Irene Dorfner

Irgendwann krieg ich Dich


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nie erzählt. Der Lehrer war kein typischer Obdachloser. Ich gebe zu, dass der Großteil von uns gerne Alkohol trinkt, aber das hat der nie gemacht. Der war ein Studierter, ein ganz schlauer, das hat er aber nie raushängen lassen.“

      „Ja das stimmt, der wollte eigentlich nur seine Ruhe haben,“ mischte sich ein weiterer Obdachloser ein, der eben im Begriff war, seine Habseligkeiten zusammenzusuchen und sich wieder auf den Weg zu machen.

      „Hatte der Lehrer in letzter Zeit mit jemandem Streit? Gab es Ärger? Hat jemand eine Person beobachtet, die sich auffällig verhalten hat?“

      „Nein, nicht das ich wüsste. Der Lehrer war ein friedlicher, ruhiger Mensch.“

      „Natürlich gibt es ab und zu mal Ärger wegen des Schlafplatzes oder auch, wenn man beklaut wird. Aber in letzter Zeit war nichts.“

      „Wir haben deiner jungen Kollegin schon gesagt, dass das keiner von uns war. Der Lehrer war nicht immer hier, vielleicht hatte er Ärger bei einem anderen Unterschlupf. Frag doch mal drüben in Neu-Ulm am Bahnhof. Dort hat er sich aufgehalten, wenn das Wetter besonders schlecht war.“

      Leo bedankte sich und versprach, am frühen Abend einen Kasten Bier vorbeizubringen. Er und Anna suchten noch weitere Plätze in der Nähe auf und erhielten ähnliche Aussagen über den Verstorbenen. Auch hier bekamen sie den Hinweis auf den Bahnhof in Neu-Ulm. Anna war enttäuscht. Ihr gegenüber hatte niemand den Bahnhof Neu-Ulm erwähnt, überhaupt haben sie nur wenig oder überhaupt nicht mit ihr gesprochen.

      Auch am Bahnhof in Neu-Ulm wurden sie von den Obdachlosen nicht gerade freundlich empfangen und stießen auf Misstrauen. Keiner wollte etwas mit der Polizei zu tun haben. Hauptsächlich deshalb, weil seit Kurzem verstärkt gegen sie vorgegangen wurde. Offensichtlich eine neue politische Strategie, um sie von hier zu vertreiben, denn Obdachlose machen sich in der Öffentlichkeit nicht gut. Außerdem standen Wahlen an, was die politisch Verantwortlichen immer zu Aktionen veranlasste, die bei den potentiellen Wählern meist gut ankamen. Leo war diese Augenwischerei zuwider.

      Leo ließ sich nicht von der unfreundlichen Art der Obdachlosen abschrecken. Er fragte einen nach dem anderen in einer Art und Weise, die das Misstrauen und die Ablehnung etwas milderte. Die Information, dass der Lehrer ermordet wurde, war für alle ein Schock. Der ruhige Mann war sehr beliebt und keiner konnte verstehen, dass diesem friedfertigen und verschlossenen Menschen irgendjemand etwas antun konnte. Aber niemand sagte etwas aus, was für die Ermittlungen wichtig wäre.

      Leo und Hans verabschiedeten sich von den Obdachlosen, die froh waren, endlich wieder ihre Ruhe zu haben.

      „Woher kommt dieser Karl Rauschberger? Irgendwo muss er doch früher gelebt haben? Ich kenne niemanden, der keine Spuren hinterlässt. Wer weiß, was damals vorgefallen ist und Rauschberger veranlasst hatte, auf der Straße zu leben. Vielleicht gibt es eine Person aus dem früheren Leben, die ihn aufgespürt und noch eine Rechnung mit ihm offen hatte?“

      „Ich habe alles versucht, aber über diesen Rauschberger ist absolut nichts rauszufinden. Sein Name stand auf einem Foto, das er in seiner Brieftasche bei sich trug, keine Adresse oder sonst irgendwelche Hinweise. Wir sind uns nicht mal sicher, ob das überhaupt sein richtiger Name ist. Natürlich habe ich eine Personenabfrage gestartet und habe auch bei Schulen nachgefragt, ob ein Lehrer mit einem solchen Namen bei ihnen beschäftigt war. Diese Anfragen habe ich bundesweit weitergegeben.“

      „Vielleicht wurde er als Vermisst gemeldet.“

      „Negativ. Keine Person, die auch nur annähernd unserem Opfer ähnelt.“

      „Dann weiß ich auch nicht weiter.“

      Sie fuhren zurück in ihr Büro und dort wartete bereits Stefan Feldmann ungeduldig auf die beiden.

      „Endlich. Ich warte hier schon eine Ewigkeit auf euch. Wir haben etwas gefunden, dass euch bestimmt interessiert. Zunächst einmal haben wir Einbruchspuren am Toilettenfenster der Pathologie gefunden. Leider keine Fingerspuren oder irgendetwas Verwertbares. Sicher ist, dass dort gestern Abend eingebrochen wurde, und zwar nach 17.00 Uhr. Die Putzkolonne war um diese Uhrzeit vor Ort und da war das Toilettenfenster definitiv geschlossen. Mehrere Mitarbeiter haben uns das unabhängig voneinander bestätigt. Und nun komme ich zu einem Knaller. Wir haben saubere Fingerabdrücke an dem Hirschfänger sichergestellt und konnten diese bereits zuordnen. Die gehören einem gewissen Simon Maurer. Bitte schön, hier ist der Bericht.“

      „Machst du Witze?“ Leo war völlig verblüfft, damit hatte er nicht gerechnet. Das wäre ja fast zu schön, um wahr zu sein.

      Stefan gab seiner Freundin Anna einen flüchtigen Kuss auf die Wange, was sie hier im Büro überhaupt nicht mochte. Sie hielt Privates und Berufliches streng auseinander, was aber unter den Umständen äußerst schwer war. Der 35-jährige Stefan Feldmann war schnell verschwunden. Leo war neidisch über die volle, pechschwarze Lockenpracht des Kollegen, während sein kurzes Haar nicht nur sehr grau war, sondern auch immer dünner wurde. Trotz seiner 49 Jahre und den 1,90 Meter war Leo Schwartz eher unscheinbar und fiel hauptsächlich wegen seiner immer gleichen Kleidung auf: Jeans, braune Lederjacke, die er schon viele Jahre zu fast allen Jahreszeiten und Gelegenheiten trug. Die Cowboystiefel hatte er vor Jahren in Amerika gekauft und er war sehr stolz auf sie. Aber vor allem liebte er seine T-Shirts, auf denen Rockbands abgedruckt waren, die außer ihm niemand zu kennen schien. Welche Banausen! Das waren Kult-Rockbands, die in der Szene einen großen Namen hatten.

      Leo war seit einigen Jahren geschieden und hatte sich vor drei Jahren von Karlsruhe hierher nach Ulm versetzen lassen, um seiner geschiedenen Frau mit ihrem neuen Partner nicht über den Weg laufen zu müssen. Es hätte bei einer unschönen Begegnung nicht viel gefehlt, und er hätte diesem arroganten Schnösel mit seinem vielen Geld fast eine reingehauen. Das musste er verhindern und deshalb wählte er die Flucht, wobei ihm die freie Stelle in Ulm sehr gelegen kam. Anfangs fühlte er sich todunglücklich in Ulm. Je mehr Zeit verstrich, desto weniger dachte er an seine Heimat Karlsruhe und an seine Exfrau. Die Trennung von ihr hatte ihm fast das Herz gebrochen. Er hatte sich hier in Ulm sehr gut eingelebt und fühlte sich inzwischen sehr wohl. Vor allem seine Kolleginnen Christine Künstle, Anna Ravelli und auch deren Lebenspartner Stefan Feldmann waren zu seiner Familie geworden.

      Leo las den Bericht der Spurensicherung sorgfältig durch und gab umgehend den Namen dieses Simon Maurer in den Computer. Sofort erschienen die entsprechenden Informationen von Simon Maurer auf dem Bildschirm. Anna stand hinter ihm und las mit.

      „Körperverletzung bei einer Kneipenschlägerei in Reutlingen. Das ist aber schon Jahre her. Sonst absolut nichts. Was hat der mit unserem Toten zu tun?“

      „Keine Ahnung, aber das wird er uns bestimmt erzählen.“

      Sie klingelten an dem ansprechenden Mehrfamilienhaus am Rande Ulms. Nach wenigen Augenblicken summte der Türöffner. Sie gingen durch das saubere, helle Treppenhaus in den 3. Stock und dort wurden sie bereits erwartet.

      „Wollen Sie zu mir?“

      „Wenn Sie Simon Maurer sind, ja. Leo Schwartz, Kripo Ulm, das ist meine Kollegin Anna Ravelli.“ Sie zeigten ihre Ausweise und Simon Maurer bat sie mit einer Geste und einem Lächeln, einzutreten.

      „Setzen Sie sich bitte.“ Sie hatten in dem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer mit der braunen Ledergarnitur Platz genommen. „Möchten Sie Ihre Jacken ablegen?“

      Beide lehnten dankend ab.

      „Ich bin gespannt, was die Kriminalpolizei von mir möchte. Wie kann ich Ihnen helfen?“

      Simon Maurer war 32 Jahre alt, von Beruf LKW-Fahrer, 1,72 Meter groß, sportliche und hatte eine sehr muskulöse Figur. Er trug eine dieser modernen Kurzhaar-Frisuren und war durchaus eine gepflegte, attraktive Erscheinung. Eigentlich nicht das, was Leo erwartet hatte. Anna hingegen schien sehr angetan, denn Maurer hatte zu seinem blendenden Aussehen nicht nur einwandfreie Manieren, sondern ein überaus charmantes Lächeln. Dazu roch phantastisch! Das war einer dieser modernen Männerdüfte, die ein Vermögen kosteten, aber in Annas Augen durchaus das Geld wert waren. Bereits zwei Mal hatte sie ihrem Stefan ein solches Parfum geschenkt. Aber er stand nicht auf Herrendüfte und die sündhaft