Elke Schwab

Kullmann auf der Jagd


Скачать книгу

diese Stelle zu bekommen, weil er mit dem Verwalter verwandt ist.«

      »Leider hat ihm die Verwandtschaft nichts genützt – deine Beziehungen waren besser.« Schnur feixte.

      »Dass ich plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht bin, traf ihn wie ein Schlag. Er blieb arbeitslos – was er heute noch ist.«

      »Willst du damit den Verdacht auf Subito-Rolf lenken?«

      »Den halte ich mit seinem hitzigen Gemüt durchaus für eine solche Tat fähig« antwortete Steiner. »Als Polizist habe ich meinen Eid auf die saarländische Verfassung abgelegt. Daran halte ich mich heute noch.«

      »Auch das soll ich dir jetzt glauben? Meine Güte, seit ich diesen Fall bearbeite, muss ich ganz urplötzlich zu einem glaubensstarken Menschen mutieren.«

      »Hör auf, so mit mir zu reden«, wurde Steiner plötzlich laut. »Du kennst mich schon seit wir beide bei der Polizei angefangen haben und weißt genau, dass du mir vertrauen kannst.«

      »Wirklich?« Schnurs Miene blieb ausdruckslos.

      »Was soll das jetzt?« Steiner reagierte gereizt.

      »Warum ließ sich Odysseus mit verbundenen Augen und Ohren an den Mast fesseln, als er an den Sirenen vorbeifuhr?«

      Ohne zu überlegen antwortete Steiner: »Weil er sich selbst nicht traute.«

      »Gut erkannt«, nickte Schnur.

      Steiner merkte zu spät, was seine Antwort für ihn bedeutete.

      Moritz spürte die Anspannung und begann leise zu knurren.

      »Moritz! Aus!«, befahl Steiner. Der Hund gehorchte sofort.

      »Was soll das, den Hund Moritz zu nennen?«, reagierte Schnur auf den kleinen Zwischenfall. »Für einen Menschen, der seine Vergangenheit weit hinter sich lassen will, tust du merkwürdige Dinge.«

      Steiners Gesichtszüge wurden hart, als er grollte: »Was wird das hier? Willst du mit deiner Beförderung gleichzeitig einen Weltrekord im Aufklären von Fällen aufstellen?« Er schnappte kurz nach Luft und fügte in einem Tonfall an, als würde er einen Sensationsbericht abgeben: »Schon nach einer Stunde Fall gelöst, Jürgen Schnurs Karriereleiter nicht mehr zu stoppen!«

      »Hieß nicht das entführte Kind Moritz?« Mit dieser Frage überging er Steiners affektierte Kundgebung.

      »Ja.« Steiners Tonfall wurde wieder normal. »Aber nicht nur das Kind, wie du wohl weißt.«

      Schnur lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkte seine Arme vor seinem Bauch und wartete.

      »Da war außerdem der Hund namens Moritz«, sprach Steiner weiter.

      »Richtig! Durch das unverhoffte Auftauchen dieses Hundes wurde dein Einsatz in den Sand gesetzt«, stimmte Schnur zu. »Und was willst du damit bezwecken, deinen Hund Moritz zu nennen. Ist das eine Art der Selbst­bezichtigung, weil du damals den Tod einer unschuldigen Frau verschuldet hast?«

      Die Luft war zum Zerreißen gespannt.

      Es dauerte lange, bis Steiner endlich antwortete: »Mein Moritz ist der Hund von damals.«

      Nun war es an Schnur zu staunen. Er stand auf, ging um den Tisch herum und schaute sich das Tier näher an.

      »Dann muss er schon fünfzehn Jahre alt sein?«

      »Rechnen kannst du.«

      Beide blickten auf den braun-weißen Hund, der abwechselnd von Schnur zu Steiner schaute.

      »Was hätte ich damals tun sollen? Auch noch das arme Tier ins Tierheim bringen? Das habe ich einfach nicht übers Herz gebracht. Es war schon genug passiert.«

      »Du hast den Fall nicht vergessen können«, erkannte Schnur. »Im Gegenteil, du siehst ihn vor dir, als wäre alles erst gestern passiert.«

      Steiner sagte nichts dazu.

      »Und dann willst du mir weismachen, dass ausgerechnet du Bernd Schumacher, dem Entführer, keinerlei Beachtung mehr geschenkt hast. Er war der Auslöser für alles.«

      »Sieh es, wie du willst. Ich habe den Hund mitgenommen und als Jagdhund ausgebildet. So konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«

      »Aber der Hund erinnert dich doch täglich daran.«

      »Nein. Der Hund ist das Beste, was mir passieren konnte. Er hat mich nicht herunterzogen, sondern aufgebaut. Hast du ein Haustier?«

      Schnur schüttelte den Kopf und meinte: »Ich habe eine Frau und zwei Kinder. Das reicht.«

      »Ich hatte auch einmal Frau und Kind. Beide habe ich nach dem Einsatz verloren. Was mir geblieben ist, ist der Hund.«

      Schnur legte seine angriffslustige Haltung ab, weil er erkannte, dass er auf einen wunden Punkt bei Steiner gestoßen war. Keinem auf der Polizei­dienststelle war damals entgangen, wie dieser Einsatz Steiners Leben verändert hatte. Es gab niemanden, den es kalt gelassen hätte.

      »Okay«, lenkte Schnur nach einer kurzen Bedenkzeit ein. »Du hältst dich zur Verfügung.«

      Steiner nickte, erhob sich von seinem Platz und steuerte auf den Ausgang zu. Moritz folgte ihm aufgeregt hechelnd, ein Zeichen dafür, dass er froh war, endlich dort raus zu kommen.

      Kapitel 4

      Die Temperaturen stiegen an, der Nebel lichtete sich, wich der Novembersonne, die sich in diesem Herbst von ihrer schönsten Seite zeigte. Beste Arbeitsbedingungen – wäre da nicht der beunruhigende Gedanke an den zweiten Schuss. Bevor Steiner zu seiner Routine überging, musste er sich an der Kapelle umsehen.

      Er schulterte sein Gewehr und trat hinaus. Die Haustür fiel hinter ihm leise ins Schloss. Ganz tief atmete er die kühle Luft ein, sortierte in Gedanken die Gerüche der Bäume, des nassen Laubs und der Herbstblumen, die immer noch den Brunnen zierten und etwas, das den Gesamteindruck von Harmonie jäh unterbrach. Von einer Vorahnung geplagt richtete er seinen Blick auf den Boden direkt neben der Haustür.

      Dort lag ein angefahrener Fuchs.

      Sein Deckhaar schimmerte unter dem dunklen, verkrusteten Blut rötlich­braun. Weit aufgerissene Augen starrten ihn an, seine Flanken zitterten, seine Nasenflügel bebten. Mit letzter Kraft fletschte er seine Zähne.

      Wieder ein Opfer der rachsüchtigen Wildvernichter?

      Er nahm seine Repetierbüchse von der Schulter. Auch wenn die Waffe dafür ungeeignet war, so wollte er doch keine Zeit vergeuden, sondern das Tier so schnell wie möglich erlösen.

      Wo war Micky?

      Vermutlich hatte ihm sein Vater nach der verhängnisvollen Begegnung am Morgen untersagt, das Haus zu verlassen. Jetzt erst erkannte er, welche Dienste ihm der Junge bot. Steiners schlechtes Gewissen meldete sich sofort, denn was jetzt kam war eine unangenehme Schinderei.

      Nachdem der Kadaver vergraben war, trat die Haushälterin vor die Tür, stemmte beide Hände in die Hüften und sprach mit Steiner wie mit einem ungehorsamen Kind: »Das wurde auch Zeit. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann. Meine Vorräte liegen im Keller, in den ich nur gelange, indem ich durch den Hof gehe. Wenn dort ein halbtotes Tier liegt, kann ich das nicht. Ich ekle mich davor.«

      »Das tut mir wirklich leid«, mehr konnte Steiner nicht dazu sagen. Er ahnte, dass die Attacken so schnell nicht aufhörten – im Gegenteil: Der Leichenfund am Morgen würde die Leute im Dorf noch mehr gegen ihn aufbringen.

      Er nahm seinen Feldstecher, pfiff nach Moritz und marschierte den Berg hinauf.

      An der Kapelle war alles still, kein Spaziergänger, keine Fahrradfahrer, nichts. Er gab Moritz die lange Leine, damit der Hund den Boden absuchen konnte. An einigen Stellen zeigte der Hund große Aufregung, aber eine Spur fand er nicht. Mehrere Male suchte er den Platz ab, wobei er seinen Radius vergrößerte, nichts. Er umrundete das ehemalige Kloster, das für die Treibjagd im