Alexandre Dumas

Die Fünfundvierzig


Скачать книгу

– »Nichts, nichts, wenn nicht, daß ich verliebt bin, und das weißt du schon, da ich es dir soeben gestanden habe.«

      »Aber zum Teufel! das ist nichts Ernstes,« erwidert? Anne, mit dem Fuße stampfend. »Beim Papst, ich bin auch verliebt!« – »Nicht wie ich, Bruder.«

      »Ich denke auch zuweilen an meine Geliebte.« – »Ja, aber nicht immer.« »Ich habe auch Widerwärtigkeiten, Kummer sogar.« – »Ja, du hast aber auch Freuden, denn man liebt dich.«

      »Oh! ich stoße auch auf große Hindernisse; man verlangt von mir großes Geheimhalten.« – »Man verlangt? Du hast gesagt »man verlang?«, Bruder. Wenn deine Geliebte verlangt, so gehört sie dir.«

      »Allerdings gehört sie mir... nämlich mir und Herrn von Mayenne; denn ein Vertrauen ist des andern wert, Henri, ich habe gerade die Geliebte dieses Unzüchters von Mayenne, ein in mich vernarrtes Mädchen, das Mayenne auf der Stelle verlassen würde, wenn es nicht fürchtete, von ihm umgebracht zu werden. Du weißt, es ist seine Gewohnheit, die Frauen umzubringen. Dann hasse ich diese Guisen, und es belustigt mich ... mich auf Kosten eines von ihnen zu belustigen. Nun, so sprich, wen liebst du, Henri? Deine Geliebte ist doch wenigstens schön?« – »Ach, mein Bruder, es ist nicht meine Geliebte.«

      »Ist sie schön?« – »Zu schön.«

      »Ihr Name?« – »Ich weiß ihn nicht.«

      »Gehe doch!« – »Bei meinem Ehrenwort.«

      »Mein Freund, ich fange an zu glauben, daß die Sache doch gefährlicher ist, als ich dachte ... Das ist beim Papst keine Traurigkeit, sondern Tollheit!« – »Sie hat nur ein einziges Mal mit mir oder vielmehr nur ein einziges Mal in meiner Gegenwart gesprochen, und seit dieser Zeit habe ich nicht einmal mehr den Ton ihrer Stimme gehört.«

      »Und du hast dich nicht erkundigt?« – »Bei wem?«

      »Wie! bei wem? bei den Nachbarn.« – »Sie bewohnt ein Haus für sich allein, und niemand kennt sie.«

      »Das ist wohl ein Schatten?« – »Es ist eine Frau, groß und schön wie eine Nymphe, ernst und erhaben wie der Engel Gabriel.«

      »Wie hast du sie kennen lernen? Wo hast du sie getroffen?« – »Eines Tages verfolgte ich ein Mädchen, ich trat in einen kleinen Garten, der an eine Kirche stößt, dort ist eine Bank unter Bäumen. Der Schatten fing an, dichter zu werden; ich verlor das Mädchen aus dem Gesicht, und während ich es suchte, gelangte ich zu der Bank.«

      »Immerzu, ich höre.« – »Ich erblickte im Halbdunkel ein Frauenkleid und streckte die Hände aus.

      »Verzeiht, mein Herr,« sagte plötzlich die Stimme eines Mannes, den ich nicht bemerkt hatte, »verzeiht«.

      »Und die Hand dieses Mannes schob mich sacht, aber mit Festigkeit zurück.«

      »Er wagte es, dich zu berühren, Joyeuse?« – »Höre, dieser Mann hatte das Gesicht in einer Art von Kutte verborgen, ich Hielt ihn für einen Mönch, dann machte er Eindruck auf mich durch den liebevollen und höflichen Ton seiner Warnung, denn während er zu mir sprach, bezeichnete er mit dem Finger auf zehn Schritte die Frau, deren weiße Kleidung mich nach dieser Seite gezogen hatte ... Sie kniete vor der steinernen Bank, als ob es ein Altar wäre.

      »Ich blieb stehen, mein Bruder; dieses Abenteuer begegnete mir am Anfang des September; die Luft war lau; die Rosen und die Veilchen, die dort stehen, sandten mir ihre zarten Wohlgerüche zu; der Mond zerriß eine weißliche Wolke hinter dem Glockenturm der Kirche, und die Fenster fingen an, sich an ihrem First zu versilbern, während sie sich unten von dem Widerscheine der angezündeten Kerzen vergoldeten. Ach, war es die Majestät des Ortes, war es die persönliche Würde, diese kniende Frau glänzte für mich in der Finsternis wie eine Bildsäule von Marmor, und als ob sie wirklich von Marmor gewesen wäre. Sie flößte mir eine gewisse Ehrfurcht ein, die mich im Heizen erstarren ließ.«

      »Ich schaute sie gierig an.

      »Sie beugte sich auf die Bank, umfaßte sie mit ihren Armen, drückte ihre Lippen darauf, und bald sah ich ihre Schultern unter der Gewalt ihrer Seufzer und ihres Schluchzens wogen; nie hast du solche Ausbrüche gehört, Bruder; nie hat ein scharfes Eisen so schmerzlich ein Herz zerrissen. »Während sie weinte, küßte sie den Stein mit einer Trunkenheit, die mich von Sinnen brachte; ihre Tränen rührten mich, ihre Küsse machten mich verrückt.«

      »Beim Papst! sie war verrückt,« sagte Joyeuse, »küßt man einen Stein so? Schluchzt man so um nichts?« – »Oh! es war ein großer Schmerz, der sie schluchzen ließ, oh! es war eine tiefe Liebe, die sie diesen Stein zu küssen bewog; aber wen liebte sie? Wen beweinte sie? Für wen betete sie? Ich weiß es nicht.«

      »Doch dieser Mann, hast du ihn nicht befragt?« – »Gewiß.«

      »Und was hat er geantwortet?« – »Sie habe ihren Gatten verloren.«

      »Beweint man einen Gatten? Das ist, bei Gott! eine schöne Antwort; und du hast dich damit begnügt?« – »Ich mußte wohl, da er mir keine andere geben wollte.«

      »Aber dieser Mann selbst, wer ist er?« – »Eine Art von Diener, der bei ihr wohnt.«

      »Sein Name?« – »Er weigerte sich, ihn mir zu sagen.«

      »Jung? alt?« – »Er mag achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt sein.«

      »Und was geschah hernach? ... Sie hat wohl nicht die ganze Nacht fort geweint und gebetet?« – »Nein. Als sie zu weinen aufgehört, stand sie auf, Bruder; es lag in dieser Frau eine so geheimnisvolle Traurigkeit, daß ich, statt auf sie zuzugehen, wie ich es bei jeder andern Frau getan hätte, zurückwich; sie schritt sodann auf mich oder vielmehr auf die Stelle zu, wo ich stand, denn sie sah mich nicht einmal; da traf ein Mondstrahl ihr Antlitz, und dieses erschien mir erleuchtet, schimmernd: sie hatte ihren düsteren Ernst wieder angenommen, kein Zusammenziehen des Gesichtes, kein Beben, keine Tränen mehr, nur noch die feuchte Furche, die sie gezogen. Ihre Augen allein glänzten noch. Ihr Mund öffnete sich sanft, um das Leben einzuatmen, das sie einen Augenblick schien verlassen zu wollen. Sie machte ein paar Schritte mit einer gewissen weichen Mattigkeit und wie im Traume; der Mann lief auf sie zu und führte sie; denn sie schien vergessen zu haben, daß sie auf der Erbe ging. Oh! Bruder, welch eine Schönheit, welche übermenschliche Macht!«

      »Hernach, hernach?« fragte Anne, der unwillkürlich ein Interesse an dieser Erzählung nahm, über die er anfangs spotten wollte. – »Oh! nun bin ich bald zu Ende, mein Bruder; ihr Diener sagte leise ein paar Worte zu ihr, und sie ließ ihren Schleier nieder; ohne Zweifel sagte er ihr, ich wäre da; aber sie schaute nicht einmal auf meine Seite, sie senkte nur ihren Schleier, und ich sah sie nicht mehr; es kam mir vor, als hätte sich der Himmel verdüstert, und als wäre es kein lebendiges Geschöpf mehr, sondern ein diesen Gräbern entstiegener Schatten, der durch das hohe Gras schweigend vor mir hinschlüpfte.

      »Sie verließ das Gehege; ich folgte ihr.

      »Von Zeit zu Zeit wandte sich der Mann um und konnte mich sehen, denn ganz verwirrt und betäubt, wie ich war, verbarg ich mich nicht; was willst du? Ich hatte noch die alten gemeinen Gewohnheiten im Kopfe, den alten rohen Sauerteig im Herzen.«

      »Was willst du damit sagen, Henri?« fragte Anke. »Ich verstehe dich nicht.« – Der junge Mann antwortete lächelnd: »Ich will damit sagen, daß meine Jugend geräuschvoll war, daß ich oft zu lieben glaubte, und daß alle Frauen für mich bis zu jenem Augenblick Frauen waren, denen ich meine Liebe anbieten konnte.«

      »Oh! oh! was ist das?« rief Joyeuse, der, unwillkürlich etwas beunruhigt durch das Geständnis seines Bruders, seine Heiterkeit wieder zu erlangen suchte. »Nimm dich in acht, Henri, du schweifst aus, es ist also keine Frau von Fleisch und Knochen?« – »Mein Bruder,« sagte der junge Mann, ganz leise Joyeuses Hand mit fieberhaftem Drucke umschließend, »so wahr mich Gott hört, ich weiß nicht, ob es ein Geschöpf dieser Welt ist.«

      »Beim Papst!« erwiderte Anne, »du würdest mir angst machen, wenn ein Joyeuse Angst haben könnte. Noch es ist doch gewiß, daß sie geht, daß sie weint, und daß sie Küsse gibt; du hast