kann, oder was es etwa beim Erwachen essen möchte. Über das Essen hinaus gibt es höchstens noch das Schlafen, und das tut dieses helle Himmelskind ohnehin. Wenn mir nur etwas Rechtes einfiele.
Als er noch darüber nachdachte und dabei die Stirn runzelte, wie es seine Art war, und den dunklen Kopf mit der spitzen Schnauze und den wirklich sehr schönen und klugen Augen hin und her bewegte, erwachte der Elf und sah den großen Hassan dicht vor sich stehen, so daß die kleine Höhle geradezu verdunkelt worden wäre, wenn das Elfenkleid nicht geglänzt hätte.
»Wo kommst denn du her?« fragte der Elf und lächelte.
»Da, so, von hinten her, irgendwoher,« stotterte Hassan in großer Verlegenheit, »nehmen Sie es nicht übel. Wenn Sie wollen, geh ich sofort wieder.«
»Nein, bleib nur,« sagte der Elf und erhob sich, »soviel ich weiß, bist du ein Igel, und wie mir scheint, sogar ein ganz prächtiger.«
»Nein, nein,« sagte Hassan rasch, »nur so einer wie alle, aber wenn Sie wollen, gehe ich gleich.«
»Hast du Eile? Siehst du nicht, wie schön es hier ist und wie strahlend der Tag werden will? Komm, wir gehen miteinander an den Bach. Übrigens kannst du ruhig du zu mir sagen, ich bin ein Blumenelf.«
»So, so, ein Blumenelf,« sagte Hassan, »das ist aber sehr angenehm für Sie. Wollen Sie wirklich mit mir zusammen gehen? Ich bin nicht beliebt, wissen Sie, und auch sonst, ich bin eben ein Igel ...« Hassan hatte eigentlich etwas anderes sagen wollen, aber er war zu verwirrt durch den Anblick dieses hellen Wesens mit seinen Flügeln, die sein Haupt überragten und schimmerten wie Schnee.
Sie gingen nebeneinander ans Wasser, und der Elf flog auf einen niedrigen Zweig des Berberitzenstrauchs, der ihn sanft schaukelte.
»Sehen Sie,« sagte Hassan, »Sie sind doch ein Engel.«
»O nein,« antwortete der Elf, »wenn du glaubst, ich sei ein Engel, so hast du niemals einen gesehen. Die Engel sind groß und leuchten wie die Sonne am Mittag, niemand kann in ihr Angesicht schauen, der nicht das seine vom Irdischen abgewandt hat.«
»Nun, ich dachte, Sie wären vielleicht einer von den kleineren Sorten«, meinte Hassan schüchtern und bewegte seine schwarze Nase an der Spitze. Darüber mußte der Elf lachen.
»Das sieht ungemein lustig aus, wenn du mit der Nase wackelst,« sagte er, »das kann nicht jeder.«
»Mit der Nase erfahre ich, was ich nicht sehen kann«, sagte Hassan, sehr stolz darüber, daß der Elf so viel Anteil an seiner Eigenart nahm.
»Flügel hätte ich wohl auch gern,« seufzte er nach einer Weile, »aber wo sollte man sie anbringen?« Er schaute bewundernd und glücklich zum Elfen empor, der mit dem Finger an die Tauperlen stieß und zusah, wie sie funkelnd ins Gras niederbrachen.
»Große Tropfen, nicht wahr?« sagte er nachdenklich. Endlich meinte er und sah auf:
»Ich bin nun schon lange Zeit auf der Erde und habe vielerlei erfahren, auch unter Menschen bin ich gewesen und habe ihre Worte gehört und ihre Hoffnungen, ihren Kummer. Es ist seltsam, wie sie und auch du und die meisten Wesen über die Engel denken. Sie glauben kaum noch daran, daß es welche gibt, und sehen sie selten. Vielleicht im Traum oder im Todesschmerz, auch wohl in ihrer höchsten Beseligtheit, aber es ist, als ob sie vergessen hätten, daß die Engel immer unter ihnen einhergehen. Wie oft hat ein himmlischer Engel ein Geschöpf angesehen, und es ist es nicht gewahr geworden. Woran mag es liegen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Hassan, der mit großer Spannung zuhörte. »Vielleicht liegt es an den Verhältnissen.«
»Du kannst es auch nicht wissen,« meinte der Elf, »ich glaube, um die Engel sehen zu können, muß man ein Mensch sein und ein großes und gutes Herz haben. Oder vielleicht eine Blume; manche Blumen kennen die Engel.«
»Kannst du etwa auch mit den Blumen reden, wie du mit mir reden kannst?« fragte Hassan erstaunt.
Der Elf nickte. »Wo ich Liebe finde, da kann ich mich verständigen«, sagte er. »Wäre mehr Liebe in der Welt, so würden sich alle verstehen.«
»Ach so,« meinte Hassan, »ja, das ist gut möglich.«
Der Elf sann nach, und nach einer Weile sagte er langsam, mit einem traurigen Ausdruck:
»Warum haben die Menschen die Engel vergessen? Sie kommen in vielerlei Gestalt zu ihnen und offenbaren ihre Gegenwart allen, deren Augen für die Gaben der Liebe offen geblieben sind und deren Herzen sich Andacht bewahrt haben und den freien Gleichtakt der Unschuld. Bald geht ein Engel dahin in der Gestalt eines Kinderlächelns oder im Lied eines Vogels, auch kommt er als ein jäher Sonnenblick in einen dunklen, öden Raum, oder als Erinnerung an genossenes Glück. In solchen Augenblicken sind die Engel willens, die Menschen zu führen, ihnen die Augen für das Rechte und Schöne zu eröffnen und ihnen den Weg ihres Heils zu zeigen. Kinder nehmen sie oft geradezu bei der Hand, so daß man es deutlich sehen könnte, wenn die Augen nur ein wenig dafür noch tauglich wären. Die Menschen nennen es einen glücklichen Zufall, wenn solch ein geliebtes kleines Wesen wie durch ein Wunder bewahrt bleibt, aber es sind immer die Engel in unsichtbarer Gestalt. Auch zu den Großen kommen sie in Stunden schwerer Entscheidungen, tiefer Erniedrigung oder hoher Beseligung. Sie können so deutlich reden, daß das Herz erschrickt, so liebreich trösten, wie nur himmlische Sendboten es vermögen; oft eröffnen sie Bedrückten durch einen Wink ihrer Hand einen Blick in eine schöne Zukunft oder sie weisen ein Herz auf sein angestammtes Recht zurück und erhellen seine Irrtümer, so daß ihm plötzlich der Gang der Welt um vieles gerechter erscheint, als noch eben zuvor, denn wer an Gerechtigkeit zu glauben vermag, wird nicht durch Mißgeschick in dauernde Finsternis gestoßen. Die Erinnerung und die Hoffnung sind ihre schimmernden Boten, im Gleichtakt zwischen ihren Mächten pocht jedes irdische Herz. Wessen Hoffnung aber zu erlöschen droht, dem gestalten sie, wie in einer stillen Abkehr der Seele, die Erinnerung um so strahlender. Immer stiften sie Helligkeit, Zufriedenheit, und endlich führen sie die Seelen in das Reich. Ach, arm ist eine Zeit, die den Glauben an die Engel verloren hat.«
»Ich glaube jetzt schon wieder daran,« sagte Hassan rasch, »was du sagst, ist schön, und weshalb sollte das Schöne nicht eher wahr sein als das Arge?«
Der Elf sah Hassan liebevoll an:
»Ich wünsche dir, daß dir alles gut ausgeht, was du heute beginnst«, sagte er herzlich. »Ich fliege nun zu den Menschen, leb wohl.«
»Du fliegst in der Tat zu den Menschen, Elf? Da sähe ich mich doch lieber vor.«
»Es zieht mich zu ihnen,« antwortete der Elf und breitete seine Flügel aus, »ich kann nicht anders, aber ich werde am Abend wieder auf die Wiese kommen.« Damit flog er davon. Hassan sah ihm nach, bis er wie ein winziger Lichtschein zwischen den Baumstämmen verschwand. Er ist doch ein Engel, ein kleinerer, dachte er und versuchte zu begreifen, was ihm geschehen war und was er gehört hatte.
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