Sommer für die Mädchenauswahl zuständig.
»Du hättest selbst die Auswahl trainieren können. Warum hast du das Angebot vom Verband nicht angenommen?«
»Ich habe es mir lange überlegt.« Hannah fuhr sich mit der Hand durch die schulterlangen, dunkelblonden Haare. »Ich habe das Gefühl, beim SV Winkelbach noch etwas bewegen zu können.«
»Na ja, man hört ja auch so einiges von eurem Verein.« Meier drückte die Zigarette an der Werbebande aus und schnippte die Kippe direkt in den Mülleimer.
»So, was denn?« Hannah kreuzte die Arme vor der Brust.
»Na ja, in eurem Herrenbereich wird doch kräftig investiert, seit dieser Grohmann Trainer der ersten Mannschaft ist. Spielt ihr überhaupt noch eine Rolle im Verein?« Er zündete sich eine weitere Zigarette an.
Hannah verzog das Gesicht, denn Meier hatte ins Schwarze getroffen. »Ohne Frauen- und Mädchenfußball kann heute fast kein Verein mehr bestehen«, sagte sie jedoch betont lässig.
»Komm, erzähl mir nichts. Der SV Winkelbach benötigt Geld. Deswegen habt ihr doch eure Trainingsplätze vermietet.«
Hannah sah ihn an. Dieser Mann war bestens vernetzt und wusste über alles Bescheid. Sie sah den Spielerinnen zu. Imke ließ in diesem Moment zwei Gegnerinnen aussteigen und schoss den Ball unhaltbar in den Winkel. Sie drehte sich zu ihrer Trainerin um und lachte über das ganze Gesicht. Hannah hob den Daumen.
»Kennst du Grohmann?«, fragte sie.
»Ja, er ist ein Erfolgscoach«, sagte Meier.
»Weil er so gut ist?«
»Seine Qualitäten als Trainer will ich nicht abwerten. Aber er hat in der Vergangenheit immer nur die Mannschaften trainiert, in die der Verein investierte. Er hat doch auch einige Spieler mitgebracht, oder?«
Hannah nickte. »Ja. Du bist bestens informiert.«
»Denk über mein Angebot nach. Beim SV Winkelbach wirst du dich in Grabenkämpfen aufreiben. Mit deiner Trainerlizenz wirst du bei uns auch finanziell besser dastehen. Der SVW wird dir doch nur ein Taschengeld auszahlen.«
Hannah zwinkerte ihm zu: »Du weißt doch, dass ich gerne Herausforderungen annehme. Das Finanzielle könnte in der Tat rosiger aussehen. Trotzdem danke. Vielleicht kommen wir irgendwann mal zusammen.«
Ein komplizierter Abend
»Tanja, Lydia, Dani – hier bei mir spielt die Musik«, rief Hannah den drei Mädchen zu, die kichernd zusammenstanden. Sie sahen zur anderen Seite des Platzes, auf der zeitgleich die männliche B-Jugend des SV Winkelbach trainierte.
Hannah klatschte laut in die Hände: »Auch wenn es schwerfällt, wir haben noch einiges vor.«
»Kommt schon«, rief Karin, die vorbildliche Spielführerin der Mannschaft. »Ich will trainieren.«
»Ist ja gut«, sagte Dani. »Wir sind doch da.«
Die drei schlenderten, immer noch feixend, zu ihren Mitspielerinnen. Tina, die Torhüterin und mit Tanja zusammen Imkes beste Freundin, verdrehte die Augen. »Mensch, was ihr an diesen Bubis nur findet.«
Einige Mädchen lachten.
»Wieso, wir beobachten doch nur«, sagte Dani. »Die wollen ja was von uns.«
»Das könnt ihr nach dem Training ausdiskutieren.« Hannah schüttelte den Kopf. »Auf meinem Trainingsplan stehen noch ein paar Torschussübungen und ein kleines Abschlussspielchen. Am Wochenende wartet schließlich ein schweres Spiel auf uns.«
»Oh, cool«, rief Dani. Torschüsse und Abschlussspiel waren für alle die Highlights einer Trainingseinheit.
Entsprechend motiviert bestritten sie den Rest der Trainings.
Am Ende rief Hannah die Spielerinnen zusammen: »Ich habe noch eine tolle Nachricht.« Erwartungsvoll sahen die Mädchen die Trainerin an.
Imke stürzte in die Küche. Ihre Eltern saßen beim Abendessen und schauten verdutzt auf ihre aufgeregte Tochter. Ihre kurzen schwarzen Haare standen ungekämmt in alle Himmelsrichtungen, das Gesicht war knallrot vor Aufregung und die graublauen Augen strahlten vor Freude.
»Imke, was ist passiert?«, fragte ihre Mutter. »Du hast immer noch deine dreckigen Trainingsklamotten an«, stellte sie tadelnd fest. »Warum duscht ihr Mädchen nie nach dem Training?«
»Das ist doch jetzt egal, Mama.« Atemlos stützte sich Imke am Tisch ab. »Ich gehöre zum Auswahlkader und spiele bei einem Kreisauswahl-Vergleichsturnier mit!«
Martin Strobel zog die Augenbrauen hoch: »Auswahlkader? Turnier?«
»Hannah hat mir die Einladung gezeigt. Ich gehöre dazu!« Ihre Augen glänzten. »Stellt euch das vor. Die besten Spielerinnen haben dabei die Chance, in den Landesauswahlkader zu kommen.«
Imkes Eltern schauten sich verschmitzt an.
»Kleine, das ist ja super.« Ihre Mutter und nahm sie in den Arm. »Ich bin stolz auf dich.«
Martin Strobel biss herzhaft in sein Wurstbrot und lächelte vor sich hin. «Jetzt ist die Nationalelf also nicht mehr weit weg?«
»Ach, Papa, das ist das nächste Ziel!« Imke setzte sich auf einen Stuhl und nahm sich ein Stück Käse.
»Imke, mit deinem dreckigen Zeug am Tisch … Also ehrlich.« Irene Strobel schüttelte verständnislos den Kopf.
»Mama, jetzt schimpf mich nicht. Ich freue mich doch so auf das Turnier!«
»Wo und wann findet es denn statt?«, fragte ihr Vater.
»Auf der Anlage von Mainstetten. Im Oktober! Ich glaube, am ersten Wochenende«, entgegnete Imke kauend.
Es wurde still. Ihre Eltern schauten sich an.
»Ist was?«, fragte Imke.
»Na ja, nun, Imke …«
Frau Strobel sah ihren Mann kopfschüttelnd an. »Also, bis du zum Punkt kommst. Imke, du weißt doch, dass Oma sechzig Jahre alt wird und wir zu ihr fahren. Das ist doch längst alles ausgemacht!«
Imkes Herzschlag setzte für einen Moment aus. »Nein, Mama, das geht nicht! Ich muss spielen!«
Auf der Stirn von Frau Strobel bildeten sich tiefe Falten. »Mein liebes Fräulein! Wir respektieren nicht nur deinen Sport, wir fiebern fast jedes Wochenende am Spielfeldrand mit dir mit. Aber meiner Mutter werde ich bestimmt nicht wegen eines Fußballturniers absagen und schon gar nicht ihre Feier zum sechzigsten Geburtstag!«
Imkes Lippen verzogen sich schmollend. Tränen tropften aus ihren Augen. »Ihr könnt ja fahren. Ich bleibe zu Hause!«
»Also, Imke!« Kopfschüttelnd sah Irene Strobel ihre Tochter an. »Oma würde dich sowieso lieber im Ballettkleidchen Schwanensee tanzen sehen als in kurzen Hosen auf der Fußballbühne. Du brichst ihr das Herz, wenn du ein Fußballturnier ihr vorziehst! Das kann nicht dein Ernst sein!«
Imke sah in Gedanken ihre Oma vor sich. Eigentlich war Oma das falsche Wort. Sie wirkte wie die ältere Schwester ihrer Mutter: chic, modern und unternehmungslustig. Sie arbeitete halbtags in einer Bibliothek. Doch in Bezug auf Imkes Hobby war sie äußerst konservativ.
Voller Verzweiflung blickte Imke zu ihrem Vater, der aber sofort wegsah und sich auf sein Essen konzentrierte. Sie drehte sich um, rannte aus dem Zimmer und hörte weder ihre Mutter rufen noch die beruhigende Stimme des Vaters.
Tränen liefen über Imkes Gesicht. Sie schwang sich auf das Fahrrad und trat in die Pedale. Leere erfüllte sie, gepaart mit Wut und Verzweiflung. Vorhin schien ihre Welt perfekt. Hannah hatte vor der Mannschaft verkündet, dass sie für das Kreisauswahlturnier nominiert worden war. Doch dieser Traum