Elke Schwab

Kullmann auf der Jagd


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ging nur noch der Name durch den Kopf.

      »Bernd Schumacher?«

      »So heißt der Tote«, erklärte Schnur. »Wie ich erwartet habe, geht dir bei dem Namen ein Licht auf.«

      »Wie kommt Bernd Schumacher hierher? Ich dachte, der sitzt.«

      »Er wurde vor einigen Monaten entlassen – wegen guter Führung.«

      Steiner war so überrascht, dass ihm die Worte fehlten.

      »Du weißt, was das bedeutet?«, fragte Schnur. »Ich muss dich auf die Kriminalpolizeiinspektion nach Saarbrücken mitnehmen. Dort wirst du erkennungsdienstlich behandelt, danach stelle ich dir einige Fragen.«

      »Darf ich mir wenigstens Kleider zum Wechseln mitnehmen?«

      »Natürlich, aber es bleibt immer jemand in deiner Nähe«, bestimmte Schnur.

      »Meine Güte! Soviel Misstrauen. Du weißt doch, wer ich bin und auf welcher Seite ich stehe.«

      »Ich kann nur von dem ausgehen, was ich sehe. Und das sieht nicht gut für dich aus.«

      Steiner gab sich geschlagen.

      »Oben auf dem Berg liegt ein Rehkadaver«, erklärte er, während sie auf das Auto zugingen. »Der Bock muss in die Wildkammer gebracht werden.«

      »Einen Bock in der Schonzeit schießen«, blaffte Rolf West sofort los. »Das bringst nur du fertig! Aber jetzt bist du erledigt. Deine Zeit als Förster ist vorbei. Ernst Barbian wird Augen machen, wenn er hört, was du dir neben der Wilderei noch alles erlaubt hast.«

      »Nicht so hastig, Subito-Rolf«, funkte Schnur dazwischen. »Wir werden Harald Steiner nur befragen. Er ist nicht verhaftet. Ich hoffe, das ist in deinem überreizten Hirn angekommen und du redest keinen Unsinn im Dorf.«

      »Das wird nicht zu vermeiden sein«, resignierte Steiner. »Rolf lässt nichts aus, was mir schaden könnte.«

      »Richtig erkannt! Warum sollte ich dir helfen? Wie du mir, so ich dir«, zischte Rolf West.

      Steiner überhörte seine letzte Bemerkung. Stattdessen sprach er zu Schnur: »Bevor ich auf die Leiche im Holzspalter gestoßen bin, ist noch ein Schuss oben auf dem Berg gefallen.«

      »Wo?«

      »Es hörte sich an, als habe der Schütze in der Umgebung der Kapelle gestanden. Genauer weiß ich es nicht.«

      Eine Weile schaute Jürgen Schnur Harald Steiner an, überlegte, was in seiner Situation zu tun sei, bis er sich entschied: »Ich werde einige Kollegen dorthin schicken. Sie sollen nachsehen. Denn, sollte dort ein weiterer Toter liegen, wäre es fatal, wenn ich deinen Hinweis übergehe.«

      »Stimmt«, nickte Steiner. »Vor allem, weil es ein Schuss mit Treffer war.«

      »Was macht dich so sicher?«

      »Der Kugelschlag war deutlich zu hören.«

      Als sie vor dem Wagen standen, kam die schwarz gekleidete Frau wieder auf Steiner zu. Er war frustriert, als in seiner ohnehin miserablen Gemütsverfassung auch noch ihre Hetzparolen an sein Ohr drangen: »Jetzt verstehe ich, warum du mich nicht vorbei gelassen hast. Das war natürlich schön blöd, dass ich genau in dem Augenblick aufkreuzte, als du mit deiner Tat noch nicht fertig warst. Was wolltest du noch machen? Den Toten ausnehmen, die Lieblingsbeschäftigung der Jäger?«

      »Frau Richter!« Esther eilte dazwischen. »Mischen Sie sich hier nicht ein. Das geht Sie nichts an. Ein Kollege wird sie jetzt zur Polizeiinspektion mitnehmen, damit Sie dort Ihre Aussage machen.«

      »Dumm was, dass ich dazwischen kam«, rief sie trotzig weiter. »Hab ich dich um dein Vergnügen gebracht?«

      Steiner spürte, wie in ihm Wut hoch kroch. Sie wollte den Verdacht von sich auf ihn ablenken, was ihr auch glänzend gelang.

      Aber Esther ließ sie nicht weiterreden, sondern schob sie gegen ihren Willen ins Polizeifahrzeug.

      »Esther, du wirst jetzt mit Harald Steiner zu seinem Haus fahren, ihm gestatten, dort einige Kleider zum Wechseln zu packen und mit ihm nach Saarbrücken kommen«, wies Schnur seine Mitarbeiterin an. »Ein Kollege wird dich begleiten.«

      »Und was passiert mit meinem Hund?«, fragte Steiner.

      Moritz stand ganz aufgeregt neben ihm und wedelte mit dem Schwanz, als das Thema endlich auf ihn kam.

      Esther trat auf das schöne Tier zu und überlegte, es zu streicheln. Aber die Vorsicht siegte. Sie schaute auf den Besitzer und fragte: »Ist er gefährlich?«

      Steiners Gesicht verzog sich zu einer todernsten Miene und antwortete: »Oh ja!«

      Erschrocken wich sie zurück.

      Steiner fügte an: »Das ist ein Kampfschleckhund. Jeder, der ihn streichelt, bekommt es unweigerlich mit seiner langen, nassen Zunge zu tun.«

      Erleichtert lachte Esther , setzte sich in die Hocke und streichelte Moritz über das samtweiche Fell. Einige Sekunden verstrichen, bis der Hund tatsächlich genau das tat, was Steiner angekündigt hatte. Er begann ihre Hand abzulecken.

      »Ist der süß«, jubelte sie. »Wir nehmen ihn mit. So einen treuen Kerl kann man nicht allein zurücklassen.«

      »Okay, bringt ihn mit! Aber macht euch auf den Weg. Ich will hier keine Wurzeln schlagen«, stimmte Schnur zu.

      »Das heißt ja, dass du ihn wieder laufen lässt?«, ertönte die Stimme von Rolf West.

      »Du warst ja schon immer schnell mit deinem Mundwerk, aber langsam mit dem Hirn. Wie ich sehe, hat sich im Laufe der Jahre nicht viel daran geändert«, gab Schnur dem hitzköpfigen Mann zu verstehen.

      Erstaunt schauten alle Kollegen auf Jürgen Schnur, die ihn so zynisch gar nicht kannten. Aber Schnur ließ sich nicht beirren. »Sieh zu, dass der Rehkadaver in die Wildkammer gebracht wird! Das ist das Einzige, was du im Augenblick richtig machen kannst.«

      Sogar Rolf West war durch diesen Ton so erschrocken, dass er nur noch ein Nicken zustande brachte. Er suchte nach Micky, um mit ihm zum Polizeifahrzeug zu gehen. Der Junge versteckte sich immer noch hinter Steiner.

      Das veranlasste Steiner, sich zu Micky umzudrehen und einige Worte mit ihm zu sprechen. Das Lächeln verschwand aus dem rundlichen Gesicht und wich einer trotzigen Miene. Aber er widersprach Steiner nicht und folgte widerstrebend seinem Vater.

      Nach und nach entfernten sich die Fahrzeuge vom Tatort. Zurück blieben nur noch wenige Beamte, die den Tatort mit Absperrband absicherten.

      Esther begleitete Steiner nach Hause. Sie saß auf dem Beifahrersitz, ein Polizeibeamter vom Polizeibezirk Saarlouis hatte das Steuer übernommen. Ständig fiel ihr Blick in den Rückspiegel, um Steiner zu beobachten. Sein Hund lag auf seinem Schoß, sein Gesicht wirkte entspannt, während er das braun-weiß gefleckte Fell streichelte.

      Der Fahrer des Wagens folgte Steiners Wegbeschreibung, bis er ein gusseisernes Tor passierte und an einem gut gepflegten Rasen vorbei auf ein Gebäude im Stil des Klassizismus zurollte. Die geraden Formen bestachen durch die hohen Sprossenfenster, dekoriert von dunklen Klappläden auf der hellen Fassade. Vollendet wurde das Gesamtbild durch das Mansardendach aus schwarzem Schiefer. Ein kleines Haus in neuzeitlicher Bauweise und ein flaches Gebäude flankierten das Herrenhaus, eingeschlossen von üppigen bunten Blättern wilden Weins. In der Mitte des Hofes prangten ein moderner Pavillon und ein rustikales Brunnenhaus. Dunkelrote Rosen, weiße Margeriten und gelbe Dahlien stachen von dem saftigen grünen Rasen ab, eine kleine Oase zwischen Sandsteinwänden, wo der Berg für dieses Fleckchen Erde abgetragen worden war. Der Anblick verschlug ihnen den Atem.

      Als Steiner die erstaunten Gesichter bemerkte, erklärte er: »Durch meinen Arbeitsvertrag mit Monsieur Villeroy habe ich hier nur Wohnrecht. Das Haus gehört mir nicht.«

      »Aber allein dort zu wohnen muss doch schön sein«, überlegte Esther laut.

      »Das dachte ich auch, als ich hierher zog – ein Vorzug meiner neuen Arbeit. Ein ruhiges