Johannes Anders

Rücksturz nach Tyros


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Handelsabkommen abzuschließen und möglichst Ersatz für die dringend benötigten Wandlerkristalle zu finden. Dazu sollten sie eine Xenopsychologin mit an Bord nehmen und den Botschafter. Die Xenopsychologin war anwesend und erklärte, dass sie mit ihrem Team den Funkverkehr der neuen Welt analysiert und die Sprache der Eingeborenen entschlüsselt habe. Automatische Übersetzer seien verfügbar. Sie riet aber dringend, die fremde Kultur noch weiter zu erforschen.

      Char gab zu bedenken, dass sie nicht ewig Zeit hätten und dringend die Kristalle brauchten. Die Standardzeit zur Vorbereitung eines Erstkontakts sei von der Sternenlichtvereinigung auf vier Wochen festgelegt worden. Aurora sei nun schon fünf Wochen an der Sache dran. Ob es denn Komplikationen gäbe?

      Storm ging das alles ziemlich am Arsch vorbei.

      *

      Protokoll des Gesprächs mit Major Zaya Karan

       Sternenzeit 3166.05.23.15.30, Coach Juli

      Turnusmäßig meldete sich heute Major Zaya Karan zum Pflicht-Coaching. Karan ist Kommandantin des Erkundungskreuzers Mag-5 und berichtete in früheren Gesprächen von Autoritätsproblemen mit ihrer Crew. Heute erklärte sie, sie sei mit leichten Kopfschmerzen erwacht und empfinde die Gesamtsituation an Bord der MAGELLAN als belastend. Alle hätten schlechte Laune, nachdem die Schiffsführung die nächste Mission vorgestellt hatte. Die schlechte Stimmung der Besatzung kann nach dem Scheitern unseres letzten Auftrags nicht verwundern. Besonders die Erkundungskreuzer hatten ja hohe Verluste zu beklagen.

      Major Karan gab ihrer Verwunderung Ausdruck, dass ihr das Kommando über die Mag-5 nicht entzogen wurde. Schließlich sei die Mag-5 das einzige noch einsatzfähige Erkundungsschiff, und die Kommandantin der Mag-2 sei viel erfahrener und habe gerade nichts zu tun, da die Mag-2 noch in der Reparaturwerft festhinge. Was läge also näher, als die Crews auszutauschen?

      Mir lagen alle Daten über Major Karan vor, deshalb wusste ich, dass sie die besten Zeugnisse und exzellente Referenzen von der Flottenakademie mitbrachte. Sie zeichnete sich durch überragende Intelligenz, charakterliche Stärke und körperliche Fitness aus. Ich fragte Major Karan, ob sie Ideen habe, warum sie das Vertrauen der Schiffsführung genieße. Sie antwortete wörtlich: „Ach, keine Ahnung, die glauben doch alle, ich sei zu jung für den Job!“

      Auf meine Frage, worin sich das äußere, erklärte sie, dass sich das bei den meisten Mitgliedern ihrer Crew nicht offen äußere, umso mehr allerdings bei Leutnant Eden Sturm, auch genannt Storm, deren Verachtung sie ununterbrochen spüre.

      Ich säte bei ihr den Gedanken, dass Storm ihre Verachtung ja vielleicht nicht nur gegen Major Karan, sondern gegen alle Menschen und insbesondere gegen sich selbst richte.

      Karan griff meine Anregung auf und überlegte, ob Leutnant Sturm vielleicht deshalb ihre Kriegsverletzung so offen zur Schau trug. Moderne Prothesen konnten schließlich sehr echt wirken, sodass man sie kaum als künstlich wahrnahm. Storm habe aber eine Prothese aus unlackiertem Edelstahl gewählt, womit sie aussah wie ein halber Roboter. Sie trug auch keine Perücke und ließ die gelb gefärbten Haare auf ihrer biologischen Seite abstehen wie Stacheln eines Igels. Aber tat sie das aus Selbsthass, oder war es vielmehr ein verdeckter Hilferuf? Oder eine Anklage, dass man sie mit ihrer Kriegsverletzung alleine ließ?

      Da Karan mich fragend ansah, gab ich die Frage an sie zurück: „Was meinen Sie? Haben Sie mit Leutnant Sturm schon einmal darüber gesprochen?“

      „Das würde ich niemals wagen“, begehrte sie empört auf. „Storm reagiert absolut allergisch auf jede Art von Psychogedöns und würde hochgehen wie eine Granate!“

      Ich nahm zur Kenntnis, dass meine Dienste unter den Besatzungen nicht allzu sehr geschätzt und als Psychogedöns abgetan wurden. Dies war aber keine große Überraschung für mich, da die Leute ja nicht freiwillig zum Coaching kamen, sondern weil es auf ihrem Dienstplan stand.

      „Ich möchte eigentlich nur eins wissen“, fuhr Karan fort. „Warum wurde Storm ausgerechnet auf meinen Kreuzer versetzt?“

      Ich kannte die Antwort, war aber leider nicht autorisiert, Major Karan über die Hintergründe von Leutnant Sturms Versetzung aufzuklären.

      „Und warum wird sie niemals suspendiert, bei all den Dienstverstößen, die sie sich ununterbrochen leistet?“

      Die Antwort darauf durfte ich ihr ebenfalls nicht geben. „Man traut Ihnen wohl noch am ehesten zu, mit dieser schwierigen Situation umzugehen“, sagte ich deshalb, um dem Ganzen wenigstens einen positiven Beigeschmack zu verleihen.

      3 Erstkontakt

      Gael Klein betrachtete die Mag-5, die mit ausgefahrenem Landeschacht ruhig vor ihr im Hangar stand. Wartungspersonal führte letzte Arbeiten aus. Auf ihrem Rumpf prangte der Name CLIFF ALLISTER MCLANE, und darunter stand in kleineren Buchstaben Mag-5. Daneben befand sich die LYDIA VAN DYKE, auch als Mag-2 bekannt. Sie war immer noch nicht einsatzfähig.

      Während die Mutterschiffe nach berühmten Entdeckern benannt waren, hatte man den Erkundungskreuzern die Namen von Kriegshelden gegeben. Manche Besatzungen machten daraus eine große Sache, aber der jüngeren Generation, die den Krieg nicht mehr selbst erlebt hatte, ging das ziemlich ab. Für sie war die Bezeichnung Mag-5 genauso gut wie MCLANE, obwohl jener berühmte Namensgeber sogar einmal die Erde gerettet haben sollte. Am Ende hatte es ja nichts gebracht. Die Erde war durch die lange andauernde Kriegswirtschaft immer unbewohnbarer geworden und musste nach vergeblichen Rettungsversuchen aufgegeben werden. Nun drehte sie immer noch ihre einsam gewordene Bahn um die Sonne, und nur wenige Zurückgelassene fristeten dort ihr karges Leben. Ein besseres Symbol für die Sinnlosigkeit des Krieges konnte man sich kaum vorstellen. Aber die Menschheit hatte den Krieg ja nicht gewollt, er war ihr aufgezwungen worden.

      Als Gael aus dem Lift trat, fand sie die Kommandantin schon an Bord. Ordnungsgemäß meldete sie sich zum Dienst.

      „Willkommen an Bord, nimm bitte gleich deinen Posten ein!“, wurde sie von Zaya empfangen.

      Gael stellte sich hinter das Astrogationspult und startete die Testroutinen. Hologramme rasch fließender Texte und sich ständig erneuernder Grafiken flammten vor ihr auf. Gael zog sie mit den Händen zu sich heran und sortierte sie nach Größe, Farbe und Wichtigkeit.

      „Botschafter Massimo und Leutnant Schneider melden sich zum Dienst!“, vernahm sie im Hintergrund. Als sie aufschaute, sah sie die Xenopsychologin Aurora Schneider pflichtgemäß salutieren, während der Botschafter gelassen lächelte.

      „Willkommen an Bord!“, begrüßte Zaya die Neuankömmlinge. Bitte nehmen Sie Beobachtungsposition im Gästebereich der Brücke ein!“

      Gael entschied sich währenddessen, ihre Holos umzusortieren. Statt nach Größe, Farbe und Wichtigkeit ordnete sie sie nun nach Wichtigkeit, Farbe und Größe an. Wenn sie ihre Umgebung immer sauber und aufgeräumt hielt, würde ihr das einige Karmapunkte einbringen, da war sie ganz sicher.

      „Hangar 5 an Basis MAGELLAN“, hörte man eine Stimme aus einem Lautsprecher. „Mag-5 in allen Funktionen überprüft. Wir geben das Schiff frei.

      „Wo ist Storm, verdammt nochmal?“, fragte Zaya.

      Da niemand sonst die Antwort wusste, meldete sich der Bordcomputer ALLISTER mit seiner sonoren Stimme zu Wort. „Sie ist an Bord, in ihrer Kabine“, tat er kund.

      „Was soll das, was treibt sie da?“, schimpfte die Kommandantin. „Warum ist sie nicht auf ihrem Posten?“

      Neno Chung, der gut aussehende Kommunikationsoffizier, fummelte an seinem Pult herum. „Ich schaue mal, ob ich ein Bild bekommen kann“, murmelte er.

      „Du weißt, dass das nicht erlaubt ist“, tadelte ihn ALLISTER entspannt.

      Zaya signalisierte Neno mit einer Handbewegung, dass er das sein lassen sollte, und fluchte still in sich hinein.

      Gael verstand den Ärger der Kommandantin. Fast schon gewohnheitsmäßig wurde sie von Storm bloßgestellt, und nun auch noch vor dem Botschafter. Warum ließ sie sich das immer wieder gefallen? Warum griff sie nicht härter durch? Stattdessen schluckte sie auch diesmal