte sie es nicht, aus Furcht, dass es herauskommen würde. So tat sie denn, was sie nur konnte, um mir das Gesicht zu verderben, gab mir Faustschläge auf die Nase, dass ich manchmal davon blutete wie ein Ochse.
Inzwischen kam wieder eine Antwort auf einen zweiten Brief, den sie an Lady Arlington geschickt hatte. Diese Dame schrieb, sie möge nur nach England kommen, woselbst sie Schutz bei ihr finden, ja auf eine zu erwirkende Pension zuversichtlich hoffen dürfe. Die Leti reichte darnach wiederholt ihr Abschiedsgesuch bei der Königin ein, in einem Brief, der noch unverschämter als der erste war. „Ich muss wohl sehen“, schrieb sie, „dass Eure Majestät nicht gewillt sind, mir die Rechte zuzuerkennen, die ich beanspruche. Mein Entschluss ist gefasst. Ich bitte dringend um meine Entlassung. Ich will diesem barbarischen Lande, in dem ich weder Geist noch Vernunft vorgefunden habe, den Rücken kehren und mein Leben in einer milderen Gegend beschließen, wo das Verdienst seinen Lohn findet und wo der regierende Herr nicht allerlei nichtsnutzige Offiziere auszuzeichnen beliebt, wie es hier der Brauch ist, und Leute von Geist geringschätzt.“ Frau von Roucoulles war zugegen, als die Königin diesen Brief empfing. Die Fürstin teilte ihn ihr mit, sie war außer sich vor Zorn. „Aber mein Gott!“ sagte die Dame, „so lassen Sie diese Kreatur doch gehen, es wäre das größte Glück für die Prinzessin. Das arme Kind leidet Qualen bei ihr, und ich fürchte, man bringt sie Ihnen eines Tages mit zerschlagenen Rippen; denn sie wird windelweich geschlagen und riskiert, jeden Tag zum Krüppel zu werden. Die Mermann wird Eurer Majestät besser als alle darüber berichten können.“ Die Königin war sehr erstaunt und ließ meine gute Amme holen. Diese bestätigte ihr alles, was Frau von Roucoulles eben behauptet hatte, und setzte hinzu, sie habe nicht gewagt, früher davon zu sprechen, da die Leti sie einschüchterte, indem sie vorgab, einen großen Einfluss auf die Königin zu besitzen, und ihr drohte, sie würde sie wegjagen lassen. Die Königin zögerte nun nicht länger, den bewussten Brief dem König vorzuzeigen. Dieser war darüber so empört, dass er die Leti sofort nach Spandau geschickt hätte, wenn ihn die Königin nicht daran gehindert hätte.
Sie wusste gar nicht, wen sie nun zu meiner Erzieherin erwählen sollte; sie schlug dem König zwei Damen vor (deren Namen ich nie erfuhr), aber er wies sie beide zurück und ernannte Fräulein von Sonsfeld zu diesem Posten.
Fräulein Dorothea Luise von Sonsfeld – 1681 – 1746
Ich kann meinem Vater für diese Wohltat nicht dankbar genug sein. Fräulein von Sonsfeld stammt aus einem sehr vornehmen Hause, das mit den besten des Landes verwandt ist; ihre Ahnen zeichneten sich durch ihre Verdienste sowie durch die hohen Ämter aus, die sie bekleideten. Eine geschicktere Feder als die meinige vermöchte kaum eine würdige Schilderung von ihr zu entwerfen. Ihr Charakter wird sich im Laufe dieser Memoiren deutlich zeigen. Er darf als einzig gelten, als eine Zusammensetzung von Tugenden und Gefühlen; Geist, Tatkraft und Großmut vereinen sich bei ihr mit einem reizenden Wesen. Ihre vornehme Höflichkeit flößt Achtung und Vertrauen ein; neben all diesen Vorzügen hat sie ein sehr angenehmes Äußeres, das sich bis in ihr Alter erhielt. Sie war Hofdame meiner Großmutter, der Königin Charlotte, gewesen und vertrat dieselbe Stellung im Hause meiner Mutter, der Königin. Sie hatte sehr glänzende Partien ausgeschlagen, da sie nie heiraten wollte.
Großmutter Sophie Charlotte
Sie war vierzig Jahre alt, als sie bei mir eintrat. Ich liebe und verehre sie wie meine Mutter; sie ist heute noch bei mir, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird nur der Tod uns trennen.
Die Königin konnte sie nicht leiden; sie stritt lange mit dem König, aber am Ende musste sie nachgeben, da sie keine triftigen Gründe für ihre Abneigung angeben konnte. Ich wurde von all dem durch meinen Bruder unterrichtet, der dem Gespräche beiwohnte; mir selbst hatte es die Königin verheimlicht. Sie war sehr erstaunt, als sie mich bei ihrer Rückkehr in ihre Gemächer in Tränen fand. „Aha!“ sagte sie, „ich merke wohl, dass Ihr Bruder Ihnen alles hinterbracht hat und dass Sie Bescheid wissen. Sie sind wahrlich töricht, dass Sie deshalb weinen. Haben Sie die Schläge noch nicht satt?“ Ich beschwor sie, die Leti doch wieder zu begnadigen; allein sie antwortete mir, dass ich mich darein schicken müsste und dass die Sache nicht mehr zu ändern sei. Fräulein von Sonsfeld, die sie hatte rufen lassen, erschien in diesem Augenblick; sie nahm sie bei der Hand, mich bei der andern, und führte uns zum König. Dieser zeigte sich sehr zuvorkommend und sagte ihr dann, welches Amt er ihr zugedacht habe. Ihr Verhalten war sehr ehrfurchtsvoll, doch bat sie den König auf das dringendste, sie mit diesem Amte zu verschonen, da sie sich ihm nicht gewachsen fühle. Der König ließ keines ihrer Bedenken gelten, aber nur auf sein Drohen hin fügte sie sich endlich; er verlieh ihr einen Rang und sicherte ihr allerlei Vorteile sowohl für sie als auch für ihre Familie zu. Sie wurde am dritten Ostertage als meine Hofmeisterin eingesetzt.
Das Unglück der Leti ging mir äußerst nahe, sie wurde sehr rücksichtslos verabschiedet. Der König ließ ihr durch die Königin sagen, dass er sie am liebsten nach Spandau geschickt hätte; sie dürfe nicht mehr wagen, sich vor ihm zu zeigen und müsse innerhalb acht Tagen den Hof sowie das Land verlassen. Ich tat, was ich konnte, um sie zu trösten, und bezeigte ihr viel Freundschaft. Ich besaß nicht viel in jener Zeit, dennoch schenkte ich ihr an Steinen, Schmuck und Silbersachen etwa fünftausend Taler, von allem abgesehen, was sie von der Königin erhielt. Trotzdem hatte sie die Bosheit, mich gänzlich zu berauben; und am Tage nach ihrer Abreise hatte ich kein Kleid mehr übrig, da die Person alles mitgenommen hatte. Die Königin musste mich von Kopf bis zu Fuß neu ausstatten.
Ich gewöhnte mich bald an meine neue Vorgesetzte. Fräulein von Sonsfeld beobachtete erst mein Temperament und meinen Charakter. Sie merkte, dass ich außerordentlich schüchtern war; ich bebte, wenn sie ernst wurde, und getraute mir nicht zwei Worte zu sagen, ohne zu stocken. Sie verhehlte der Königin nicht, dass man trachten müsse, mich zu zerstreuen und mich mit großer Schonung zu behandeln, um mir Mut zu machen; ich sei sehr lenksam, und wenn man an mein Ehrgefühl sich wende, könne man alles mit mir erreichen. Die Königin ließ ihr in meiner Erziehung ganz freie Hand. Sie unterhielt sich täglich über unverfängliche Dinge mit mir, und indem sie sich auf die Ereignisse des Tages bezog, suchte sie mein Gefühlsleben zu wecken. Ich fing an mich des Lesens zu befleißigen, und es wurde bald meine liebste Beschäftigung. Sie feuerte mich so geschickt an, dass ich auch an meinen anderen Studien Interesse fand. Ich lernte Englisch, Italienisch, Geschichte, Geographie, Philosophie und Musik. In kurzer Zeit machte ich erstaunliche Fortschritte. Ich lernte jetzt mit solchem Eifer, dass man meiner übergroßen Lernbegierde einen Zaum anlegen musste. So verbrachte ich zwei Jahre; und da ich nur solche Tatsachen verzeichne, welche der Mühe lohnen, gehe ich zum Jahre 1722 (Wilhelmine war 13jährig) über.
Es setzte gleich mit erneuten Widerwärtigkeiten für mich ein. Da jedoch vom englischen Hof in diesen Memoiren viel die Rede sein wird, geziemt es sich, dass ich einiges darüber sage. Der König von England war ein Fürst, der sich zwar etwas auf seine Gesinnungen zugutetat, aber zu seinem Unglück hatte er sich nie die Mühe gegeben, zu ergründen, wie sie zu betätigen seien. Viele Tugenden, maßlos betrieben, werden zu Lastern. Es war sein Fall. Er befliss sich einer Festigkeit, die in Rauheit ausartete, einer Ruhe, die man Indolenz nennen durfte. Seine Großmut erstreckte sich nur auf seine Günstlinge und Mätressen, von denen er sich beherrschen ließ, der Rest der Menschheit war davon ausgeschlossen. Seit seiner Thronbesteigung war er unerträglich hochmütig geworden. Zwei Eigenschaften machten ihn achtenswert: seine Gerechtigkeit und sein Billigkeitssinn; er war nicht böse und setzte seinen Stolz darein, Leuten, denen er wohlgesinnt war, treu zu bleiben. Im Umgang zeigte er sich kalt, sprach wenig und hörte nur gerne von Albernheiten sprechen.
Gräfin Melusine von der Schulenburg – 1667 – 1743
Die Gräfin Schulenburg, nachherige Herzogin von