Elke Schwab

Kullmann auf der Jagd


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steht die Beifahrertür offen?«

      »Ich wollte frische Luft schnappen.«

      Steiner hörte Schritte, die sich entfernten. Sie kamen aus einer Richtung, die außerhalb des Lichtkegels seiner Scheinwerfer lag.

      »Wer ist hier ausgestiegen?«

      »Niemand!«

      »Du stellst jetzt dein Auto auf die Seite und kommst mit mir zur Polizei. Das kostet dich den Führerschein. So wie du stinkst, hast du die ganze Kneipe leer gesoffen.«

      Zu Steiners Überraschung fuhr Siegmund Gerstner gehorsam das Auto zur Seite und stieg ohne Protest bei Steiner ein.

      Der Polizeiposten von Wallerfangen befand sich im Rathaus direkt am zentralen Fabrikplatz, der seinen Namen der ehemaligen Steingutfabrik verdankte, die später nach Mettlach umgesiedelt war. Im Büro traf Steiner auf den nächsten Bekannten, den Dorfpolizisten Helmut Brack. Im Dorf nannten sie ihn auch den gefallenen Helmut. Vor vielen Jahren hatte er zusammen mit Steiner die Polizeischule besucht.

      »Immer noch Wachtmeister?«, lautete seine Begrüßung.

      »Inzwischen bin ich Kommissar«, kam es unfreundlich zurück.

      »Du willst mir nicht sagen, dass du es mit deinen glanzvollen Leistungen bis zum gehobenen Dienst geschafft hast?«

      »Lass mich in Ruhe! Ich kritisiere auch nicht deine Degradierung vom Polizeibeamten zum Förster.«

      »Das war freiwillig. Du hast dir dein berufliches Versagen dagegen verdient.«

      »Was willst du hier?«

      »Ich will dich an deine Pflichten als Kommissar erinnern!«

      »Seit der neuen Regelung der zweigeteilten Laufbahn im Polizeidienst bin ich unweigerlich vom Polizeihauptmeister zum Kommissar ernannt worden. Das ändert weder etwas am Gehalt noch an meinen Aufgaben.«

      »Stimmt! Bisher hast du es vermieden, deinen Aufgaben gerecht zu werden. Jetzt gebe ich dir Gelegenheit, das zu ändern.«

      Helmut Brack wirkte trotz seiner grauen Haare jugendlich und athletisch. Steiner wusste, dass er sein Aussehen nicht dem Zufall überließ. Was hielt einen Mann wie Helmut Brack in einem Dorf fest, wo seine Arbeit aus dem Ausfüllen von Formularen bestand?

      »Du wirst diesen Trunkenbold jetzt einem Alkoholtest unterziehen, in die Ausnüchterungszelle stecken und dafür sorgen, dass sein Führerschein eingezogen wird.«

      »Was soll das?«, wollte Helmut Brack aufbegehren, doch Steiner ließ ihn nicht zu Wort kommen: »Siegmund Gerstner ist eine Gefahr für sich und andere. Ich hoffe, wir verstehen uns!«

      »Seit wann hat mir ein Jäger zu sagen, was ich tun soll?«

      »Weil der Jäger sonst eine Dienstaufsichtsbeschwerde in Saarbrücken einreicht. Das könnte endlich deinen bequemen Stuhl zum Wackeln bringen.«

      Helmut Brack schaute Harald Steiner mit funkelnden Augen an. Aber es kam kein Protest, sondern ein Grummeln: »Kein Wunder, dass dich hier keiner haben will. Du bist der Meister im Diskreditieren. Hast das als Bulle wohl schon genauso gemacht.«

      »Das kann dir egal sein.«

      »Ist es auch. Aber wundere dich nicht, wenn deine Beliebtheit mit ungestümen Gefühlsentladungen honoriert wird.«

      »Der Trunkenbold wird jetzt einer Alkoholkontrolle unterzogen!« Steiner blieb beharrlich.

      Helmut Brack deute ein Nicken nur an.

      »Das kannst du mit mir nicht machen«, hörte Steiner den Protest von Siegmund Gerstner, bevor die Tür hinter Steiner zufiel.

      Kapitel 6

      Steiner stand auf den breiten Steinstufen vor dem Fabrikplatz und schaute sich nach allen Richtungen um. Rechts von ihm lag das Restaurant Funzl, ein grünes Eckhaus an der Hauptstraße, das vom Zerfall bedroht wurde. Gegenüber das Limited, das mit seinen mittelalterlichen Kellergewölben warb. Dicht vor ihm fiel sein Blick auf das Gasthaus Zum Felix mit seinem Biergarten, flankiert vom Botan-Grill, der genau auf den China-Thai-Imbiss blickte, das Eckhaus zu Steiners linker Seite. Genau auf Augenhöhe lauerte der Donze. Rechts war er an die Park-Apotheke angebaut. Nützlich, bei dem ungesunden Klima in der alten Kaschemme. Das änderte aber nichts daran, dass Steiner die Trinkbrüder nur bleich und kränklich kannte. Ein einfaches Karlsberg-Urpils-Schild lockte die Gäste an. In diesem Gasthof versammelte sich der Kern der Dorfbewohner, dort wurde über alles geredet, was sich im Dorf ereignete. Wenn Steiner etwas erfahren wollte, musste er zum Donze gehen, auch wenn ihm die düstere Atmosphäre widerstrebte.

      Er setzte an, die Straße zu überqueren, als sich die schwarz gekleidete Frau näherte. Sie sah ihn nicht, wirkte verstört, taumelte. Besorgt eilte er auf sie zu und hinderte sie daran, auf die Straße zu stolpern, wo gerade einige Autos vorbei schossen. Überrascht schaute sie hoch. Als sie sein Gesicht sah, blaffte sie: »Gibt es in Wallerfangen nur alte Lustmolche?«

      Steiner sah, dass mehrere Knöpfe ihrer Bluse fehlten und einige Haarsträhnen zottelig abstanden. Auch das Zittern, das sie zu unterdrücken versuchte, entging ihm nicht.

      »Was ist passiert?«

      »Willst dich wohl aufgeilen, oder was?«, kam es schnippisch zurück.

      »Nein, ich mache mir Sorgen. Eine junge Frau sollte nachts nicht allein herumlaufen«, beschwichtigte er. »Und schon gar nicht im Wald – so wie Sie das anscheinend ganz gerne tun.«

      »Halt dich aus meinem Leben raus, das wird dir doch nicht allzu schwer fallen!«

      Die Sturheit brachte Steiner dazu, sie einfach gehen zu lassen. Er schaute ihr nach, wie sie auf unsicheren Beinen über die Straße und genau in die Kneipe stolperte, die er ebenfalls anstrebte.

      Langsam folgte er ihr. Vor dem Eingang zögerte er. Eine Weile lauschte er durch die geschlossene Tür den lauten Gesprächen, die offensichtlich von Betrunkenen geführt wurden. Es wurde gestritten, gelacht, Bierhumpen knallten zusammen.

      Entschlossen öffnete er die Schwingtür und trat ein. Schlagartig verstummten die Gäste. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. An der Theke saß Rolf West, der mit seiner wuchtigen Masse Platz für zwei beanspruchte und viel Rauch aus Mund und Nase schnaubte. Rechts am großen Stammtisch lümmelte sich Peter Magath in seinem Blaumann, der beängstigend über seinem Bauch spannte. Ihm war der Spitzname Rohr-Pitt verpasst worden. Neben ihm Arthur Winter, genannt Wintergoldhähnchen, dessen Gesicht wie immer gelb schimmerte und dessen spärlicher Haarkranz in einem erstaunlich steilen Winkel zu seinem platten Hinterkopf abstand. Oliver West, Rolf Wests Sohn durfte in der Runde nicht fehlen. Wie sein Vater rauchte er Kette, sein Aschenbecher quoll über.

      Anne Richter trat gerade aus der Damentoilette auf den Stammtisch zu. Als sie Steiner sah, stoppte sie kurz, um dann aber ihren Weg fortzusetzen. Sie ließ sich neben Oliver West nieder, der seinen Arm um ihre Schultern legte.

      Die Wirtin, eine kräftige Frau, stemmte beide Arme auf die Theke, starrte mit grimmigem Gesicht auf ihre Gäste und blaffte: »Habt ihr keine Manieren? Was soll das, mitten im Satz abzubrechen, wenn einer das Lokal betritt?«

      »Ha ha«, kam es von Oliver West. »Steiner kann machen, was er will. Er hat bei den Frauen einen Stein im Brett. Das kann unser Wintergoldhähnchen bestätigen. Seine Frau hat ihn wegen Steiner sitzen lassen.«

      Gute Einführung in die Kneipenrunde, dachte Steiner grimmig. Das Gelächter, das Oliver Wests Spruch begleitete, überhörte er. Er sah nur, dass die Gesichtsfarbe von Arthur Winter noch gelber wurde.

      Er trat auf die Theke zu und bestellte sich ein Urpils vom Fass. Sofort verließ Rolf West seinen Barhocker, gesellte sich zu anderen Gästen am Ecktisch auf der linken Seite und brüllte: »Neben einem Mörder bleibe ich nicht sitzen.«

      Steiner spürte, wie sein Blutdruck in die Höhe schoss.

      Absolute Stille herrschte.