Elke Schwab

Kullmann auf der Jagd


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Missgeschick, das jedem hätte passieren können.«

      »Ich möchte nicht mehr darüber reden«, blockte Steiner ab. »Sag mir lieber, was diese Hausdurchsuchung soll. Bin ich immer noch verdächtig?«

      »Wir haben das Ergebnis der Obduktion der Leiche …«

      »Lass mich raten, was die Todesursache ist«, fiel ihm Steiner ins Wort. »Nierenversagen.«

      »Was soll das? Du weißt doch, dass er geköpft wurde.«

      »Eben! Was sollte die Obduktion für Überraschungen bringen?«

      »Am erstaunlichsten ist die geringe Menge Blut am Tatort. Das Team der Spurensicherung hat einen halben Kubikmeter Erde darunter ausgehoben und untersucht. Nichts!«

      »Dafür kommen die Satanisten infrage, nicht ich.«

      »Bisher gehörte das Köpfen durch eine Holzspaltmaschine nicht zu den üblichen Praktiken einer Schwarzen Messe«, entgegnete Schnur schroff.

      »Deshalb suchst du bei mir nach Blut?«

      »Nicht nur das: Der Tote hatte außerdem Schmauchspuren an den Händen.«

      »Es wurde ein Schuss abgefeuert, weshalb ich im Wald war, um die Nachsuche zu machen.«

      »Es wurde aber keine Waffe bei dem Toten gefunden.«

      »Vielleicht liegt sie dort, wo der Kopf gelandet ist«, schlug Steiner vor.

      »Was glaubst du eigentlich, was wir hier machen?« Schnur wurde ungeduldig. »Ich bin nicht mehr der nette Kaffee kochende Kollege, der sich die Arbeiten aufs Auge drücken lässt, die sonst keiner machen will. Ich habe dazugelernt.«

      »Freut mich für dich! Und was suchst du hier bei mir?«

      »Die Waffe, die Bernd Schumacher bei sich trug.«

      »Woran willst du sie erkennen?«

      »Wir werden alles, was wir hier finden, nach Fingerabdrücken unter­suchen und prüfen, ob in letzter Zeit ein Schuss abgefeuert wurde.«

      »Ich habe mit meiner eigenen Waffe einen Schuss abgefeuert – und zwar einen Fangschuss für den angeschossenen Bock. Den Revolver kann ich dir mitgeben.«

      »Danke für dein Entgegenkommen«, bemerkte Schnur, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen. »Außerdem müssen wir zu der Stelle, an der du den Bock gefunden hast. Wir brauchen die Patrone.«

      »Das wird nicht einfach«, gab Steiner zum Besten. »Hier oben wird viel geschossen. Vermutlich findest du dort hunderte Patronen.«

      »Du wirst mir zeigen, wo der Bock angeschossen worden ist. Dein Hund kann uns hinführen.«

      »Wann gehen wir los?«

      »Wenn wir das Haus durchsucht und alle Waffen sichergestellt haben.«

      »Alle? Das kannst du nicht machen«, fuhr Steiner aufgebracht hoch. »Ich habe dir doch gesagt, welche Waffe ich für den Fangschuss im Einsatz hatte. Warum noch die anderen mitnehmen?«

      »Du stellst Fragen!«, gab Schnur zurück. »Hast du in den Jahren, seit du hier als Waldschrat in der Einsamkeit lebst, vergessen, was Polizeiarbeit ist?«

      »Ich brauche meine Waffen. Das ist mein Arbeitswerkzeug.« Steiner ging nicht auf Schnurs Anspielung ein.

      »Du kannst sie dir heute Abend bei uns im Kriminallabor abholen. Theo Barthels wird dich anrufen, wenn er fertig ist.«

      »Der gute alte Theo.« Steiners Stimme klang sofort besänftigt, als er den Namen hörte. »Der hatte Glück mit seiner Laufbahn. War es nicht Norbert Kullmann, der ihn an diesen Platz brachte?«

      Jürgen Schnur nickte.

      »Was macht Kullmann eigentlich? Ist er in Pension oder hat es ihn erwischt?«

      »Er ist in Pension und glücklicher Ersatzopa.«

      »Was ist ein Ersatzopa?«

      »Er hat eine junge Kriminalbeamtin eingearbeitet, Anke Deister. Sie wurde alleinerziehende Mutter, Kullmann zur gleichen Zeit Rentner. Da ergab es sich wie von selbst, dass Kullmann und seine Frau sich um das Kind kümmerten, damit Anke weiter ihrer Arbeit bei uns nachgehen kann.«

      »Norbert Kullmann ist verheiratet?« Steiner staunte. »Meine Güte! Wie viel sich doch verändert hat. Dem alten Kauz hätte ich so was nie zugetraut.«

      »Er hat Martha aus Marthas Kneipe geheiratet. Das war eine gute Wahl, denn Kullmann sieht so gut aus wie nie zuvor.«

      »Da sieht man wieder, dass es für die Liebe nie zu spät ist«, sinnierte Steiner und beobachtete, wie Esther Weis mit seiner Blaser R 93 in der Hand an ihm vorbeiging.

      Ein Beamter trat auf Schnur zu und erklärte: »Wir haben eine Repetierbüchse Sauer 90 Stutzen mit Kaliber 6,5 x 57, eine Blaser R 93 Standard, Kaliber 9,3 x 62, eine Bockbüchsflinte, Kaliber 12/76 mit Einstecklauf 5,6 x 52R, eine Blaser BBF 95, einen Revolver .357 Magnum und eine Pistole mit Kaliber 7,65 gefunden. Wenn Herr Steiner in dem Haus keine geheimen Kammern oder unterirdische Gänge unterhält, dürfte das sein gesamtes Waffenarsenal sein.«

      Die Polizisten verließen das Haus.

      Kapitel 8

      Sie fuhren im Schritttempo durch die schmale Kirchhofstraße, wo die Häuser dicht an den Bürgersteig angrenzten. Jürgen Schnur saß am Steuer, Esther auf dem Beifahrersitz. Seit sie in Saarbrücken losgefahren waren, hatten sie kein Wort miteinander gesprochen. Sie war in den Bericht über das Projektil vertieft, das sie auf dem Limberg gefunden hatten. Schnurs Aufmerksamkeit galt der Suche nach seinem Elternhaus. Es war Schnurs Entscheidung, ein provisorisches Büro in Wallerfangen einzurichten, um vor Ort ermitteln zu können. Einen Computer hatte ihm die Verwaltung der Landespolizeidirektion zur Verfügung gestellt, damit er mit der Dienststelle vernetzt werden konnte, um alle Informationen sofort weiterzuleiten. Dafür wollte er Esther dabei haben, weil seine eigenen Computerkenntnisse über das Bedienen des Textverarbeitungsprogramms nicht hinausgingen.

      »Hier ist es«, sprach er mit Erleichterung in seiner Stimme.

      »Hast du schon befürchtet, dein Elternhaus nicht mehr zu finden?«

      »Ehrlich gesagt, ja! Ich bin schon mal daran vorbeigefahren.«

      Kaum hatte er den Wagen abgestellt, trat eine ältere Dame vor die Haustür und schaute den beiden entgegen. Schnur ließ sich von ihr umarmen. Die Frau schwärmte: »Schön, dass du wieder heimkommst, mein Junge.«

      »Es ist nur für die Ermittlungen«, wollte Schnur seine Mutter aufklären, aber die Alte war so glückselig, dass sie seine Worte gar nicht hörte.

      Ein alter, hagerer Mann trat hinter die beiden. Sein Gesicht wirkte grimmig, seine Bewegungen hölzern. Als er sprach, klang seine Stimme gebieterisch: »Henriette, hörst du nicht, was der Junge sagt?«

      Er gab seinem Sohn die Hand zum Gruß.

      Endlich fiel die Aufmerksamkeit auf die junge Frau. Der Blick der Mutter wurde schlagartig unfreundlich.

      »Wo ist deine Frau?« Mit dieser Frage machte sie ihren Standpunkt klar.

      Schnur lachte und antwortete: »Sie ist in Völklingen und geht ihrer Arbeit nach. Das ist Esther Weis, meine Mitarbeiterin. Sie wird hier bei uns bleiben, bis der Fall aufgeklärt ist.«

      »Ich beherberge doch keine fremden Frauen!«

      »Mutter! Das ist meine Arbeitskollegin. Sie bearbeitet mit mir zusammen den Fall.«

      Schnurs Vater gelang es, die Mutter zu überzeugen: »Stell dich nicht so an! Die Frau ist nur zum Arbeiten hier.«

      Mürrisch lenkte die alte Dame ein. Wie eine verstockte Prozession traten sie hintereinander in das enge Haus.

      Esther fühlte sich nicht willkommen. Die Begrüßung hatte ihr gereicht. Es war ihr ohnehin unangenehm, zusammen mit