Elke Schwab

Kullmann auf der Jagd


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Sie darüber?«

      »Eduard Zimmer?« Siebert richtete endlich seinen Blick auf Schnur. »Sagten Sie nicht, dass Sie im Fall Bernd Schumacher ermitteln?«

      »Das sagte ich. Wie unsere neuesten Untersuchungen ergeben haben, gibt es einen Zusammenhang.«

      »Und der wäre?«

      »Die Repetierbüchse von Eduard Zimmer.«

      »Darüber weiß ich nichts.« Otto Siebert bot Esther einen Platz direkt vor seinem an. Dankend ließ sie sich nieder.

      Es war warm auf der Terrasse. Oder schwitzte sie aus anderen Gründen? Trotz ihrer Versuche, seinem Blick auszuweichen, blieben ihre Augen an seinen haften. Sie glaubte, ein siegessicheres Lächeln darin zu sehen. Was machte diesen Mann so selbstsicher? Unauffällig musterte sie ihn. Sofort hatte sie die Antwort darauf: Alles stimmte an ihm. Sein Aussehen, sein Charme, seine Kleidung und nicht zuletzt sein Umfeld. Sie schaute sich um, sah Skulpturen von nackten Frauen eingerahmt von dunkelgrünen Ziersträuchern, Swimmingpool, Springbrunnen mit hohen Fontainen, stufenförmig abgesetzter Pavillon, mit weißen Mauern eingefasste Terrasse, filigrane Gartenstühle, feines Porzellan auf dem gläsernen Tisch, Sherry im Kristallglas, das Siebert in seiner Hand hielt. Hier herrschte verschwenderischer Luxus, der in vollen Zügen ausgekostet wurde.

      »Auch einen Sherry?« Siebert schien ihre Gedanken zu lesen. Gewinnend lächelte er Esther an.

      »Wir trinken nicht im Dienst«, kam es von Schnur. »Ich will von Ihnen wissen, wie es möglich sein konnte, dass Sie einen Toten in zweihundert Metern Tiefe finden, aber keine Waffe.«

      »Vermutlich lag die Waffe irgendwo, wo ich sie nicht gesehen habe.«

      »Aber den Toten haben Sie gesehen?«

      »Das ist aktenkundig. Was soll diese Frage?«

      »Die Frage taucht auf, weil wir einen Toten haben, der vor seinem Tod mit genau dieser Waffe geschossen hat«, erklärte Schnur. »Wer – außer Ihnen – kann an die Waffe gekommen sein?«

      »Das weiß ich nicht. Vielleicht war jemand schon vor mir an der gleichen Stelle vorbeigegangen und hat sie mitgenommen.«

      »Das ist eine Stelle, an die sich ein Spaziergänger nicht einfach so verirrt. Dort gehen nur Menschen hin, die mit dem unwegsamen Gelände vertraut sind.«

      »Es wimmelt dort oben von Jägern.«

      »Das stimmt nicht«, korrigierte Schnur. »Dort oben ist nur ein Jäger. Das war damals Eduard Zimmer.«

      »Und heute Harald Steiner. Ich habe ihn selbst empfohlen. Und nicht zu Unrecht, wie ich glaube.«

      »Sie lenken vom Thema ab.«

      »Genau das!«

      Otto Siebert stand auf, stellte sich vor Jürgen Schnur. Er war größer als der Polizeibeamte und kräftiger. Sein Gesichtsausdruck verriet nicht das geringste Anzeichen von Empfindungen, sei es Ärger, Angst oder Heiterkeit. Er schaute ihn ganz neutral an, als er sagte: »Ich bin darüber informiert, dass Sie jetzt das Kommissariat für Tötungsdelikte leiten. Ihre Kühnheit gibt mir das Gefühl, dass Sie sich in dieser Funktion wohlfühlen.«

      Sollte Schnur sich geschmeichelt fühlen oder gewarnt sein?

      »Sie haben vor einigen Wochen bei uns einen Einbruch gemeldet.«

      »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.« Siebert nickte anerkennend.

      »Was in meinen Schulbüchern allerdings nicht aufgelistet ist, sind die Gegenstände, die gestohlen wurden.«

      Siebert grinste.

      »Könnten Sie mich bitte aufklären, damit ich meinen Test bestehe?«

      »Es wurde nichts gestohlen.«

      »Und das soll ich jetzt verstehen?«

      Siebert entgegnete nichts.

      »In Psychologie hapert es noch bei mir. Ist es möglich, dass der Einbrecher beim Anblick Ihrer vielen Wertgegenstände in Tränen ausbrach und sich nicht entscheiden konnte, was er mitnehmen soll?«

      »Alles, was einen Wert hat, ist eingetragen und versichert. Die Überprüfung ergab, dass nichts fehlte.« Sieberts Stimme klang frostig.

      »Dinge, die nicht registriert sind, könnten aber sehr wohl gestohlen worden sein«, bemerkte Schnur spitz. »So zum Beispiel eine Waffe, von der niemand wissen durfte, dass sie bei Ihnen ist.«

      Siebert hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Jetzt haben Sie mich eiskalt erwischt. Sie sind ein schlauer Fuchs – Ihnen macht keiner was vor!«

      Sieberts Ironie traf Schnur unvermittelt. Hastig wechselte er das Thema, damit Otto Siebert nicht sah, wie gekränkt er sich fühlte: »Wie viele Waffen besitzen Sie?«

      »Eine Repetierbüchse Blaser R 93, eine Krieghoff Hubertus Kipplaufbüchse, einen Krieghoff Drilling, eine Merkel Bockbüchsflinte mit Einstecklauf, einen Revolver Smith & Wesson mit .357 Magnum und eine Walther PPK 7,65 mm. Alle registriert.«

      Schnur schaute sich um.

      Sein Blick traf den rechten Turm. Die Jalousien waren heruntergelassen. Die Lamellen wurden auseinander geschoben. Schnur konnte einen Schatten ausmachen. Schnurs Augen blieben lange darauf haften. Tatsächlich! Der Schatten bewegte sich. Dort war jemand, der sie beobachtete.

      »Wer lebt in dem Turm?«

      »Mein Sohn Moritz.«

      »Wie geht es ihm?«

      Schlagartig zeigte Sieberts Gesichtsausdruck eine Regung. Er ließ sich auf seinem Stuhl nieder, trank einen Schluck Sherry und antwortete mit trauriger Stimme: »Er ist durch die Entführung ein unglücklicher Mensch geworden.«

      Mit seiner freien Hand zeigte er über das große Grundstück und fügte an: »Sehen Sie sich um, das alles gehört ihm. Aber leider kann er sein Leben nicht genießen. Er ist krank und depressiv, hat kein Interesse an den schönen Dingen des Lebens, ist verzweifelt und unglücklich.«

      »Ist er in Therapie?«

      »Natürlich! Bei den besten Therapeuten. Ich habe keine Kosten gescheut. Aber manchmal kann sogar Geld nicht helfen.«

      »Dürfen wir mit ihm sprechen?«

      »Das wird Ihnen nicht viel nützen.«

      »Versuchen können wir es ja mal.« Schnur gab nicht auf.

      Sie gingen durch den Garten zum Rundturm, stiegen die Wendeltreppe hinauf und blieben vor der einzigen Tür stehen.

      »Ich habe ihm das Turmzimmer gegeben, weil ich mir davon versprach, dass ihn das individuelle Leben zu mehr Selbständigkeit motiviert«, erklärte Otto Siebert.

      »Hat es funktioniert?«

      »Nein.«

      Otto Siebert klopfte an und trat ein, ohne dass sein Sohn die Gelegenheit gehabt hätte, ihn hereinzubitten.

      Die beiden Polizeibeamten folgten ihm.

      Sie betraten ein rundes Zimmer mit Fenstern, die zu allen Seiten zeigten. Die Läden waren allesamt geschlossen. Das einzige Licht im Raum bestand aus den Sonnenstrahlen, die durch die Ritze hereinfielen. Das genügte, um alles sehen zu können.

      Ein Bett stand gegenüber der Tür. Darin lag ein Mann, von dem nur das Gesicht zu sehen war. Erst als sie auf ihn zutraten, erkannten sie, dass er mit beiden Händen die Decke bis ans Kinn hochzog. Sein Gesicht war so weiß wie das Laken, seine Haare pechschwarz. Seine Augen rotgerändert, die Wangen eingefallen, die Lippen fahl.

      Schnur hätte schwören können, dass er ihn vor wenigen Minuten am Fenster gesehen hatte.

      Plötzlich ertönte ein leises Rumoren. Moritz Siebert hielt sich die Hand vor den Mund, als er zu sprechen begann: »Entschuldigen Sie, mir ist übel. Es riecht hier plötzlich so schlecht, dass ich mich gleich übergeben muss.«

      »Wir