Sabine von der Wellen

Ein verhängnisvoller Wunsch


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klang es müde und traurig durch den Raum. „Entschuldigung!“

      Grüß deinen Vater, hätte sie am liebsten noch voller Boshaftigkeit gerufen. Doch ihr Gewissen verbat ihr das. Schnell schmiss sie den Hörer auf die Gabel, als wäre er glühend heiß. Das alles war so ungerecht, so grausam. Alle feierten diesen Tag, nur sie war allein Zuhause und hatte vergeblich auf einen Mann gewartet, der viel lieber mit seiner Familie feierte.

      Alles umsonst. Das schöne Essen, sein Lieblingssekt, für den sie durch fünf Geschäfte gelaufen war, bis sie ihn endlich gefunden hatte und das schöne, blaue Kleid mit der blauen Spitzenunterwäsche und den Strapsen darunter. Sie hatte sich so herausgeputzt, um ihm und sich eine wunderschöne Silvesternacht zu bescheren und ihn seine angeblichen Probleme mit seiner Familie vergessen zu lassen. Schließlich mochte sie ihn wirklich, und hatte auch ein Anrecht auf etwas Glück.

       Aber doch nicht mit einem verheirateten Mann!

      Langsam ging Isabel in das angrenzende Schlafzimmer, drückte auf den Lichtschalter und sah sich in dem großen Spiegel ihres Schrankes an. Auch hier waren die Kerzen heruntergebrannt. Sie hatte Glück, dass ihre selbstvergessene Unachtsamkeit ihr nicht die Wohnung unter dem Hintern weggebrannt hatte.

      Ein gequälter Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht, als sich sofort die Erinnerung an den Brand in ihrer Kindheit in ihren Kopf schob. Sie sah sich und ihre Schwester Karin im Schlafanzug und unter einer Decke geschützt aus dem großen Dielentor eilen, von ihrem Vater vor sich hergetrieben. Er selbst war hinter ihnen keuchend zusammengebrochen. Ihre Mutter war zu ihm gerannt und hatte ihn am Arm weitergezogen, mit einem Aufschrei Isabel auffordernd, ihr zu helfen. Zusammen hatten sie ihren Vater weggezerrt, während das alte, schöne Haus ihrer Kindheit vor ihren Augen in hellen Flammen aufgegangen und zusammengefallen war. Und damit hatte ihre ganze schöne Kindheit geendet. Das war der Auftakt zu einem neuen Leben, dass allen Glückes beraubt war. So kam es Isabel zumindest in diesem Augenblick vor. All ihr Glück in ihrem Leben war damals in dieser einen Nacht verbrannt.

      Sie wollte nicht mehr daran denken. Jetzt war sie eine erwachsene Frau, die ihr Leben im Griff hatte. Und ja, er ist verheiratet. Aber er hatte ihr gesagt, dass er sie wirklich toll findet und seine Familie kurz vor der Auflösung steht. Er sagte, seine Frau betrügt ihn. Er war so unglücklich … und er liebt seine Kinder doch so sehr! Kinder sind das Beste im Leben! Er hätte sogar einen ganzen Stall voll haben wollen, hatte er gesagt. Aber seine Frau wollte das nicht. Sie muss so ein böser Mensch sein.

       Mach dir nichts vor. Er wird wegen dir nicht seine Familie aufgeben und eine neue gründen. Das kann er sich gar nicht leisten. Die Unterhaltszahlungen würden ihn bei seinem mickrigen Gehalt ruinieren.

      Ihr Gewissen war mal wieder erbarmungslos. Es war ständig da, sagte ihr, was sie zu tun und zu lassen hatte und ließ sie keinen Moment mit Freude etwas Verdorbenes, Hinterlistiges oder Schlechtes tun. Sie hasste es und fühlte sich ihm doch unterworfen. Es wurde manchmal regelrecht zu ihrem Feind und in Augenblicken wie diesen lechzte sie danach, es zu töten.

      Aber hatte es bisher nicht meistens recht gehabt? Wenn sie doch bloß mehr darauf gehört hätte. Nie wollte sie sich mit einem verheirateten Mann einlassen, sich nie einem Mann an den Hals werfen, der sie nicht wirklich und wahrhaftig liebte und frei für sie war. Doch was war daraus geworden? Sie hatte Silvester für einen verheirateten Mann geopfert, der sie dann sitzen gelassen hatte.

       Geschieht dir ganz recht. Schließlich hast du mit ihm einen deiner streng behüteten Vorsätze gebrochen, nur um die Feiertage zu überstehen.

      Nein, es ging um mehr! Sie dachte, dass er länger bleibt. Vielleicht sogar für immer.

      Scheiß Kurzschlußpanik. Nie hätte sie gedacht, dass sie jemals so tief sinken könnte, dass sie sich deshalb jemandem an den Hals warf, der zwar gut aussieht, aber vergeben ist.

      Aber er hatte ihr auf der Weihnachtsfeier gesagt, dass er seine Ehe satthat und seine Frau ihn betrügt. Er war so am Boden zerstört gewesen, dass sie ihn trösten musste.

       Und dabei hast du völlig übersehen, dass du nicht die erste bist, mit der er das abzog.

      Isabel starrte immer noch ihr Spiegelbild an und schüttelte unwirsch den Kopf. Auf solche beschissenen Gedanken konnte sie gut verzichten.

      Ihr Blick fiel auf ihre schlanke Figur in dem schönen Kleid. Sie hatte sich so schön herausgeputzt und keiner hatte das zu Gesicht bekommen. Wäre sie doch nur auf eine Party gegangen oder mit ihren Freunden losgezogen. Sie hatte doch Freunde, oder? Doch wo waren alle in so einer Nacht? Irgendwo da draußen und feierten.

       Du hast selbst alle abgewimmelt und jedem erzählt, dass du die Grippe hast. Selbst schuld!

      Nun hatte sie die Nacht der Nächte einsam und allein zugebracht, weil ihr Herzallerliebster sie im Stich gelassen hatte.

       Erniedrigend. Warum hängst du dich auch immer an irgendwelche dummen Kerle?

      Ja, das war eine berechtigte Frage, die sie sich immer wieder stellen musste und die in ihrem derzeitigen Zustand wahre Krater in ihr Herz riss.

      Langsam ließ sie sich auf das Bett sinken. Sollte sie das Kleid und die teure Unterwäsche ausziehen? Ach, egal. Sie würde so schlafen gehen.

       Nein, das verknautscht doch alles!

      „Ja, verdammt. Ich ziehe es doch schon aus. Verflucht noch mal …!“

      Langsam quälte sie sich wieder aus dem Bett und ihr wurde schwindelig. Wieder starrte ihr das verschmierte Gesicht aus dem Spiegel entgegen. Ihr wurde erneut schrecklich übel.

       Waschen …?

      Diesmal war die Stimme in ihrem Inneren vorsichtiger mit ihren erbarmungslosen Ansprüchen. Manchmal ging das Ganze auch wirklich zu weit. Das war doch schon krank!

      „Ach, halt doch den Mund!“, schrie sie ihr Spiegelbild aufgebracht an, dessen Mund aber stumm blieb. Doch sie musste es tun. Sie wollte jemanden verletzen oder einmal diese Stimme in ihrem Inneren niedertreten.

      Ihr war plötzlich danach, etwas ganz Schlimmes zu tun. Etwas, was ihr Gewissen bestimmt schocken würde.

       Tzzz. Hast du nicht mit dieser Beziehung zu Hardy schon all deine inneren Werte mit den Füßen getreten? Was willst du noch?

      Er war es gewesen, der zu ihr ins Bett gekrochen war. Er wollte sie! Er wollte bei ihr sein! Er glaubte sogar, sich in sie zu verlieben!

       Blödsinn.

      „Doch!“, schluchzte sie auf. „Das war so!“

      Außerdem, was hätte sie anderes tun können, als ihm hilfsbereit die Hand entgegenzustrecken, wo es ihm so schlecht ging?

      Es war bei der Weihnachtsfeier vor vier Wochen gewesen. Er hatte ihr so traurige Dinge über seine gescheiterte Ehe erzählt und wie einsam er war, dass sie ihn einfach nicht ungetröstet ziehen lassen konnte. Dazu kam, dass seine Frau ihn angeblich an diesem Abend hinausgeworfen hatte und er buchstäblich auf der Straße stand. Isabel musste ihm einfach ein Dach über dem Kopf anbieten – so kurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe, dem sie sowieso schon mit erschreckend ungutem Gefühl entgegensah, und das für sie wieder zum Fest der beklemmenden Einsamkeit zu werden drohte.

       Du brauchtest doch nur ein Opfer, dass dich die Einsamkeit vergessen ließ. Und Weihnachten verbrachte er trotzdem bei seiner Familie … und du hast dich auf Silvester vertrösten lassen. Und nun …?

      Gott, sie war so dumm! Er war schließlich schon am Morgen nach der Weihnachtsfeier zu seiner Familie zurückgekehrt. Angeblich, weil seine Frau ihn angefleht hatte. Dabei hatte er überhaupt keinen Anruf an diesem Morgen bekommen. Aber sie hatte das anfangs gar nicht gecheckt. Und auch nicht, dass eine Frau, die ihren Mann betrügt, nicht diejenige sein kann, die ihren Mann aus der Wohnung wirft. Das Recht hätte sie gar nicht.

       Wie immer hast du vor allem die Augen verschlossen, was du nicht