Elke Schwab

Kullmann auf der Jagd


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www.elkeschwab.de

      Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt

      Printed in Germany

      Dieser Krimi ist die überarbeitete Auflage des Originals:

       Hetzjagd am Grünen See

       Blut ist der Kuss zwischen Tod und Leben,

       aus ihm fließt das Sein von Gut und Böse.

       In nahezu jeder Kultur und jeder Religion

       hat Blut eine besondere Bedeutung.

       Das beginnt in der Kinderstube der Menschheit,

       in welcher sich die urzeitlichen Jäger das Blut des getöteten Tieres über den eigenen Körper verteilten.

      »Moritz! Moritz!«

      Laut schallte der Schrei durch den leeren Raum, traf mitten ins Nervenzentrum, öffnete sämtliche Schweißporen und ließ der Hitze seines Körpers freien Lauf.

      Hastig richtete sich Harald Steiner auf. Es war stockdunkel, er fand keine Orientierung. Die Leuchtziffern auf seinem Radiowecker zeigten fünf Uhr fünfzig an. Schon fast seine normale Zeit aufzustehen. Trotzdem fühlte er sich gerädert – als habe er kaum ein Auge zugemacht.

      Er hörte ein Geräusch.

      Erschrocken fuhr er herum. Doch schon im gleichen Augenblick ließ die Anspannung nach, wich großer Freude. Es war das Hecheln seines Hundes, das ihm so vertraut war wie sein eigener Atem. Erleichtert schaltete er die Nachttischlampe ein und schaute seinem Deutschen Münsterländer in die dunklen Augen, die in all den Jahren nichts von ihrem Ausdruck, ihrer Wachsamkeit und Treue verloren hatten. Schwanzwedelnd stand er am Bett und versuchte sein Herrchen mit seiner Zunge abzuschlecken, was Steiner aber zu verhindern wusste. Als er sich in sein Bett zurücksinken lassen wollte, spürte er, dass sein Laken nass war – vom Schweiß.

      Es war eine von vielen Nächten, in denen er von seinem immer wiederkehrenden Traum geweckt wurde. Konnten ihn die Bilder seiner Vergangenheit nicht loslassen? Wie viele Jahre waren seitdem vergangen? Er wollte lieber nicht darüber grübeln, denn dann wäre an Schlaf überhaupt nicht mehr zu denken. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass die Nacht noch pechschwarz war. Er beschloss aufzustehen, etwas zu trinken und sich auf der Couch niederzulassen, wo er den restlichen Schlaf nachholen konnte, bevor ein neuer Tag begann. Er stieg aus dem Bett und schlurfte durch einen langen, schmalen Gang in Richtung Küche.

      Plötzlich hörte er einen Schuss.

      Seine Müdigkeit war schlagartig verflogen. Auch Moritz zeigte mit seinem aufgeregten Bellen, dass er einsatzbereit war.

      Schon wieder ein Wilderer!

      Wie viel Wild war in den letzten Monaten stümperhaft angeschossen und in seinem Wald zum elenden Sterben zurückgelassen worden?

      Wie so oft musste er mit seinem Hund rausgehen und die Schweißsuche nach solch einem Tier durchführen. Obwohl Moritz schon alt war, funktionierte seine Nase tadellos. Bisher war ihm kein angeschossenes Stück entgangen, ob bei Tag oder bei Nacht.

      Rasch zog sich Steiner eine schwarze Hose, einen Pullover und eine wetterfeste Jacke an. Seinen Kopf bedeckte er mit einer schwarzen Mütze. So leuchtete seine Glatze nicht verräterisch; außerdem schützte sie seinen kahlen Kopf vor der Kälte.

      Steiner wohnte mitten in dem Wald, der sein Arbeitsplatz war. Der Limberg hatte bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts über den doppelten Umfang verfügt.

      Dann wurde er aufgeteilt in heute Limberg und Hessmühle.

      Das Hofgut Limberg befand sich seit seiner Erbauung im Jahr 1812 im Familienbesitz von Villeroy. Deren Verwalter, Ernst Barbian, war mit sämtlichen personellen Belangen betraut. Ihm oblag auch die Vollmacht, das Haus an den amtierenden Förster zu vermieten. Nur so war es Steiner möglich, in einem derart feudalen Domizil zu leben.

      Sein vergangenes Leben – die Zeit vor seinem Dienst als Revierjäger auf dem Limberg – wollte er mit allem Hab und Gut hinter sich lassen. Nach vorne schauen, das versuchte er seit fünfzehn Jahren. Rein äußerlich betrachtet war ihm das sogar gelungen. Wären da nicht die Alpträume, die ihn hartnäckig verfolgten.

      Die Luft war feucht, es hatte geregnet. Zu der Dunkelheit kam Nebel, also ungünstige Bedingungen zum Jagen. Da war es unmöglich, Wild waidgerecht zu erlegen.

      Wut kroch in ihm hoch. Er hatte sich der Jagd und der Verantwortung für das Wild verschrieben, weil er im Polizeidienst versagt hatte. Nun erlebte er, dass ihn sogar diese Aufgabe an seine Grenzen brachte. Menschen töteten aus purer Lust wehrlose Tiere. Dieses Phänomen war ihm nicht bewusst gewesen, als er die Stelle als Revierförster angetreten hatte. Vor seinem geistigen Auge hatte er nur Natur, Schönheit und Ruhe gesehen und sich deshalb mit Freude auf die neue Aufgabe gestürzt. Leider verfolgte ihn das Unrecht auch in die versteckten Winkel des Waldes. Sein Vorhaben, von seinem früheren Leben Abstand zu gewinnen, wurde auf eine harte Probe gestellt.

      Zunächst versuchte Steiner zu lokalisieren, wo der Schuss gefallen war. Es musste in unmittelbarer Nähe geschehen sein. Der Limberg bestand aus Bergen und Tälern, Steilhängen und Gräben, Wällen und Schluchten, also aus vielen Hindernissen, die einen Knall aus einer Waffe schluckten, sobald er sich in einem entfernten Winkel ereignete. Seine Wohnstätte befand sich zwischen Oberlimberg und St. Barbara – direkt am Bambetter Kessel. Hinter ihm ging es nur noch bergauf, dahinter lagen Schluchten und Täler. So konnte er den Radius einkreisen, in dem der Schuss abgefeuert worden war. Sein Jeep würde nicht vonnöten sein.

      Mit Moritz an der Leine und dem Revolver im Holster trat er durch den kalten Morgen. Nächtliche Schwärze und Stille umgaben ihn. Der Nebel schluckte sämtliche Geräusche. Nach und nach gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, sodass es ihm leichter fiel, mit dem Tempo seines Hundes Schritt zu halten. Moritz hechelte und zog an der Leine, als wüsste er genau, welche Richtung er einschlagen musste. Steiner ließ ihn gewähren. Die Sinnesorgane seines Hundes waren unübertrefflich, was seine Erfolge bei der Nachtsuche immer wieder bezeugten.

      Es wurde ein anstrengender Marsch.

      Der Weg führte steil bergauf. Trotz Dunkelheit erkannte Steiner, dass sie sich zielstrebig auf die höchste Stelle des Limbergs zubewegten. Sein Hund war trainierter als er selbst, denn Steiner begann laut zu schnaufen.

      Lange dauerte es, bis Moritz endlich eine Fährte aufnahm. Die Morgendämmerung brach schon herein, der Nebel blieb hartnäckig. Moritz’ Aufregung steigerte sich, er beschleunigte sein Tempo. Steiner hatte immer größere Mühe, ihm zu folgen. Aber von der Leine lassen durfte er seinen Hund noch nicht, weil er ihn sonst aus den Augen verlor. Lange liefen sie, Steiners Luft wurde immer knapper, bis Moritz stehenblieb und sein Herrchen anschaute. Das war der Hinweis, dass er abgeschnallt werden wollte. Wie ein Pfeil schoss der braun-weiße Hund davon. Zurück blieben der Nebel und das Geräusch, das Moritz hinterließ, während er durch das Gestrüpp hechtete. Dann ertönte sein tiefes, grollendes Bellen, der Standlaut. Damit zeigte er an, dass er das Wild gefunden hatte. Von nun an bestand Steiners Aufgabe darin, dem Bellen seines Hundes zu folgen. Mühelos gelang es ihm, das Wundbett des verletzten Tieres auszumachen. Das Bild, das der angeschossene Bock ihm bot, war erschreckend. Auf dem Rücken klaffte eine große Wunde. Sein Rückgrat war verletzt worden, weshalb er sich nur noch auf den Vorderläufen fortbewegen konnte. Auf dem Kopf trug er noch sein Gehörn, fast schwarz, mit starker Perlung, hohen Kranzrosen, und messerscharfen Spitzen. Es war ein drei- bis vierjähriger Bock, also ein starkes Tier, das ein Waidmann niemals zum Abschuss freigegeben hätte, da seine Merkmale repräsentabel zum Weitervererben waren. Hinzu kam die noch andauernde Schonzeit. Dieser Bock war auf keinen Fall mit einer Ricke zu verwechseln, da er seine starke Gehörnmasse noch nicht abgelegt hatte. Das Abschlachten durch Wilderer wuchs zu Steiners größter Sorge heran, einer Herausforderung,