Christoph Hammer

Målerås


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über den besagten Pullover, etwa derart, dass Jannis Mutter beim Scheren wohl nicht zwischen Ziegen und Schafen unterscheiden könne, dass sie ihm einen so kratzigen Pullover gestrickt habe. Janni drehte sich daraufhin langsam um und sah Gustav direkt in die Augen. „Lass mich ganz einfach in Ruhe, verstanden?“, sagte er leise, aber bestimmt. Doch Gustav stach der Hafer. „Und wenn nicht?“, grinste er und stieß mit dem Zeigefinger ziemlich heftig mitten in das Finnenkreuz auf Jannis Brust.

      Was dann geschah, hatten wir alle nicht erwartet. Janni, einen ganzen Kopf kleiner, stürzte sich auf den großen Kerl. Innerhalb von Sekunden hatte er Gustav zu Boden gerungen, kniete auf seinen Armen und drückte die rechte Seite seines Gesichts mit der flachen Hand in einen Haufen halb verrotteter, alter Laubblätter. „Lass mich in Ruhe!“, sagte er dann noch einmal und betonte dabei jedes einzelne Wort und drückte Gustavs Kopf im gleichen Rhythmus in den Dreck. Dann stand er auf und klopfte sich den Schmutz von der Hose. Ohne ein weiteres Wort ging er ins Schulhaus, nahm seine Jacke vom Haken und ging nach Hause. Fräulein Berg, die Lehrerin hatte die ganze Szene von ihrem Platz neben der Schultür beobachtet, ohne einzugreifen. Sie ließ den Finnen ziehen, ohne ihn aufzuhalten.

      Am nächsten Morgen zeigte Gustav seine gute Seite. Er ging noch vor dem Unterricht auf Janni zu, gab ihm die Hand und entschuldigte sich. Janni brummte nur: „Ist schon in Ordnung!“, und verzog sich wieder in seine Bank. Doch von diesem Zeitpunkt an war er nicht mehr ganz so abweisend und nahm dann und wann an unseren Gesprächen teil.

      Später erzählte uns Gustav von einer anderen Begebenheit mit Janni. Als er aus dem Giebelfenster im Bahnhof auf den Verladekaj schaute, erblickte er den Finnen. Der saß ganz allein zwischen den Birken und schaute unverwandt die Gleise entlang nach Osten, in die Richtung, aus der die Züge aus Kalmar kamen. Gustav wurde neugierig. Er wollte zu gerne wissen, was es da zu sehen gab. So ging er hinunter auf den Kaj und schlenderte wie zufällig in Jannis Richtung.

      „Was gibt´s denn da zu sehen?“, fragte er beiläufig.

      „Nichts, wieso?“, gab Janni zurück und schaute Gustav mit seinen großen, dunklen Augen erstaunt an.

      „Ich dachte nur, weil du so lange auf die Gleise starrst“, erläuterte Gustav.

      „Ach so, nein, da ist nichts. Ich hab´ nur daran gedacht, dass ich aus dieser Richtung hierhergekommen bin.“

      Gustav schwieg eine Weile und dachte nach. „Hast du Heimweh nach Finnland?“, fragte er dann leise.

      Janni schaute wieder auf die Gleise und antwortete nicht. Verwundert sah Gustav von der Seite, dass Jannis Augen feucht wurden.

      Gustav schwieg betreten. Ein Gefühl wie Heimweh kannte er im Grunde nicht, denn er hatte Målerås nie wirklich verlassen. Einmal war er mit seinem Vater nach Kalmar gereist, aber am gleichen Tag wieder zurückgekehrt. Er fühlte eher Fernweh, wenn er den Zügen nachsah, die die kurzen Fichtenstämme, die sogenannten Pitprops nach Kalmar brachten, wo sie ihre Schiffsreise in die Kohlegruben von England antraten. Seine Gedanken schweiften ab.

      Wie die Auswanderer nach Amerika zu reisen, das wäre etwas nach seinem Geschmack. Bevor die Glasfabriken und Eisengießereien manch einem verarmten Waldbauern in Småland ein besseres Einkommen boten, waren viele Menschen vor der Armut nach Amerika geflohen. Wenn sie in Karlshamn das Auswandererschiff bestiegen, wurden sie zusammengepfercht, wie die Heringe in der Tonne. Das Leben in Amerika war für die meisten Auswanderer anfangs wohl ähnlich mühsam wie zu Hause in Schweden. Aber anders als dort sahen sie in der „Neuen Welt“ eine positive Perspektive.

      Allabendlich, wenn Großvater mit seiner altmodischen Tabakspfeife und Vater mit der Zigarre die Wohnzimmerluft verpesteten, zog Gustav sich in seine Kammer, hoch oben unter dem Dach des Bahnhofs, zurück und versank in fernen Welten. Mit den Büchern von J.F.Cooper, Der letzte Mohikaner und Lederstrumpf, oder Karl May, Der Ölprinz und Winnetou reiste er in Gedanken in die Wälder Kanadas oder in die Prärien Amerikas. Wenn er dann mit den Indianern und Cowboys in deren Welt eintauchte, vergaß er Zeit und Raum. Manchmal schreckte er erst spät abends hoch, wenn der Docht der Öllampe zu knistern anfing, weil der Brennstoff zur Neige ging. Wie gerne würde er den Grand Canyon einmal mit eigenen Augen sehen oder, als Lokführer, mit einem Express über die endlose Prärie sausen.

      Gustav schüttelte sich und kehrte aus der Ferne seiner Träume in die Realität zurück. Er erinnerte sich an den Schulkameraden an seiner Seite.

      „Ist es denn so schlimm hier?“, fragte er vorsichtig.

      „Wie würdest du es denn finden, wenn dein Vater eines Tages nach Hause kommt und verkündet: Liebe Leute, packt eure Sachen. Ich habe unser Haus verkauft. In einem Monat ziehen wir nach Schweden. Da kann ich als Vorarbeiter arbeiten und muss keinem Klugscheißer mehr nach der Pfeife tanzen.“

      Wenn Janni mal den Mund aufmachte, dann konnte er endlose Monologe halten, als müsse er alle Worte loswerden, die sich in den schweigsamen Tagen zuvor in ihm angesammelt hatten.

      „Einen Monat, vier kurze Wochen! Das musst du dir mal vorstellen. Ich hatte Freunde da, die ich verlassen musste und nun nie wieder sehen kann. Mit ihnen konnte ich Finnisch reden, denn das ist meine Muttersprache.

      Schwedisch kann ich nur deshalb sprechen, weil mein Großvater angeblich aus Schweden stammt und mein Vater darauf bestand, dass ich die Sprache erlerne. Und wo bin ich gelandet? Entschuldige, ich will dein Dorf nicht schlecht machen, aber ihr selbst nennt die Gegend doch das mörkest Småland, das dunkelste Småland. Nichts als schwarze Wälder und stinkende Fabriken. Ich habe in der Nähe von Turku gewohnt, die Stadt, die ihr Schweden Åbo nennt. Es stimmt. Da dauert der Winter noch ein paar Tage länger als bei Euch, aber die hellen Sommernächte entschädigen dich für alles. Da kannst du die ganze Nacht mit deinen Freunden herumtoben und die Erwachsenen vermissen dich nicht einmal!“

      „Das muss schön sein, Janni“, gab Gustav zu.

      Dann hatte Gustav eine Idee: „Weißt du was, wenn wir im nächsten Jahr aus der Schule kommen und ich bei der Eisenbahn anfange zu lernen, dann kommst du mit. Das wird mein Vater schon irgendwie deichseln, wenn ich ihn darum bitte. Wenn wir dann erwachsen sind, fahren wir beide nach Finnland, besuchen alle deine Freunde und du zeigst mir deine alte Heimat. Lokführer brauchen sie dort doch auch!“

      Von da an verstanden sich Gustav und Janni ohne viele Worte und nur sechs Wochen später, als wir in die Weihnachtsferien gingen, waren die beiden die dicksten Freunde und blieben es, ihr Leben lang.

      Skogslund

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