Beistand und Unterstützung. Die neueste Initiative Dharamsalas, alle Schulen in einer Organisation aufgehen zu lassen, bedrohte die Schulen in ihrer Selbständigkeit. Wenn dieser Schritt durchgeführt worden wäre, so hätte dies das Ende vieler einzigartiger buddhistischer Praktiken bedeutet, die jede Linie als ihre Besonderheit über Jahrhunderte bewahrt hatte. Da sie nicht das geringste Interesse daran hatten, von dem großen Bruder verschluckt zu werden, gründeten dreizehn große tibetische Siedlungen - überwiegend Flüchtlinge aus Kham - eine politische Allianz und wählten Karmapa zu ihrem spirituellen Oberhaupt. Ein mächtiger und oppositioneller Gegenpol zum Dalai Lama und der offiziellen Linie von Dharamsala war entstanden. Die neue Koalition wehrte sich erfolgreich gegen die Idee, die religiöse Vielfalt Tibets abzuschaffen, und schließlich mußte der irregeleitete Plan aufgegeben werden. Die Regierung aber konnte Karmapas kompromißlose Haltung in dieser Auseinandersetzung ebensowenig verzeihen, wie seine Mißachtung der Autorität des Dalai Lamas und so wurden die Kagyüs zur Zielscheibe geschmackloser Angriffe. Als 1976 Gungthang Tsultrim, der politische Führer der Allianz, ermordet wurde und sein Attentäter gestand, auf Anweisung der tibetischen Exilregierung gehandelt zu haben, lebten sich Rumtek und Dharamsala noch weiter auseinander. Die anfängliche Freundschaft zwischen dem Dalai Lama und Karmapa wurde unter den schmerzlichen Tatsachen begraben.
Angesichts Karmapas unabhängiger Stellung begannen Minister der tibetischen Verwaltung die Richtungsänderung der Politik des Dalai Lama gegenüber Shamarpa zu bedauern. Obwohl die Aufhebung des Bannes in hohem Maße nur eine leere Geste war - weder der Dalai Lama noch seine Regierung konnten in Indien Recht sprechen und Shamarpa brauchte nicht die Erlaubnis des tibetischen Führers, um im Ausland öffentlich auftreten zu können - führte die Entscheidung zu einem Aufschrei der Entrüstung. Über die Jahrhunderte hinweg waren sowohl Karmapa als auch Shamarpa in Regierungskreisen unbeliebt gewesen und die Vorgehensweise Lhasas vor zweihundert Jahren war als Sieg über die meuternden Kagyüs gefeiert worden. Karmapas große Bekanntheit und das plötzliche Wiederauftreten seines Hauptschülers wurde zur Bedrohung der politischen Ziele der Gelugs erklärt. Das Oberhaupt der Kagyüs und sein Hauptschüler wurden zu bitteren Feinden Dharamsalas.
Vom Dalai Lama als nominellen Herrscher aller Tibeter wurde erwartet, daß er über solchen Ränken und krankhaften Gedankengängen stand. Umgeben von Spielern mit einem ernsthaften Hang zur Verschwörung und im Versuch alle Parteien zufriedenzustellen, hatte er nicht mehr als seinen guten Ruf zur Verfügung. Um die Vorstöße der weniger vernünftigen Mitglieder seines Kabinetts zu stoppen, erklärte er von Zeit zu Zeit, er sei die letzte Inkarnation in der Linie der Dalai Lamas. Diese Strategie war für eine gewisse Zeit wirksam, dann aber griffen seine Politiker ihre Konfrontations-Taktiken wieder auf und konspirierten weiter gegen die anderen drei buddhistischen Schulen.
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Die Auseinandersetzung unter den Tibetern beschränkte sich jedoch nicht darauf, daß die Gelugs ihre Rivalen schikanierten. Es entstand auch unerwartet eine Opposition gegen Shamarpas Wiedereinsetzung, aus viel näheren Vierteln als den Regierungsgebäuden in Dharamsala.
In Tibet wurde jeder Tulku von der Geburt bis zum Tod von einem Stab professioneller Ratgeber und Diener umgeben und gepflegt. Leben für Leben behielten die Familien dieselbe Position um ihren Lama. Diese Gruppe wuchs an Größe und Bedeutung, bis de facto ein Hof entstand, der seinen Meister eng bedrängte. Persönlicher Ehrgeiz hatte hier eine weit größere Bedeutung, als man von Leuten erwarten würde, die einem spirituellen Meister dienten.
Die Inkarnationen der Karmapas, wie auch die seiner engen Schüler, hatten jeder ein derartiges Gefolge, dessen Mitglieder eifersüchtig ihren Platz in der Linienhierarchie hüteten. Als Shamarpa und sein Gefolge aus der Öffentlichkeit verbannt wurden, rückten die Gefolge anderer hoher Kagyü-Lamas, zusammen mit ihren Rinpoches, in der Hackordnung um eine Stufe nach oben.
Shamarpas plötzliche Rückkehr bedeutete ein Ende dieses behaglichen Standes der Dinge. Weil er seinen Platz als Hauptschüler Karmapas zurückforderte, wurde Situ Rinpoches Gefolge im Machtsystem um eine Stufe niedergezwungen. Noch unzufriedener waren die Anhänger Gyaltsab Rinpoches. Sie hatten sich in Tsurphu, Karmapas Hauptsitz in Tibet, mehrere Gebäude mit der Verwaltung Karmapas geteilt und jahrhundertelang Prozesse geführt, um ihr das Eigentum streitig zu machen. Da nun Shamarpa wieder zurück war und der 16. Karmapa Jamgön Kongtrul als den vierten in der Linie eingesetzt hatte, mußte sie sich nun mit der fünften Position begnügen.
Solche Ereignisse waren Sprengstoff in der traditionellen Gesellschaft Asiens. Nachdem sie ihren hohen Status 200 Jahre lang genossen hatten, wollten die Familien, die Tai Situ und Goshir Gyaltsab schützend umgaben, diese traurige Wende in ihrem Glück nicht hinnehmen. Shamarpa stand ihnen im Weg und so kam die Regierung in Dharamsala zu einem unerwarteten Verbündeten, um den höchsten Halter der Kagyü-Linie herauszufordern. Es wurde im allgemeinen angenommen, obwohl es nicht immer bewiesen war, daß die Rinpoches selbst über diesen machiavellistischen Ränken standen.
Solange Karmapa lebte, war er das unumstrittene Oberhaupt der Kagyü-Linie. Er kümmerte sich persönlich um die Erziehung von hohen Kagyü-Inkarnationen und sah in Rumtek - einem Zentrum für Studium, Meditation und Ritual - den besten Schutzschild gegen das Verschwinden der Lehre. Von Kindheit an wuchsen seine vier nahen Schüler unter seiner Obhut auf und erhielten Belehrungen und Ermächtigungen über den Schatz der Kagyü-Übertragung. Das gemeinsame Aufwachsen sollte sowohl die Verbindung zwischen den Tulkus stärken als auch eine gemeinsame Führung der Linie schmieden für die unvermeidliche Zeit, da Karmapa nicht mehr am Leben sein würde.
Gab es zu diesem Zeitpunkt bereits Zeichen für einen zukünftigen Bruch zwischen Shamar und Situ Rinpoche? Hegte einer gegen den anderen einen heimliche Groll in diesen frühen Tagen in Rumtek? Tatsache war, daß sie nicht viel miteinander zu tun hatten, obwohl sie gemeinsam aufwuchsen. Sobald sich der überwiegende Teil der Flüchtlinge in Sikkim eingelebt hatte, wurde der junge Tai Situ - in seinem letzten Leben eine mächtige Persönlichkeit in Osttibet - sofort von seiner mittlerweile verkleinerten Verwaltung belagert. Die armen aber immer noch habgierigen Diener, die befürchteten, daß ihr junger Meister den Verlockungen des modernen Lebens erliegen könnte, boten ihm alle Arten von materiellen Komfort, hielten ihn aber in seinem Haus unter Verschluß. Von Kindesbeinen an aß der junge Tulku allein, spielte allein und saß - offensichtlich mit geringer Begeisterung - alleine vor seinen Büchern. Hinzu kam, daß die Tatsache völlig unterschiedlicher Herkunft von Shamarpa und Tai Situ auch nicht dazu beitrug, die Unterschiede zu überbrücken. Ersterer erfreute sich des Glanzes einer aristokratischen Abstammung und hatte Verbindung zu Karmapas Familie. Letzterer - stolz und gebieterisch in seiner vorangegangenen Inkarnation - trug den Makel, der Sohn eines Schmiedes zu sein - ein Beruf, der im alten Tibet dem eines Maulwurfjägers oder Metzgers gleichkam.
Wenn seine feine Ahnenschaft Shamarpa auch Grund zum Feiern gegeben haben mag, so setzten ihn die damaligen Bedingungen im Vergleich zu seinen Mitbrüdern in einen Nachteil. Während die drei anderen Tulkus mitten in ihr altes Gefolge aus Beratern und Dienern geboren worden waren, hatte Shamarpa während seiner zweihundertjährigen offiziellen Verbannung seinen ganzen Kreis von treuen Helfern verloren. Diese Situation verschaffte ihm ein ziemliches Maß an Freiheit und solange Karmapa zur Stelle war, um jeden Angriff auf seinen Hauptschüler abzuwehren, war die Situation nicht weiter beunruhigend. Sollte er jedoch einmal alleine dastehen und ein Konflikt auftreten, wäre Shamarpa - ungeachtet seiner Position als Hauptschüler - einem politischen Angriff gegenüber zweifellos verwundbarer, als seine drei Kollegen. Die Mitglieder von Situpas engstem Kreis hatten schon damit begonnen, in der neuen Heimat ihre eigenen Pläne zu schmieden. Sie verbündeten sich mit Gyaton Tulku - einem Lama, der Jahre zuvor von Karmapa nach Sikkim geschickt worden war, und der gegen die Anwesenheit Seiner Heiligkeit in dieser Enklave arbeitete - und versuchten, wenn auch erfolglos, ihre eigene Machtbasis in der Hauptstadt Gangtok zu errichten.
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Als im September 1970 die jungen Dänen Hannah und Ole in das noch nicht offen zugängliche Kloster Rumtek kamen, fanden sie ausgezeichnete Bedingungen für spirituelles Wachstum vor. Indische Bürokraten übertrafen sich darin, den Zugang nach Sikkim schwer und den Aufenthalt in der Gegend kurz zu machen, aber das Geschick des Paares, sie an der Nase herumzuführen, erwies sich als äußerst nützlich. An den sonnigen Hängen des Himalaya, die