Daimon Legion

Die Stunden der Nacht


Скачать книгу

gewaltigen Schlag hinter die Ohren, dass sie auseinanderstürzten. Die rangniederen Wölfe schüttelten ihre Köpfe und Mähnen. Schweigsam akzeptierten sie die Bestrafung, doch funkelten sie sich nach wie vor böse an.

       „Wakmé!“, nannte der Alpha die zwei abwertend und schnaufte. Über die breite Schulter hinweg, zischte er Dani zu: „Wir haben untereinander ein paar Angelegenheiten zu klären. Du solltest jetzt besser gehen, kleines Mädchen. Halte dich in Zukunft von der Dunkelheit fern. Ein nächstes Mal werde ich nicht so gnädig mit dir sein.“

      Das ließ sich Dani sicher nicht noch mal sagen.

      Die Dämonen nicht außer Acht lassend, bewegte sie sich langsam auf das Tor zu. Im bösen Spaß versuchte der Blaue, dem sie nahe kam, nach ihr zu schnappen, und er lachte boshaft über ihr überraschtes Gesicht.

      „Tao“, ermahnte ihn der Alpha kalt, „ich gab ihr mein Wort!“

      „Für diese Nacht, Re …“, zischte er bissig.

       Zumindest besitzt der Anführer so etwas wie Ehre, beruhigte Dani ihr schlagendes Herz und schritt mit Bedacht rückwärts durch den Bogen hinaus.

       „Krś tśkoro, Amon …“, hörte sie leise den roten Wolf noch knurren, dann verschwand der Hinterhof in der Biegung und Dani trat wieder auf die offene Straße hinaus.

      Der Morgen kroch über den Himmel. Krähen kündigten ihn an. Die nachtschwärzliche Dunkelheit wich einem im Osten stetig heller werdendem Blauton. Die berufstätigen Menschen der Stadt erwachten und der Verkehr nahm zu. Eine Straßenbahn zog donnernd in einer Nebenstraße vorbei.

      Ihre Knie wurden plötzlich weich. Erschöpft wie nach einem anstrengenden Training ließ sich die junge Frau auf den Asphalt sinken und zog tief die kühle Luft ein. Atmete Staub, Abgase und Fäulnis, roch Teer, Benzin und Schnee. Alles würde sie nicht mehr wahrnehmen können, wenn …

       Es hätte schlimmer ausgehen können.

       Überlebt. Ich habe überlebt. Wieder.

       Ich hab echt mehr Glück als Verstand, schüttelte sie über diese Nacht den Kopf.

      7

       Vom Boden aufgelesen

      Nachdem sie sich etwas gesammelt hatte, fand sie doch noch in der Hosentasche einen zerknüllten Fünfer-Schein. Von diesem kaufte Dani beim Bäcker Brötchen und einen heißen Kaffee. Zu heiß, als dass sie ihn tragen konnte, nahm sie Unmengen Zuckertütchen zur Hand und setzte sich in den beheizten Vorraum, um dort darüber nachzudenken, wie sie es nur fertiggebracht hatte, dem Tod von der Schippe zu springen.

      Unter welchem Stern war sie geboren worden, dass die Lichtfänger sie abermals verschonten?

      Kaum einer konnte das von sich sagen.

       Ja, eigentlich gar keiner.

      In dieser Nacht war ein Kind gestorben. Ein so kleines, junges Leben, das noch alles vor sich hatte. Es starb schwach, unbedeutend und sinnlos; wie eine Fliege, die von einer höheren Macht zerquetscht wurde. Einfach, weil diese Macht über Leben und Tod entscheiden konnte. Das Kind starb, während Dani überlebte.

      Seufzend dachte sie daran, wie die Eltern sich fühlen mochten. Zerrissen zwischen Wut und Trauer, wie sie vor vielen Jahren. Es war niemals schön, einen geliebten Menschen zu verlieren. Waren Vater und Mutter bereits wach? Hatten sie bemerkt, dass jemand bei ihnen eingebrochen war, um ihr Baby zu stehlen? Nicht mal, um es zu fressen, nein. Es lag verrottend im Hof und würde von Ratten angenagt werden, ehe es jemand finden konnte.

      Würde es heißen, es sei ein bedauerlicher Unfall? Würde man es so auslegen, dass das Kind nachts aus dem Bett – gar aus dem Fenster gefallen wäre? Würden die Eltern das glauben?

      Wahrscheinlich wäre der Gedanke noch immer vernünftiger als die Existenz der Lichtfänger.

       Warum haben sie es nicht gefressen?, dachte sie ernsthaft nach. Der Welpe hätte es sicher getan. Der Blaue auch. Was hatte der Alpha daran auszusetzen?

      Wenn sie nur wüsste, worum es bei ihren Gesprächen gegangen war …

       Gedankenverloren rieb Dani ihre kalten Oberschenkel. Zu Hause wartete ein warmes Bett auf sie. Und sie musste noch Robert anrufen, um … Moment.

      Sie tastete sich ab. Noch mal zur Sicherheit. Tastete an ihren Gürtel.

       Ups.

      Augenblicklich verfiel sie in Panik.

      Hastig stopfte sie sich die Brötchen in die Jackentaschen und trank den heißen Kaffee, auch wenn sie sich die Zunge verbrühte. Dann stürmte sie aus dem Geschäft, dass die Verkäuferin ihr nur verwirrt nachschauen konnte.

       Ich bin so ein Idiot!, schimpfte Dani mit sich und rannte zurück zum Torbogen.

       Die Taschenlampe! Die hab ich voll vergessen!

       In einem Hof, der mit einer Leiche aussieht wie ein Schlachtfeld! Kann man so dumm sein?

       Na ja, gab sie sich besser keine Antwort.

      Zumindest um die Lichtfänger musste sie sich nicht mehr sorgen.

      In der knappen halben Stunde, die sie beim Bäcker verbracht, ihre Wiedergeburt gefeiert und die Toten betrauert hatte, war die eintretende Dämmerung vorangerückt zu einem weißen Streifen am Horizont über der Stadt, der sicher alle Kreaturen der Nacht vor der brennenden Morgensonne warnte. Demnach war der Hinterhof wie leer gefegt, da Dani ihn beinahe stürzend erreichte. Sie war auf irgendetwas am Boden ausgeglitten und verzerrte sich das Bein.

       Egal, ignorierte sie den dumpfen Schmerz und sah sich händeringend um.

      Ihre Taschenlampe lag nicht dort, wo sie sie hatte fallen lassen. Das, was sie von ihr noch fand, waren kleine Plastikteile, zertreten, zerquetscht und verteilt über das dunkle Pflaster, welches im Schatten der Häuser lag.

      Irgendwie erleichtert beruhigte sich Dani wieder. Unter den Umständen wären Fingerabdrücke und Ähnliches schwer zu gebrauchen. Die losen Splitter fänden nicht mal als Beweismaterial Beachtung … Bedauerlich war es dennoch. Das bedeutete nämlich, sie musste Geld für eine neue Leuchte zurücklegen. Die Garantie griff sicher nicht bei Dämonenschaden.

      Sie hockte sich nieder und hob die Fassung der winzigen Glühbirne auf. An ihren Fingern klebte dabei noch etwas anderes.

      „Was zum Geier …“, murmelte sie für sich und fühlte. Es war eine Flüssigkeit, schwarz und zähflüssig wie Öl oder Zuckerrübensirup. Vorsichtig roch sie daran. Es stank nicht nach Treibstoff oder sonst wie chemisch. Es erinnerte sie an einen Geruch wie … Erde. Nein, Moos. Das Zeug roch nach feuchtem Moos.

      Jetzt schaute Dani genauer hin. Das war das Geschmiere, auf dem sie vorhin ausgerutscht war. Die Pflastersteine waren nicht nur wegen des Nachtschattens so schwarz. Sie waren beschmutzt, bekleckst mit diesem … Noch einmal strich die junge Frau mit dem Finger über den nassen Boden.

       Ist das vielleicht …

      Voller Abscheu schüttete sie es von sich ab.

      Der Hof war getränkt mit Dämonenblut!

       „Scheiße!“, fluchte Dani deftig und blicke sich suchend um. Liegt jetzt mehr als eine Leiche hier herum? Noch besser, eine Dämonenleiche! Wenn die Polizei die findet, sind die Nachrichten heute klar!

      Nervös und mit bebendem Herzen versuchte sie, den Verlauf des Kampfes zurückzuverfolgen, der hier eindeutig vor wenigen Minuten stattgefunden hatte. Wie auch immer die Wölfe untereinander gewütet haben mussten, das Opfer ihrer Wut schien regelrecht zerfetzt worden zu sein. Große Blutlachen sammelten sich überall in der nahen Umgebung an. Ein Fleck an der Wand könnte bedeuten, dass der Graue mit aller Macht dagegen geschleudert wurde. Schleifspuren zogen sich über Mauern und Grund. Sie glaubte