Alexandre Dumas

Die Fünfundvierzig


Скачать книгу

die Folter auszuhalten hatte... ich war hinter einem Vorhang; ich habe nicht eines von seinen Worten verloren, und jedes von diesen Worten drang in meinen Kopf wie ein Nagel unter dem Hammer.«

      »Nun, so laßt ihn unter der Folter sprechen, da er die Folter braucht; befehlt, daß die Pferde anziehen.«

      Vom Zorne hingerissen, erhob Heinrich die Hand. Der Leutnant Tranchon wiederholte das Zeichen. Schon waren die Stricke wieder an die vier Glieder des Missetäters gebunden worden; vier Männer sprangen auf die vier Pferde; vier Peitschenhiebe erschollen, und die vier Rosse stürzten in entgegengesetzten Richtungen fort.

      Ein furchtbares Krachen und ein entsetzlicher Schrei wurden zu gleicher Zeit vom Boden des Schafotts hörbar. Man sah, wie die Glieder des unglücklichen Salcède blau wurden, sich verlängerten und mit Blut unterliefen; sein Gesicht war nicht mehr das eines menschlichen Geschöpfes: es war die Maske eines Dämons.

      »Ah! Verrat! Verrat!« schrie er. »Nun! ich werde sprechen, ich will sprechen, ich will alles sagen. Ah! verfluchte Herzog . .«

      Seine Stimme übertönte das Gewieher der Pferde und den Lärm der Menge; aber plötzlich erlosch sie.

      »Haltet ein! haltet ein!« rief Catharina.

      Es war zu spät. Kurz zuvor noch starr vor Schmerz und Wut, fiel Salcèdes Kopf plötzlich auf den Boden des Blutgerüstes.

      »Laßt ihn sprechen,« rief die Königinmutter. »Haltet ein, haltet doch ein!«

      Salcèdes Auge war übermäßig erweitert, es blieb hartnäckig auf die Gruppe geheftet, wo der Page erschienen war. Tranchon folgte geschickt der Richtung. Aber Salcède konnte nicht mehr sprechen, er war tot.

      Tranchon gab leise seinen Bogenschützen einige Befehle, und diese durchsuchten die Menge in der durch Salcèdes Blicke bezeichneten Richtung.

      »Ich bin entdeckt,« sagte der junge Page Ernauton ins Ohr; »habt Mitleid, helft mir, unterstützt mich, Herr, sie kommen! sie kommen!« – »Aber wer seid Ihr denn?«

      »Eine Frau... rettet mich, beschützt mich!«

      Ernauton erbleichte, aber der Edelmut trug den Sieg über das Erstaunen und die Furcht davon. Er stellte seine Schutzbefohlene vor sich, brach ihr Bahn durch gewaltige Streiche mit dem Knopfe seines Degens und trieb sie bis zur Ecke der Rue du Mouton, gegen eine offene Tür. Der junge Page stürzte darauf zu und verschwand in dieser Tür, die ihn zu erwarten schien und sich hinter ihm schloß.

      Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihn nach seinem Namen zu fragen, noch wo er ihn wiederfinden würde. Aber während er verschwand, machte ihm der Page, als hätte er seinen Gedanken erraten, ein verheißungsvolles Zeichen.

      Nunmehr frei, wandte sich Ernauton gegen den Mittelpunkt des Platzes um und umfaßte mit einem Blicke das Schafott und die königliche Loge.

      Salcède lag starr und bleifarbig auf dem Blutgerüste ausgestreckt. Katharina stand leichenbleich und zitternd in der Loge. »Mein Sohn,« sagte sie endlich, sich den Schweiß von der Stirne wischend, »Ihr würdet wohl daran tun, mit Eurem Scharfrichter zu wechseln. Dieser ist ein Ligist.«

      »Woran seht Ihr es?« – »Schaut! schaut!«

      »Nun, ich schaue.« – »Salcède hat nur einen Zug erlitten, und er ist tot.«

      »Weil er zu empfindlich für den Schmerz ist.« – »Nein, nein!« entgegnete Katharina, mit einem Lächeln der Verachtung, das ihr der geringe Scharfsinn ihres Sohnes entriß, »nein, sondern weil er unter dem Schafott mit einem seinen Strick in dem Augenblick erdrosselt worden ist, wo er die, die ihn sterben ließen, anklagen wollte. Laßt den Leichnam untersuchen, und ich bin sicher, Ihr findet um seinen Hals den Kreis, den der Strick daran zurückgelassen hat.«

      »Ihr habt recht,« sagte Heinrich, dessen Augen einen Moment funkelten, »mein Vetter von Guise ist besser bedient als ich.«

      »Still! still! mein Sohn, keinen Lärm, man würde unser spotten; denn die Partie ist diesmal wiederum verloren.«

      »Joyeuse hat wohlgetan, sich anderswo zu belustigen,« sagte der König, »man kann auf nichts in dieser Welt zählen, nicht einmal auf die Hinrichtungen. Gehen wir, meine Damen, gehen wir.«

      Die beiden Joyeuse.

      Die Herren von Joyeuse hatten sich, wie wir gesehen, vor der Hinrichtung entfernt; sie ließen bei den Equipagen des Königs ihre Lakaien, die mit ihren Pferden auf sie warteten, und gingen durch die Straßen dieses volkreichen Stadtviertels, die an diesem Tage ganz verlassen waren.

      Sobald sie außen waren, wanderten sie Arm in Arm fort, aber ohne miteinander zu reden. Kurz zuvor noch so freudig, war Henri ernst, in Gedanken versunken, beinahe düster.

      Anne schien unruhig und war verlegen über das Stillschweigen seines Bruders. »Nun, Henri,« fragte er endlich, »wohin führst du mich?« – »Ich führe dich nicht, ich gehe dir voran, mein Bruder,« erwiderte Henri, als ob er plötzlich erwachte. »Wünschest du irgendwohin zu gehen, mein Bruder?« »Und du?« – Henri lächelte traurig, »Oh! ich,« sagte er, »mir ist es gleichviel, wohin ich gehe.«

      »Du gehst doch diesen Abend irgendwohin,« entgegnete Anne, »denn jeden Abend gehst du zu derselben Stunde aus, um erst ziemlich spät in der Nacht nach Hause zu kommen, und zuweilen kommst du gar nicht nach Hause.«

      »Willst du mich ausfragen, Bruder?« sagte Henri weich und zugleich ein wenig ehrfurchtsvoll vor dem älteren Bruder.

      »Ich dich ausfragen? Gott behüte mich! Die Geheimnisse gehören denen, die sie bewahren.« – »Wenn du es wünschest, habe ich keine Geheimnisse vor dir, du weißt es wohl.«

      »Du wirst keine Geheimnisse für mich haben, Henri?« – »Nie, mein Bruder; bist du nicht zugleich mein Herr und mein Freund?«

      »Verdammt! ich dachte, du kümmertest dich nicht um mich, der ich nur ein armer Laie bin; ich dachte, du hättest unseren weisen Bruder, diesen Pfeiler der Gottesgelahrtheit, diese Leuchte der Religion, diesen gelehrten Architekten der Gewissensfälle des Hofes, der eines Tages Kardinal sein wird, ich dachte, du vertrautest ihm, und fändest bei ihm zugleich Beichte, Absolution und wer weiß ... Rat; denn in unserer Familie,« fügte Anne lachend hinzu, »ist man zu allem gut, du weißt es, davon zeugt unser vielgeliebter Vater.«

      Henri du Bouchage ergriff die Hand seines Bruders und drückte sie liebevoll. »Du bist für mich mehr als Gewissensrat, mehr als Beichtiger, mehr als Vater, mein lieber Anne,« sagte er, »ich wiederhole, du bist mein Freund.«

      »So sprich, mein Freund, warum habe ich dich, der du so heiter warst, allmählich traurig werden sehen, und warum gehst du, statt bei Tage auszugehen, jetzt nur noch bei Nacht aus?« – »Mein Bruder, ich bin nicht traurig,« erwiderte Henri lächelnd.

      »Was bist du denn?« – »Ich bin verliebt.«

       »Gut, Und dieses Versunkensein?« – »Kommt davon her, daß ich unablässig an meine Liebe denke.«

      »Und du seufzest, während du mir das sagst?« – »Ja.« »Du seufzest, du, Henri, Graf du Bouchage, du, Joyeuses Bruder, du, den die schlimmen Zungen den dritten König von Frankreich nennen? Du weißt, Herr von Guise ist der zweite, wenn nicht gar der erste! Du, der du reich, der du schön bist, der du Pair von Frankreich sein wirst, wie ich, und Herzog, wie ich, bei der ersten Gelegenheit, die sich findet, du bist verliebt, nachdenkend und seufzend; du, dessen Wahlspruch ›hilariter‹ (heiter) lautet.« – »Mein lieber Anne, all dieses Gute in der Vergangenheit oder der Zukunft zählt für mich nicht unter die Dinge, die mein Glück ausmachen. Ich besitze keinen Ehrgeiz,«

      »Das heißt, du besitzest keinen mehr.« – »Oder ich strebe wenigstens nicht nach den Dingen, von denen du sprichst.« –

      »In diesem Augenblick vielleicht; doch später wirst du darauf zurückkommen.« – »Nie, Bruder, ich wünsche nichts, ich will nichts.«

      »Und du hast unrecht, Bruder. Wenn man den Namen Joyeuse, einen der schönsten Namen Frankreichs, führt, wenn man einen Bruder hat,