Matthias von Hellfeld

Das lange 19. Jahrhundert


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aus Russland begannen sich die europäischen Großmächte um eine antifranzösische Koalition zu bemühen. Die nationale Begeisterung in Deutschland kannte kaum Grenzen, als im Frühjahr 1813 Preußen und Russland Frankreich den Krieg erklärten. Bald darauf trat auch Österreich der antifranzösischen Koalition bei und erklärte Frankreich ebenfalls den Krieg. Im Sommer 1813 standen auf französischer Seite etwa 190.000 Soldaten aus Frankreich, Italien, dem Königreich Neapel, dem Herzogtum Warschau und aus einigen kleineren Staaten des Rheinbunds. Die Koalition brachte ein paar Tausend Soldaten mehr aus Preußen, Russland, Österreich und Schweden auf das Schlachtfeld vor den Toren Leipzigs. In der „Völkerschlacht“, die vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 stattfand, erlitt Frankreich eine Niederlage, Napoleon konnte der eigenen Gefangennahme nur durch eine überstürzte Flucht entgehen. Am gleichen Tag desertierten die Truppen der Rheinbundstaaten und läuteten das Ende der französischen Herrschaft in Deutschland ein. Als Napoleon das vom österreichischen Außenminister Clemens Fürst von Metternich übermittelte Friedensangebot ablehnte, britische Truppen aus Spanien vorrückten und die Koalitionstruppen Ende März 1814 vor den Toren von Paris standen, dankte er am 6. April 1814 ab und ging auf Elba ins Exil.

      Während die Siegermächte in Wien schon über eine Nachkriegsordnung in Europa diskutierten, kehrte Napoleon am 1. März 1815 aber noch einmal nach Paris zurück, wo ihn seine Anhänger mit großem Jubel empfingen. König Ludwig XVIII. musste fliehen, Napoleon dachte ein leichtes Spiel zu haben und erlies ein liberales Regierungsprogramm. Aber die Anti-Frankreich-Koalition reagierte sofort, stellte erneut ein Heer zusammen und zog am 18. Juni 1815 bei Waterloo in der Nähe von Brüssel erneut gegen Napoleon in die Schlacht. Als der Tag sich seinem Ende zuneigte, war die Entscheidung gefallen: Napoleon war besiegt und Europa von der französischen Vorherrschaft endgültig befreit. Der geschlagene Napoleon dankte ein zweites Mal ab und wurde erneut verbannt; dieses Mal auf die kleine Insel St. Helena im südatlantischen Ozean, wo der einstige Imperator am 5. Mai 1821 einsam und – wie er meinte - von der Welt unverstanden, starb.

      Napoleons Versuch, den Kontinent unter die Hegemonie eines Staates zu zwingen, war endgültig missglückt. Eine Einheit Europas unter französischem Protektorat war genauso zum Scheitern verurteilt, wie ein „arisches“ Europa unter deutschem Vorzeichen, das 120 Jahre später vom nationalsozialistischen Deutschland initiiert wurde. Auf Dauer war es Frankreich am Beginn des 19. Jahrhunderts nicht gelungen, genügend Macht und Stärke zu entwickeln, um das europäische Gleichgewicht langfristig zu seinen Gunsten zu verändern. Vitalität und Widerstandskraft der europäischen Völker waren stärker als die militärische Gewalt des nach der Alleinherrschaft strebenden französischen Kaisers. Ein weiteres Mal hatte sich gezeigt, dass Europa aus vielen Mitgliedern besteht, von denen keines groß und mächtig genug ist, um die anderen unter seine Fuchtel zu zwingen: Einer allein ist nicht stärker als die anderen zusammen.

      Am Ende der mehr als 10jährigen Besatzung durch die Franzosen und nach den Entbehrungen vieler europäischer Kriege fragten sich die Menschen in Deutschland, warum sie all das jahrelang ertragen haben. Familien, deren Väter oder Söhne auf irgendeinem Schlachtfeld liegen geblieben waren, wollten eine Antwort auf die Fragen, warum das Blut ihrer Angehörigen fließen musste. Nationalen und liberalen Intellektuellen gelang es, diese Fragen mit dem politischen Ziel eines geeinten Deutschlands zu verbinden. Einer der Wortführer war der Herausgeber des „Rheinischen Merkur“ Johann Joseph Görres. Er setzte sich in seiner Zeitung für liberale Ideen ein, wünschte sich „die nationale Freiheit der Deutschen“, und forderte im Sommer 1815 eine deutsche Verfassung:

      “Etwas Ganzes und Rechtes soll da werden, und man soll die Stimme des Volkes befragen, (die) an allen Orten spricht. Deutschland will eine Verfassung, die sichere, was das Volk mit seinem Blut erworben hat“.

      Diese pathetischen Zeilen dürften auch eine dunkle Vorahnung des Urhebers beinhaltet haben, denn die Ordnung, die die europäischen Potentaten nun ausarbeiteten, nahm auf nationale Wünsche oder Befindlichkeiten keine Rücksicht. Einzig die Angst vor erneuten Revolutionen und Umstürzen, bei denen die Monarchien in Mitleidenschaft gezogen werden würden, trieb die europäischen Regenten an, als sich daran machten, eine Nachkriegsordnung zu verabreden. Die Deutschen in der Mitte des Kontinents fühlten sich zwar einerseits als Sieger über Napoleon, befürchteten aber andererseits auch, Opfer im Machtpoker…

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