Elke Schwab

Kullmann auf der Jagd


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Steiner, als er wieder Luft bekam. »Die Polizei ist durchaus in der Lage, einen Mörder zu überführen. Und da ich nichts mit der Tat zu tun habe, bin ich auf freiem Fuß.«

      »Du bist einer von denen«, dröhnte Rolf West unbeirrt. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Nur deshalb bist du frei und wir müssen um unser Leben fürchten.«

      Zustimmendes Gemurmel ging durch die Kneipe. Alle waren sich in diesem Punkt einig.

      Steiner fühlte sich wie im Rampenlicht. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Die Informationen, die er sich erhofft hatte, würde er in dieser Gesellschaft nicht bekommen. Jeder Versuch, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen, käme einem Schuldbekenntnis gleich. Also trat er die Flucht nach vorn an und fragte: »Warum ist Bernd Schumacher nach Wallerfangen gekommen?«

      Die Wirtin rümpfte die Nase, zapfte Bier und sprach: »In der Not weiß jeder, wo er seine Mutter findet.«

      »Wer ist das?«

      »Die Frau von …«

      »Halt deine blöde Klappe!«, kam es von dem Ecktisch. Das war die Stimme von Rolf West.

      Steiner schaute zu dem hitzköpfigen Mann. Welchen Grund hatte er, dass der Name der Mutter nicht erwähnt wurde? Er ahnte es.

      »Dann hat er dir auch gesagt, was er oben auf dem Limberg wollte«, sprach Steiner Rolf West direkt an.

      Der Kopf des Alten wurde hochrot vor Wut, er atmete tief durch und wollte sich von seinem Platz erheben, aber Peter Magath hielt ihn auf.

      »Du weißt, zu was Steiner fähig ist«, flüsterte Peter Magath, dass ihn jeder verstehen konnte. »Also bring dich nicht in Lebensgefahr!«

      Damit konnte der kleine Mann in seinem Blaumann Rolf West überzeugen, was ihn aber nicht davon abhielt zu brüllen: »Glaub bloß nicht, dass du aus der Sache heil rauskommst! Schumi Bernd hat gesehen, wie du den Bock angeschossen hast und wollte dich zur Rede stellen. Wir hier im Dorf wissen alle, was dort oben passiert ist. Du brauchst dich nicht wie ein Unschuldiger aufzuspielen. Den nimmt dir keiner ab.«

      Die Tür ging auf und Siegmund Gerstner, der Oberlehrer, trat ein. Sein rechtes Auge war inzwischen dunkelblau und angeschwollen, sein Gang schwankend. Er setzte sich zu Rolf West an den Tisch.

      Steiner konnte es nicht fassen. Helmut Brack hatte nicht getan, was notwendig gewesen wäre. Zu seiner Entrüstung kam eine weitere Erkenntnis: Er sah, dass Anne Richter noch blasser wurde. Sie wollte aufstehen, doch Oliver West zog sie auf ihren Platz zurück. Steiners Blick wechselte zwischen Siegmund Gerstner und der jungen Frau hin und her. Was war zwischen den beiden geschehen?

      Trotz des hohen Alkoholspiegels Siegmund Gerstners gelang es ihm, von sich abzulenken. Mit Blick auf Steiner fragte er: »Was will der denn hier? Hat der nicht Lokalverbot?«

      »Du bringst uns auf richtig gute Ideen«, reagierte Rolf West sofort darauf. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, dass alle Gläser sprangen.

      »Ich schlage vor, wir schicken ihn ins Gasthaus Stranguletti. Wenn er sich dort nicht selbst aufhängt, findet sich bestimmt einer, der nachhilft.«

      Grölendes Gelächter folgte auf den makaberen Witz.

      »Hast du gehört, Frau Wirtin. Der Kerl bekommt hier nichts zu trinken!«

      »Wenn du so weiter säufst, bist du der erste, dem ich kein Bier mehr zapfe«, gab die Wirtin Rolf West zur Antwort.

      »Die ist ja schlimmer als meine Alte«, raunte es brummig durch die rauchige Luft.

      Oliver West torkelte zum Herrenklo. Kaum war die Tür hinter ihm zugefallen, verließ Anne Richter das Lokal.

      »Blöde Weiber«, lallte Siegmund Gerstner. »Zuerst machen sie einen an, dann wollen sie nicht mehr.«

      Die anderen Männer nickten verstehend, dabei wusste keiner, wovon der Alte sprach. Nur Steiner verstand es. Damit hatte er die Antwort auf seine Fragen, wer aus Siegmund Gerstners Auto gestiegen war und woher das blaue Auge kam. Einerseits freute es ihn, dass Anne Richter sich gut wehren konnte. Andererseits ärgerte es ihn, dass er den Alten deshalb nicht festnageln konnte, weil er dazu nicht mehr befugt war.

      Die Stille wurde mit Siegmund Gerstners nächster Frage unterbrochen: »Wo ist der Boss?«

      Alle Augen richteten sich auf Steiner.

      »Ja! Wo steckt er?«, brüllte Rolf West. »Seit gestern ist er verschwunden. Was hast du mit ihm gemacht?«

      »Wer ist der Boss?«, fragte Steiner die Wirtin.

      »Das ist Markus Darren. Seine Mutter ist die Schwester von Rolfs Frau.«

      »Halt die Klappe«, ertönte es aus der linken Ecke.

      »Warum dieser Spitzname?«

      »Er war mal Vorarbeiter in der Firma Stahlbau-Rohre. Wurde entlassen, legt aber sein Chefgebaren nicht ab. Er läuft Tag für Tag in seinem schwarzen Anzug herum, womit er den Eindruck erweckt, er sei der Boss.«

      »Warum wurde er entlassen?«

      »Es reicht jetzt!« Dieses Mal brüllte Rolf West so laut, dass die Wirtin aufhörte zu sprechen.

      Steiner hatte genug. Er bezahlte sein Bier und verließ den Donze. Vor der Tür zog er die frische Luft ganz tief ein. Der Rauch, der die Luft in dieser Kneipe verpestete, tat ihm nicht gut. Der Kneipenbesuch auch nicht. So hatte er nur die Bestätigung dafür, dass sie ihn für den Mörder hielten. Er durfte die hitzköpfigen Trinker nicht unterschätzen. Wer wusste schon, auf welche Ideen sie noch kamen? Der Anschlag auf seinen Hund sprach eine deutliche Sprache.

      Durch die geschlossene Tür hörte er die aufgebrachten Stimmen der Dorfleute. Am lautesten war Rolf West: »Musst du dem alles erzählen? Vielleicht ist er der Oberguru dieser Satanssekte dort oben.«

      »Ich weiß, warum du Harald Steiner nicht leiden kannst. Aber das mit dem Satan kannst du ihm wirklich nicht anhängen, das glaubt dir keiner«, kam es von der Wirtin zurück.

      »Bei Schumi Bernd lag kein Blut. Was hat Steiner wohl damit gemacht?«

      Steiner erschrak. Rolf West war an der Fundstelle gewesen. Er hatte gehört, was der Gerichtsmediziner festgestellt hatte. Es nun unter den Dorfleuten zu verbreiten, schürte den Hass noch mehr. Aber aufhalten konnte Steiner ihn nicht.

      Er fuhr den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Der Mond stand sichelförmig am Himmel und spendete Licht. Der Nebel hatte sich verzogen.

      Da war etwas.

      Eine Bewegung zwischen den Bäumen.

      Die Gestalt war groß. Aufrecht. Das war kein Tier.

      Er hielt den Wagen an und versuchte etwas zu erkennen. Aber alles war reglos und still. Sein Nachtsichtfernglas lag in seinem Zimmer auf dem Gutshof.

      Langsam fuhr er weiter.

      Da sah er es wieder. Eine gerade Gestalt, aber kein Mensch. Die Umrisse konnte er nicht zuordnen. Er spürte, wie ihm Gänsehaut über Arme und Nacken kroch. Hatte er wirklich Angst? Die Erinnerung, wie Bernd Schumachers Überreste blutleer in der Spaltmaschine steckten, löste Beklemmung in ihm aus. Die Umgebung, in der er sich befand, war einsam und dunkel.

      Die Silhouette bewegte sich nicht. Und doch glaubte er zu erkennen, wie sich ein dicker Baumstamm wölbte. Die Konturen des Baumes veränderten sich auf eine Weise, die ihn schaudern ließ. Dort versteckte sich jemand.

      Lange verharrte er in seinem Wagen. Als ihn die Gewissheit überkam, sich die Veränderungen am Baumstamm nur einzubilden, ließ er die Autoscheibe herunterfahren.

      Totenstille umgab ihn. Er stieg aus.

      Plötzlich ertönte ein lang gezogenes sonores »Buuuhooo«.

      Steiner zuckte zusammen. Erst nachdem er sich wieder beruhigen konnte, erkannte er den nächtlichen Laut, der in den letzten Jahren wieder vermehrt in den heimischen Wäldern zu hören war.

      Was