Elke Schwab

Kullmann auf der Jagd


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Blick hinter diese Fassade werfen und sah eine einsame, traurige Frau, die mit ihrem Leben keineswegs so einverstanden war, wie es nach außen schien.

      »Ich will deinem Glück nicht im Wege stehen«, bemerkte er mit brüchiger Stimme. »Nur befürchte ich, dass Steiner deine Erwartungen nicht erfüllt.«

      »Ich werde aufpassen.«

      »Das hört sich vernünftig an.«

      Mit diesen Worten beendete er das Thema und widmete sich dem Bericht, den er immer noch in den Händen hielt.

      Schnur las in erstauntem Tonfall vor: »Da steht, dass kein hundertprozentiger Abgleich zu Steiners Waffe durchgeführt werden konnte, weil das Projektil deformiert ist.«

      »Heißt das, die Ballistik ist mit ihrem Latein am Ende?«

      »Weiterhin steht da, dass die Kugel mit einem fünfzehn Jahre alten Projektil aus der Waffe von Eduard Zimmer verglichen wurde.«

      »Wer ist Eduard Zimmer?«

      »Harald Steiners Vorgänger. Er nahm sich mit seiner eigenen Waffe das Leben«, antwortete Schnur, ohne seinen Blick von dem Bericht abzuwenden.

      »Warum wurde dieser Vergleich angestellt?«, fragte Esther.

      »Weil diese Waffe in unseren Akten immer noch als verschwunden gilt«, antwortete Jürgen Schnur. »Ich als ehemaliger Aktenhengst habe mich sofort daran erinnert. Die Nähe des neuen Tatortes zu dem Ort des Verschwindens der Waffe von damals hat mich auf die Idee zu diesem Vergleich gebracht.«

      »Das finde ich gut.« Esther grinste. »Da sieht man mal wieder, dass du selbst nicht an Steiners Schuld glaubst.«

      »Nicht so hastig, liebe Esther«, bremste Jürgen Schnur Esthers Eifer. »Es gibt zwar eine markante Kratzspur auf beiden Geschossen, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kugel aus Zimmers Waffe stammt.«

      »Also ist Steiner aus dem Rennen?«

      »Nicht ganz. Es gibt weitere Riefen. Aber das Projektil war so verformt, dass es nicht exakt mit dem Projektil, das in der Ballistik abgefeuert wurde, verglichen werden konnte. Eine mikroskopische Untersuchung kann nur Ähnlichkeiten feststellen. Das zählt nicht als Beweis.«

      »Enttäuscht?«

      »Nur entsetzt! Zimmers Waffe ist vor fünfzehn Jahren spurlos verschwunden. Sollte sie jetzt wieder auftauchen, wirft das eine Menge neuer Fragen auf.«

      »Die Tatsache, dass Bernd Schumacher im Besitz dieser Waffe war, zwingt uns die Frage auf, wie er daran gekommen ist«, überlegte Esther laut.

      »Das Verschwinden von Zimmers Waffe war damals schon eine undurchsichtige Angelegenheit.«

      »Das Verschwinden einer Waffe ist immer undurchsichtig«, bemerkte Esther. Aber Schnur ließ sich nicht ablenken, sondern sprach weiter: »Es handelt sich um eine Blaser R 93 Royal, mit einer handgefertigten Gravur. Zudem war der Schaft aus geschnitztem Nussbaumholz mit einer besonderen Maserung, was den Wert der Waffe erheblich steigert. Der Preis betrug damals schon vierzigtausend Mark.«

      »Wer gibt so viel Geld für einen Repetierer aus?«

      »Idealisten«, antwortete Schnur. »Wenn ich mich richtig erinnere, hat Kullmann damals den Fall Eduard Zimmer bearbeitet. Ich komme nicht umhin, mit ihm darüber zu sprechen.« Schon griff er nach dem Telefon. Während er Kullmanns Nummer wählte, fügte er an: »Bis der Aktenführer die Akte herausgesucht hat, hat Kullmann mir alles erzählt.«

      »Heißt das, wir fahren zurück nach Saarbrücken?«

      Bevor Schnur seiner Mitarbeiterin antworteten konnte, sprach er in den Hörer.

      »Nein, Kullmann kommt hierher« sagte er, nachdem er das Gespräch beendet hatte.

      »Warum nimmt er den weiten Weg auf sich?« Sie klang enttäuscht.

      »Er lässt es sich nicht nehmen, nach all den Jahren den Limberg wieder zu sehen«, antwortete Schnur. »Aber mach dir keine Sorgen, wir fahren noch oft genug nach Saarbrücken. Forseti will über alles informiert werden. Er besteht darauf, dass ich persönlich antrete. Seinen Unmut über meine Einsatzzentrale vor Ort lässt er mich jetzt schon spüren.«

      Kapitel 9

      »Willkommen in Oberlimberg.« Wenn das mal keine freundliche Einladung war. In behäbigem Tempo steuerte Kullmann seinen Wagen über die schma­le Straße.

      »Hier hat sich einiges verändert«, murmelte er.

      »Überrascht dich das?«, fragte Martha. »Das ist ein schöner Ort. Ein guter Grund, hier zu bauen.«

      »Oskar Lafontaine hat das auch erkannt. Er wohnt hier.« Kullmann zeigte auf ein großes Anwesen zu seiner Rechten. Ein geöffnetes Eisentor mit spitzen Stahlstreben gewährte gute Sicht auf ein gelbes Haus, das mit flachem Walmdach über Erkern und Giebeln ganz typisch im Baustil der Toskana gehalten war. Hohe Fenster und eine Glasgalerie im Dachgeschoss ließen auf angenehmen Komfort schließen. Kullmann interessierte sich jedoch mehr für die halbhohe Mauer aus Naturstein mit ihrem gusseisernen Aufsatz. »Jetzt sehe ich endlich einmal diesen umstrittenen Gartenzaun.«

      »Die Tatsache, dass dieser Gartenzaun ein öffentlicher Streitgegenstand ist, macht ihn erst interessant«, erkannte sie. »Sonst würde wohl keinem auffallen, wie schön er ist.«

      Wenige Meter weiter beeindruckte eine Villa in Terrakotta mit weißen Balkonen. Häuser ganz aus Holz zogen ebenfalls ihre Aufmerksamkeit auf sich.

      An der Kreuzung bogen sie rechts ab. Dort trafen sie auf die Hostellerie Waldesruh.

      Die rustikale Einrichtung gefiel Kullmann sofort. Die Tür zum Jagdzimmer stand offen. Die Wände waren übersät mit Geweihen von Böcken, die wie heimische Trophäen anmuteten. Die Gedecke waren alle in Jägergrün.

      Jürgen Schnur und Esther Weis warteten im Restaurant nebenan. Sie saßen direkt am ersten Tisch vor einem Schrank mit aufwendigen Schnitzereien. Dort zierten neben antiken Bauernmöbeln Hirschgeweihe die Wände. Eine große Theke in der Mitte beherrschte das Speiselokal.

      »Schön, dass ihr noch auf meine Hilfe zählt. Das neue Informations­system wird mich bald überflüssig machen.« Mit diesen Worten trat Kullmann auf den Tisch zu. Schnur erhob sich, um seinen ehemaligen Chef zu begrüßen.

      »Du wirst niemals überflüssig«, meinte er. »Ein Computer kann keine Erfahrungen sammeln.«

      Kullmann lachte.

      Sie ließen sich die Speisekarte reichen.

      »Ihr wollt Informationen über Eduard Zimmer haben«, kam der Alte auf den Grund des Treffens zu sprechen. Als Vorspeise wählte er Wildrahm­suppe mit frischen Pfifferlingen.

      Schnur nickte.

      »Ich kann mich noch gut an den Fall erinnern. Eduard Zimmer hatte sich mit seiner wertvollen Repetierbüchse erschossen – eine unübliche Methode, weil es sich dabei um eine Langwaffe handelt. Also mussten wir rekonstruieren und haben feststellt, dass Zimmer groß und seine Arme lang genug waren, um sich selbst aus diesem Winkel einen Schuss zu setzen.«

      »Aber es wurde keine Waffe gefunden.«

      »Stimmt. Otto Siebert fand Eduard Zimmer – aber keine Waffe.«

      »Otto Siebert?«, stutzte Schnur. »Das ist doch der Vater des entführten Kindes?«

      »Richtig.«

      »Er ist zufällig auch der Besitzer des Nachbarwaldes vom Limberg.«

      »Die Hessmühle«, bemerkte Schnur.

      »Nach der Entführung trat er freiwillig von seinem Amt als Staatssekretär zurück. Angeblich brauchte er Zeit, um sich von dem Schrecken zu erholen. Das tat er, indem er sich in die Abgeschiedenheit zurückzog. Dabei stieß er auf den Toten.«

      »Darauf stoßen ist ein bisschen übertrieben. Die Leiche lag zweihundert