Nick Stein

Abschied einer Mörderin


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Fall daraufhin wiedereröffnet«, freute sich Heim am Telefon. »Viola Kroll wird dort jetzt wieder offiziell gesucht, als Mörderin. Außerdem sucht die Polizei nach der Besitzerin der gefundenen DNA, der wirklichen Toten. Das wirft natürlich viele Fragen auf, Jansen.«

      »Wer sie war«, begann der Jüngere aufzuzählen. »Wie die Kroll sie dazu gebracht hat, sich als sie auszugeben. Ob diese andere Frau gewusst hat, dass sie sterben soll, oder nur manipuliert worden ist. Will mir nicht in den Kopf, dass sich jemand freiwillig für eine Mörderin umbringt. Und noch was. Die Spuren, die damals gefunden worden sind, kann die Kroll ja gelegt haben, das sieht nach einem Plan aus. Aber wie sicher konnte sie sein, dass die Polizei nicht auch die DNA der anderen Frau findet? Irgendwie alles sehr unwahrscheinlich, wenn Sie mich fragen.«

      »Trotzdem hat sie uns alle für Jahre an der Nase herumgeführt«, sagte Heim, nicht ohne einen Ton der Bewunderung. »Vielleicht kannte sie jemanden bei der Spurensuche, direkt oder indirekt, der die Indizien entsprechend ausgewählt hat.«

      »Wäre eine Spur, die wir verfolgen könnten«, fand Jansen. »Auch wenn ich befürchte, dass wir damit nicht sehr weit kommen werden. Die werden jeden Verdacht von sich weisen.«

      »Ja, Korruption ist dort kein Fremdwort«, bestätigte Heim. »Da gibt es viele Seilschaften und Verbindungen zu mafiösen Organisationen, die halten dicht.« Heim machte eine kurze Sprechpause. »Andererseits frage ich mich, ob es nicht auch Kreise gibt, die an der Aufklärung Interesse haben könnten.«

      »Ich könnte mir vorstellen, dass Wut und Ehrgeiz da eine Rolle spielen«, sagte Jansen. »Die lassen sich genauso ungern verarschen wie wir. Es muss doch Leute geben, die an der Aufklärung interessiert sind, oder? Und abgesehen davon, hatte die Dame nicht auch Kontakte zur ’Ndrangheta, hatten wir da nicht einen von denen auf dem Schirm? Derjenige, der das Buch bekommen sollte, das wir gefunden haben? Wie hieß der noch gleich?«

      »Und Sie glauben, dass der wissen könnte, wo sie steckt?«, fragte Heim. »Könnte natürlich sein. Die haben Mittel und Wege, jemanden verschwinden zu lassen oder unsichtbar zu machen. Haben die schon mit vielen polizeilich gesuchten Personen geschafft, die dann nie einer gefunden hat. So eine Art Zeugenschutzprogramm, nur von den Bösen, nicht von uns.«

      »Dann haben die kein Interesse daran, ausgerechnet uns dabei zu helfen, sie ausfindig zu machen, Heim. Die werden uns was husten, wenn wir überhaupt an sie rankommen.«

      »Giovanni de Luca«, fiel Heim der Name wieder ein. »Dem hatte sie das Buch gewidmet, das Sie geklaut hatten, Jansen.«

      »Richtig.« Jansen seufzte, als er sich vorstellte, wie schwierig es werden würde, an diesen Mann heranzukommen. »Vielleicht erzählt er uns etwas über sie, wenn wir ihn unter Druck setzen. Er schien ja etwas mit den Morden zu tun zu haben, die die Kroll in ihrem Bildband dargestellt hat. Sie wissen schon.«

      »Die Skulpturen«, erinnerte sich Heim. »Der Typ hat dieses grausame Werk für sie vermarktet, glaube ich. War es nicht so?«

      »Ich glaube schon«, bestätigte Jansen. »Sie hat sich doch bei ihm bedankt.«

      »Dann hätten wir zumindest einen Ansatz. Der andere ist die Identität der wahren Toten. Vielleicht sagt uns das auch etwas darüber, was aus der Kroll geworden ist. Sie haben sie ja gesehen, Jansen. Wir wissen zumindest, wie sie aussieht, einen Namen haben wir auch. Das ist schon eine ganze Menge. Wissen Sie was? Ich klemme mich hinter die Italiener, vielleicht finden die was über die Identität der Toten heraus und wissen etwas über de Luca. Und Sie, Jansen, kümmern sich um ihren Namen, sie wird ja irgendwo gemeldet sein, um diese Whisky-Destille, die sie kaufen will oder schon gekauft hat, und setzen sich mit den britischen Kollegen zusammen. Wir lassen Phantombilder anfertigen und legen sie denen vor. Ich kenne einen genialen Zeichner in Amsterdam, der Ihnen gleich eine ganze Palette von Möglichkeiten, wie sie sich zurechtmachen kann, aufstellt. Vielleicht hat sie ja auch in England wieder jemanden umgebracht und die Kollegen dort suchen auch nach Hinweisen.«

      Heim klang zufrieden mit seiner Analyse. Jansen dagegen druckste herum. »Alles gut und schön, Heim, so könnten wir vorgehen. Nur bin ich hier noch gut drei Tage auf Urlaub, ohne richtigen Zugang zu allem, und meine Frau reißt mir den Kopf ab, wenn ich mich um diesen alten Fall statt um die Familie kümmere. Ich kann das erst nach meiner Rückkehr anpacken, Heim.«

      »Ist schon gut, Jansen«, beruhigte ihn der ältere Polizist. »Solange kümmere ich mich. Ich sende Ihnen dann Mails mit Zwischenergebnissen.«

      »Prima«, sagte Jansen erleichtert. »Ich muss auch wieder zurück. Wir hören voneinander.«

      »Mit Sicherheit«, freute sich Heim. »Diesmal kriegen wir sie. Ich freue mich schon. Ach ja; vielen Dank übrigens für den Whisky, obwohl ich eigentlich keinen mehr trinke. Nett von Ihnen.«

      Kapitel 7

      Der römischen Polizei war die Nachricht, dass sie sich hatte irreführen lassen, gar nicht gut runtergegangen. Entweder war geschlampt worden oder jemand hatte die Spurensicherung beeinflusst, beides war absolut nicht in Ordnung.

      Untersuchungen und Befragungen folgten, doch da die meisten Belege nicht mehr vorhanden waren, weil der Fall als gelöst galt und die Polizei an großer Platznot im Asservatenbereich litt, führten die Bestrebungen zunächst zu nichts. Der Fall wurde als kalte Spur einem älteren Commissario übertragen, der sich mit viel Ruhe und Geduld langsam an die Arbeit begab.

      Jemand anderen riss die Nachricht der Wiederaufnahme der Untersuchung des Verkehrsunfalls komplett aus seiner gewohnten Routine. Giovanni de Luca, der ’Ndrangheta-Mann, der Viola den Selbstmord befohlen hatte, besaß seine eigenen Kanäle bei der Polizei. Schon einen Tag nach der Anfrage Heims bei der Universität lagen dieselben Ergebnisse auch auf seinem Schreibtisch.

      Zwei Dinge trieben ihn an. Einmal fühlte auch er sich hinters Licht geführt. Seine Organisation hatte damals beschlossen, Viola Kroll verschwinden zu lassen, weil sie die heilige Gesellschaft in Misskredit gebracht hatte, und dem war Folge zu leisten. Er, inzwischen Finanzchef des römischen Ablegers der ’Ndrangheta, hatte somit versagt. Er musste dieses Versagen unbedingt wiedergutmachen, wenn er nicht selbst unter Beschuss kommen wollte.

      Zum anderen hatte de Luca Viola Kroll, seine Muse und Geliebte, immer sehr gemocht. Es hatte ihm das Herz gebrochen, sie in den Tod zu schicken, aber so waren die Regeln nun einmal. Gern hätte er sie jetzt, Jahre später, wo alles nicht mehr so heiß gekocht wurde, wiedergesehen und die alte Beziehung wiederhergestellt. Was nicht ging. Was er dennoch gern wollte. Zwei Seelen pochten in seiner Brust, er wusste nur nicht, welcher er folgen sollte.

      In einem waren sich beide einig; er musste Viola so oder so finden und zur Rede stellen. Ob er sie dann liebte oder tötete oder beides, das würde sich ergeben.

      De Luca stellte seine eigenen Ermittlungen an. Wenn Viola eine andere Frau an ihre Stelle gesetzt hatte, war das ein Meisterwerk gewesen, denn sie hatte weniger als drei Tage Zeit dazu gehabt. Sie war in Rom gewesen, sie hatte einen schnellen Sportwagen als Mietwagen benutzt, wozu er ihr geraten hatte.

      Sie musste die andere Frau telefonisch oder per Mail dazu gebracht haben, sich für sie ans Steuer zu setzen und ihre Rolle zu spielen. De Luca wusste, wie gut sie im Manipulieren anderer Menschen war; das würde sie geschafft haben.

      Hatte sie die Rolle mit dieser anderen Frau getauscht? Dann würde sie ihren Namen und Pass benutzt haben, um Rom zu verlassen. Er musste diese andere Frau finden, um an Viola heranzukommen.

      Vielleicht war die DNA der Toten doch irgendwo bekannt. Das musste er herausfinden. Und er brauchte eine Liste ihrer Anrufe und ihrer sonstigen Aktivitäten in der fraglichen Zeit vor ihrem vorgetäuschten Tod. Hatte sie Besuch erhalten? War sie irgendwohin gefahren, um jemanden zu treffen? Mit wem hatte sie telefoniert oder auf anderem Wege kommuniziert? All das musste er herausfinden.

      De Luca machte sich an die Arbeit. Viel Hoffnung machte er sich nicht; Telefonverbindungsnachweise wurden nach einem Monat gelöscht, an ihre Mail kam er ebenfalls nicht heran. Was noch länger aufgehoben wurde, waren Dinge, die steuerlich relevant sein konnten; dort galten sieben Jahre als Aufbewahrungsfrist. Also konnte er Hotelbuchungen, Flugbuchungen und Konto- und Kreditkartenbewegungen