Corinna Behrens

Imke - Abseitsfalle


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      Automatisch fuhr sie zum Fußballplatz, der nur zehn Fahrradminuten entfernt lag. Sie stellte ihr Fahrrad ab und eilte auf die Anlage. Es war inzwischen kurz nach acht Uhr. Sie beobachtete, dass die Frauen- und Herrenteams ihre Trainings beendeten und die Bälle zusammensuchten. Mit schnellen Schritten lief sie zum Trainingsplatz. Einige Frauen und Männer kamen ihr entgegen.

      »Hallo«, sagte Lisa Wimmer. »Was machst du denn noch auf der Anlage?« Lisa war die Mutter von Tina und spielte Fußball in der Frauenmannschaft.

      »Ich muss noch kurz mit Hannah reden.« Sie hoffte, dass niemand bemerkte, wie aufgelöst sie war.

      »Siehst du Samstag bei uns zu?«, fragte Julia, die stämmige Verteidigerin.

      »Klar«, antwortete Imke im Vorbeilaufen.

      Mit den Ballnetzen in der Hand kam ihr Christian Weber entgegen, der seit dieser Saison Hannahs Co-Trainer war. »Hey, Kleine, was machst du denn noch hier?«

      Imke blieb stehen. »Ich muss noch mit Hannah reden.«

      »Was ist los? Bist du traurig? Das war doch heute so eine tolle Nachricht für dich.«

      Imkes Augen füllten sich mit Tränen. Christian legte die Bälle ab, um sie tröstend in den Arm zu nehmen, doch Imke wich ihm aus.

      »Wo ist Hannah?«, fragte sie.

      Er zeigte in Richtung des Trainingsplatzes. »Sie unterhält sich mit Grohmann.«

      Imke lief weiter. Sie sah, dass nur noch Hannah und Günter Grohmann auf dem Platz standen.

      Ihre Trainerin hatte die Hände in die Hüfte gestimmt.

      »Wir brauchen eine Lösung! Wir haben dasselbe Recht zu trainieren wie ihr!« Hannahs Stimme klang ungewohnt aggressiv.

      Imke suchte Schutz hinter einem Strauch. Sie hoffte, dass der Herrentrainer nicht mehr lange blieb.

      Grohmann schob seine Hände in die Trainingshose. »Frauen sollten ihre Männer auf dem Fußballplatz anfeuern, zu Hause verwöhnen und ein leckeres Essen kochen. Stattdessen wollt ihr Fußball spielen und nehmt dabei den Jungs die Plätze weg.«

      Der spinnt ja! Imke biss sich auf die Lippe. Es fiel ihr schwer, dem eingebildeten Grohmann nicht eine passende Antwort zuzurufen.

      Sie hörte Hannah auflachen. »Also wirklich. Aus welchem Zeitfenster bist du denn entsprungen?«

      Imke grinste. Das hätte gesessen, denn Grohmann schwieg. Dann trat er einen Schritt auf Hannah zu.

      Er zog sie an sich.

      »Was wird das?«, fragte Hannah. »Kommst du mit deinen Argumenten nicht weiter und versuchst es auf die harte Tour?«

      »Hart bin ich nur zu meinen Jungs, aber nicht zu schönen Frauen.«

      Imke verzog den Mund. Was für ein Geschwurbel.

      »Okay, jetzt hattest du deinen Spaß. Lass mich …« den Satz konnte Hannah nicht beenden, denn Grohmann drückte seine Lippen auf ihren Mund. Seine Hände glitten über ihren Rücken und ihr Gesäß.

      Imke war wie erstarrt. Ein tiefer Stich bohrte sich in ihre Brust. Tränen schossen aus ihren Augen. Sie wollte nur weg von dieser Szene, von Hannah. Kopflos trat sie aus dem Schutz des Gebüschs.

      »Imke, was machst du hier?«, hörte sie ihre Trainerin sagen.

      Sie hob den Kopf. Hannah schob Grohmann von sich.

      »Du hast uns doch nicht heimlich beobachtet?« Günter Grohmann hob tadelnd den Finger und grinste.

      »Ich muss mit dir reden«, flüsterte Imke.

      »Du siehst doch, dass du störst«, sagte Grohmann.

      Imke drehte sich um und rannte davon.

      »Imke«, hörte sie Hannah rufen. »Bleib stehen!«

      Doch Imke lief weiter.

      Weinend saß Imke auf ihrem Fahrrad. Neben ihren Eltern, Tina und Tanja gehörte Hannah zu den wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Eine schreckliche Einsamkeit breitete sich in ihr aus. Warum hatte Hannah sie nicht aufgehalten? Aber die flirtete lieber mit diesem blöden Typen rum.

      Imke stellte das Fahrrad in die Garage und schloss die Haustür auf. Ihr Vater kam ihr entgegen. »Wo warst du denn?«

      Imke drängte sich an ihm vorbei und rannte wortlos die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Sie knallte die Tür hinter sich zu und schloss sie ab. Ohnmächtig vor Enttäuschung, Wut und Traurigkeit fiel sie in ihr Bett. Sie war weder fähig, ihre Trainingskleidung auszuziehen, noch sich zu waschen und ihre Zähne zu putzen. Sie lag nur da und verspürte einen heftigen Schmerz.

      Neuordnung

      Am Donnerstag fuhr Imke zeitgleich mit Hannah auf die Anlage.

      »Was wolltest du am Dienstagabend mit mir besprechen?«, fragte ihre Trainerin.

      »Nichts«, sagte Imke kurz angebunden, während sie an Hannah vorbeisah.

      »Moment. Du wolltest mit mir reden. Lisa hat mich in der Kabine gefragt, ob ich mit dir gesprochen hätte. Sie hat sich Sorgen gemacht, weil du so aufgeregt an ihr vorbeigelaufen wärst.«

      »Hat sich erledigt.« Ihre Stimme zitterte und am liebsten hätte sie sich in Hannahs Arme geworfen und ihr alles erzählt. Aber die Enttäuschung über ihre Trainerin war zu groß. Die Worte des Herrentrainers Grohmann klangen ihr noch in den Ohren. Er hatte sich über sie lustig gemacht. Warum hatte Hannah das zugelassen?

      Einen Augenblick zögerte Hannah. »Okay«, sagte sie. »Du weißt ja, dass du mit mir reden kannst.«

      Imke nickte und schob sich an ihr vorbei auf das Trainingsgelände.

      Hannah gestaltete jedes Training abwechslungsreich, dabei kam der Spaß nicht zu kurz. Seit einigen Wochen übte sie mit der Mädchenmannschaft die Viererkette und Raumdeckung.

      Die Mannschaft sah das Spiel ohne Libero zunächst skeptisch, aber sie lernten schnell. Inzwischen hatten sie die Umstellung nicht nur akzeptiert, sondern sie zahlte sich auch in Punkten aus.

      Es war kurz vor Ende des Trainings, als Lisa aufgeregt auf Hannah zustürmte. »Ich muss dir dringend etwas sagen«, rief sie atemlos.

      Tinas Mutter war seit dieser Saison Abteilungsleiterin für den weiblichen Fußball des SV Winkelbachs.

      »Weißt du, was mit deiner Mutter los ist?«, fragte Karin.

      Tina hob die Schultern. »Keine Ahnung.«

      Die beiden Frauen diskutierten leise miteinander.

      Die Mädchen standen mit gespitzten Ohren herum.

      Hannah dreht sich nach einer Weile zu ihnen um und rief ihren Co-Trainer Christian und die Mädchen zu sich zusammen.

      »Was ist denn los, Mama?«, fragte Tina.

      »Es ist alles in Ordnung. Ich muss nur mit Hannah etwas besprechen.« Ihre Mutter versuchte zu lächeln. Es misslang ihr gründlich, denn sie wirkte aufgebracht.

      »Okay, Mädels«, erklang Hannahs beruhigende Stimme. »Wir treffen uns Samstag hier um zehn Uhr. Bitte wie immer pünktlich sein.«

      Die Mädchen entfernten sich nur zögernd, um das Gespräch zwischen den Frauen und Christian mitzubekommen. Aber Lisa zog die beiden einige Meter weg.

      »Wir sollten in die Kabine gehen«, sagte Karin. »Wir bekommen noch früh genug mit, worum es geht!«

      Murrend bewegten sich die Spielerinnen vom Ort des Geschehens. Dabei sahen sie sich