Paul Stefan Wolff

Hanna im Herzland


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suchten.

      Äste wurden ihnen entgegen geweht, das Grün der Sträucher verlor mehr und mehr Blätter, schließlich war der Sturm genau über sie und ein prasselnder Regen wie hämmernde Bässe drosch auf den Boden ein. Pfützen bildeten sich schnell, dann quollen sie auf und Wildbäche rissen die am Boden gedrückten Blumen mit.

      Dann war das Schlimmste vorbei und der Regen hörte so schnell auf, wie er gekommen war. Die hellen Strahlen aus dem Nirgendwo des Himmels drangen wieder zu ihnen durch. Alles wurde wie vorher, vereinzelte Blumen kamen wieder aus den Sträucherverstecken hervor, eilten wieder zu der Wiese. Das Wasser lief schnell in den Boden ein, dann war die Wiese wieder trocken. Und die Blumen legten sich wieder hin. Und sonnten sich wieder – als wäre nichts gewesen.

      „Meine Brüder“, schluchzte Blu, als sie die abgerissenen anderen Blumen sah.„Herzen können grausame Orte sein.“

      „Wie?“ fragte Hanna fassungslos. „Wie geht das?“

      „Der schlimmste Feind des Menschen sind seine eigenen Gedanken“, Blu versuchte ein Lächeln. „Die können heftig ausfallen. Aber genauso schnell wie sie kommen, so können sie auch wieder verschwinden. Hier passiert sehr viel im Zeitraffer. Das war noch gar nichts. Da waren noch keine Blitze dabei. Das sind dann die Panikattacken. Die extrem schneidend-dürren Winde der Depressionen, die können andauern… So ein Ding, wenn es sehr lange wütet, danach ist wenig so wie es vorher war. Dieses Herz hat Reparatur nötig“, stellte Blu fest. „Deswegen bist du hier. Neugierig?“

      Hanna nickte.

      „Dann gehen wir um die Ecke. Den Weg entlang.“

      Sie bogen ein und der Wald öffnete sich. Der Weg führte einen grünen Hügel hoch und oben darüber, auf dem Berg, befand sich eine Lichtung, denn von dort schien strahlendes Licht in den Weg hinein. Der Wald zu beiden Seiten war dicht und dunkel, der Weg unter den wuchernden Zweigen höhlengleich, märchenhaft. Und als sie auf halbem Wege ankamen, sah man ihn schon, den Turm der Sternwarte. Sie kamen an, große schwarze Steinquader bildeten die Mauern des Turms, blassgrünes Moos wuchs zwischen den Verbindungen, die schwere Eisentür war blankgeputzt. Kaum standen sie davor, da ging die Türe auf.

      Vor Hanna stand ein lächelndes Bürschchen von gerade mal vielleicht 9 oder 10 Jahren mit einer großen runden Brille.

      „Ich habe euch schon erwartet“, sagte dieser und öffnete die sehr laut knirschende Tür weit.

      Das Bürschchen deutete auf eine enge Treppe nach oben, es roch in dem dunklen Turm nach Staub und alten Büchern, er ging ihnen voran, lautstark ächzend bei jeder Stufe, die er nahm.

      „Du arbeitest wohl zu viel und treibst zu wenig Sport“, warf Hanna ein.

      „Ich bin 83 Jahre alt“, erklärte das Bürschchen schwer schnaufend. „Die Erkenntnis kann einen sehr klein machen. Und das Betrachten des Weltalls macht einen geradezu winzig.“

      Und dann waren sie oben. Ein großer, fast leerer Raum, hellbraune Dielenbretter am Boden, Steinquader die Wände. Hanna hatte ein Fernrohr erwartet, aber sie wurde enttäuscht. Das erwartete längliche Loch im Dach war da, ein Fernrohr war weit und breit nicht zu sehen.

      „Das Fernrohr fehlt“, bemerkte Hanna.

      „Das ist da“, das Bürschchen griff zu einem Monokel: „Hier, schau mal“, hielt es ihr hin.

      Sie nahm es entgegen, es sah wie ein normaler Monokel aus, zumindest das, was sie dafür aus Filmen hielt.

      „Oh, mein Gott!“ schrie Hanna. „Ist der groß! „Der…“, Hanna nahm die Sichthilfe wieder heraus. „Der Komet. Und er kommt genau auf uns zu.“

      „Der… der Komet...!“

      „...ist fast ein Weltzerstörer“, der Wissenschaftler nickte. „Er wird hier alles dem Erdboden gleichmachen. Es werden nur wenige überleben. Bis dahin hast du Zeit.“

      „Für was?“

      „Du sollst das Kind befreien“, Blu war wieder bestimmt. „Du wirst mit dem König kämpfen, du musst ihn töten. Und das Kind befreien.“

      „WAAS? Ich soll einen König töten? Mit einer Blume? Und hat der König kein Schloss? Keine Wachen? Soldaten?“

      „Hat er alles“, Blu nickte. „Aber du wirst es ja nicht morgen tun. Männer wachsen vielleicht mit den Frauen. Frauen jedoch wachsen mit ihren Aufgaben.“

      „Und was hat das Ganze mit dem Kometen zu tun?“ Hanna verstand gar nichts.

      „Und was hat das Ganze auch noch mit dem Philosophen Nietzsche zu tun? Und was mit dem vielleicht wichtigsten Buch der Welt?“ Blu lachte ihr ins Gesicht. „Du musst noch viel lernen und wir haben wenig Zeit. Nur in etwa sechs Wochen.“

      „Und da war ich wieder im richtigen Leben“, sagte die Frau in der Bar. „Denn in etwa dieser Zeit sollte die Entscheidung fallen für die Stelle in der neu zu gründenden Niederlassung in Paris.“ Sie lehnte sich zur Seite auf den Tresen, ihre dunkelblonden mittellangen Haare fielen ihr seitlich ab.

      „Der Chef-Sohn, Mister Sanfter Überblick, war einfach die Wucht. Aber schnell stellte sich heraus, der hat eine Angestellte von irgendwo her abgeworben. Und ich sollte sie einarbeiten. Die Rosa.“ Sie erhielt ihre Getränke, nippte kurz am Wasser. „Ich wusste natürlich da längst, die Rosa, die sollte meine Konkurrentin sein. Werden. Meine Gegnerin im Kampf um Paris.“

      2.

      Sie war in der Frühe mit ihrem Hund Eddie 500 Meter Gassi gewesen, vor der Arbeit, der Morgen war mild und verlockend.

      Vielleicht hatte sich das Besondere schon angekündigt? Auf der vierspurigen Straße vom Bus zur Arbeit befand sich ein Pflasterstein, und zwar auf der zweiten Spur in die Richtung, in die sie ging. Sie bemerkte ihn, als der Unterboden eines Autos daran hörbar schleifte. Würde das nächste Auto sich den Unterboden aufreißen an dem Ding? Danach fuhr ein Reisebus darüber, der hat eine respektable Höhe. Direkt nach dem Bus waren der roten Ampel wegen längere Sekunden Zeit keine Autos mehr gekommen, nun, sie half gerne, wo und wenn sie was sah. Daher sprang sie behende zu dem Pflasterstein und schaffte das Monstrum unter den neugierigen Blicken der im Stau Wartenden beiseite. Da donnerten schon wieder Autos heran, sie musste sich beeilen. Als sie auf dem Gehsteig überlegte, wohin damit, hatte sie eine Idee.

      Helfen ist nicht unproblematisch, klärte sie mich auf, halb geholfen ist manchmal halb falsch gemacht. Sie sah eine Pfütze, ließ den Quader daneben fallen, rumpelte ihn dort hinein. Auch Randalierer meiden Pfützen. Die Leute sind pingelig mit eigenen kleinen Unannehmlichkeiten wenn man anderen große bereiten will.

      In der Arbeit war nichts Besonderes passiert. Bis auf die Alarmglocken, aber die waren aus gutem Grund. Und Rosa erschien am Nachmittag, auch nichts Besonderes.

      „Ich bin Rosa“, hatte die gesagt. „Du bist sicher Hanna.“

      „Ja. Wie sind Sie auf Schulz Öle, aufmerksam geworden?“

      „Der Sohn hat mich gefunden bei einem Headhunter“, hatte die geantwortet. „Und es stellte sich heraus, ich spiele im selben Verein Tennis wie der Senior.“ Die hatte also auch beim Senior ein Stein im Brett. Nichts Besonderes.

      Und zum Einstieg hatte diese blöde Rosa die Idee, mit hochwertigen Ölen kann man ja abnehmen. Ist auch so. Und also könnten sie fürs Marketing der hochwertigen Schulz-Öle einen Tennis-Cup ins Leben rufen – ein Wettbewerb für ältere Spieler ab 35.

      „Sehr gute Idee“, hatte Senior gesagt. „Ältere sind sensibilisierter für hochwertige Lebensmittel, sie haben auch eher das Geld dazu. Das könnte man überlegen...“

      „Altersklassen“, warf Rosa noch ein. „Sie, Herr Schulz, würden die Ü65 sicher gewinnen.“

      „Danke“, antwortete der geschmeichelt lächelnd. „Ich genieße unsere Öle auch jeden Tag...“

      „Perfekt!