Tina und Tanja trafen sich am Montagnachmittag im Jugendzentrum TREV.
Dieses war in den Räumen des ehemaligen Wirtshauses Alte Scheune entstanden.
Die drei Freundinnen waren vor zwei Jahren in diesem Gebäude in große Gefahr geraten, als sie auf der Suche nach ihren gestohlen Fußballtrikots gewesen waren.
Nach dem Umbau erinnerte nichts mehr an das heruntergekommene Wirtshaus.
Es gab einen großen Raum, in dem ein Tischkicker und ein Billardtisch standen, zudem mehrere gemütliche Sitzecken. An einem Tresen wurden Getränke, kleine Speisen und Kuchen angeboten.
In einem weiteren Raum traf man sich zum gemeinsamen Spielen. Vor dem Haus standen noch zwei Tischtennisplatten.
Einmal im Monat fand eine Disko statt.
Die drei Mädchen saßen auf einem Sofa. »Was war die Überraschung deines Vaters?«, fragte Imke.
Tina atmete tief durch. »Sie haben mir erzählt, dass ich ein Geschwisterchen bekomme. Toll was?« Sie verzog den Mund und schüttelte den Kopf.
»Was?!«, riefen Tanja und Imke wie aus einem Mund.
»Ja, seine Freundin ist im fünften Monat schwanger. Das letzte Mal habe ich sie vor vier Wochen gesehen, da ist mir das noch nicht aufgefallen. Aber jetzt lässt es sich nicht mehr verbergen. Es wird ein Junge.«
»Freut sich dein Vater darüber?«, fragte Imke.
»Ja, und wie. Es ist so blöd, wie die beiden miteinander rumturteln!«
Tanja legte den Arm um Tina. »Was sagt denn Lisa dazu?«
»Sie weiß es noch nicht und ich werde es ihr nicht erzählen. Mein Vater will in den nächsten Tagen mit ihr reden.«
»Das ist aber auch nicht fair, dass du das weißt, aber Lisa nicht«, sagte Imke.
»Mein Pa meint, das ist seine private Sache. Mir hat er es erzählt, weil es für mich eine besondere Bedeutung hätte, schließlich bekäme ich einen Bruder.«
»Na toll.« Imke schüttelte verständnislos den Kopf. »Vielleicht meint er auch noch, du sollst zu ihnen ziehen, damit du deinen Halbbruder auch aufwachsen siehst.«
»Bingo«, rief Tina. »Das haben sie mir vorgeschlagen.«
»Willst du denn?«, fragte Tanja.
»Nein, natürlich nicht. Ich kann meine Ma nicht allein lassen. Ihr könnt euch ja vorstellen, dass ich echt durcheinander war, als ich in Neustadt ankam. Ich bin froh gewesen, dass mich Chris abgeholt hat.«
»Chris?«, kam es von Tanja und Imke wie aus einem Mund.
»Ja, ich darf Christian so nennen.«
Tanja stupste Imke an und grinste.
»Warum hat Lisa dich nicht abgeholt?«, fragte Imke verdutzt.
»Meine Ma wollte doch nicht mit der Neuen von meinem Vater zusammentreffen. Außerdem konnte sie so mit Hannah in dieses Klassik-Konzert gehen.«
»Iiih, Klassik.« Tanja schüttelte den Kopf. »Mir wäre das zu langweilig.«
»Hast du Christian alles erzählt?«, fragte Imke.
»Er sah sofort, dass es mir schlecht ging. Ich war froh, dass ich mit ihm darüber quatschen konnte. Er war total verständnisvoll und hat mich getröstet.«
Imke sah den blonden, hageren Christian vor sich. Die meisten Frauen und Mädchen fanden ihn nett, denn er war witzig und engagiert, Imke hatte aber noch keinen Draht zu ihm gefunden. Deshalb meinte sie zu Tina: »Dass du ihm alles erzählen musst. So lange kennst du Christian doch noch nicht. Ich glaub nicht, dass es Lisa so toll findet, wenn er eure komplette Familiengeschichte kennt.«
»Chris ist mein Trainer. Du erzählst Hannah doch auch alles.«
»Stimmt überhaupt nicht.« Imke biss an ihrer Unterlippe herum.
»Doch. Du rennst immer zu ihr, wenn du ein Problem hast. Hannah hier, Hannah da.«
»Nur bei Fußballdingen«, verteidigte sich Imke.
»Andere Probleme hast du ja auch nicht.«
»Na und? Muss ich mich dafür entschuldigen?«
»Jetzt beruhigt euch«, rief Tanja. »Was soll denn das?«
Tina und Imke schmollten sich kurz an.
»Du hast ja recht, gegen deine Probleme sind meine winzig.« Imke legte ihre Hand auf Tinas Arm.
»Wie ist denn jetzt dein Stand mit dem Turnier?«, fragte Tanja. »Hat Hannah mit deinen Eltern geredet?«
Imke schüttelte den Kopf. »Ich hab es ihr noch nicht gesagt. Aber gestern habe ich mit meiner Oma telefoniert. Ich wollte antasten, ob sie vielleicht Verständnis hätte, wenn ich nicht zu ihrem Geburtstag käme. Doch das war ein Flop.«
»Wieso?«, fragte Tina.
»Na ja, nachdem die erste Frage von Oma lautete, ob ich immer noch mit kurzen Hosen hinter einem Ball hinterherrennen würde, war die Sache klar.« Imke seufzte. »Für meine Oma steht einfach fest: Fußball ist kein Sport für Mädchen und schon überhaupt nicht für mich, ihrem einzigen Enkelkind.«
»Jetzt rede doch mit Hannah. Vielleicht kann sie deine Eltern überzeugen. Hannah hat bei ihnen ein Stein im Brett!« Tanja stieß Imke an.
»Das stimmt schon!« Imke lehnte sich zurück. »Ich habe mal zufällig mitbekommen, wie meine Mutter sich bei Hannah bedankt hat. Sie hat zu ihr gesagt, dass sie - Hannah - dazu beigetragen hat, dass ich nicht mehr so schüchtern bin. Im Gegenteil, der Fußball hätte mich gestärkt und mir Selbstbewusstsein gegeben.«
»Wow! Echt?« Tanja griff zu ihrer Cola. »Das hört sich super an. Hannah wird dir helfen können!«
»Ja«, sagte Imke lahm. »Ich wollte morgen sowieso mit ihr reden, denn sie müsste ja schließlich auch meine Teilnahme absagen.«
»Was ist denn jetzt mit Hannah und Grohmann?«, fragte Tina.
»Erzählt Lisa dir denn nichts? Deine Ma ist doch schließlich Hannahs beste Freundin.« Tanja breitete die Arme aus. »Du sitzt an der Quelle.«
»Ich frag sie doch nicht nach Hannahs derzeitigem Freund!« Tina sah ihre Freundinnen kopfschüttelnd an.
»Ich würde es tun«, entgegnete Tanja. »Frag sie, ob die beiden zusammen sind.«
»Das sind sie nicht.«
»Aber man küsst sich doch nicht einfach so.« Imke drehte ihr Glas in den Händen.
»Ob Grohmann hinter Hannah her ist?« Tanja kratzte sich am Kopf. »Vielleicht hat er sie nur angebaggert.«
»So wie der Marcel dich oder ist es eher umgekehrt?« Tina grinste. »Siehst du, wie rot du wirst?«
Tanja lächelte. »Er ist auch niedlich.«
»Mir wäre der zu jung«, sagte Tina.
»Wieso? Marcel ist ein Jahr älter als ich.«
»Trotzdem ist er ein Kind. Ich finde Ältere interessanter.«
»Wen hast du denn im Auge?«, fragte Tanja.
»Niemanden.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Ich meine ja nur allgemein. Wen magst du denn?« Tina sah Imke erwartungsvoll an.
Diese schüttelte den Kopf. »Ich will im Moment nur Fußball spielen. Mich interessieren die Jungs nicht.«
»Ach du!« Freundschaftlich legte Tanja den Arm um Imke. »Du hast ja recht, im Gegensatz zu uns steht dir eine Fußballkarriere bevor.«
»Aber wenn ich nicht an diesem Turnier teilnehmen kann, werde ich nie wieder eingeladen«, jammerte Imke. »Dann kann ich meine Karriere gleich vergessen.«