Sabine von der Wellen

Ein verhängnisvoller Wunsch


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zu wissen, warum, glitt ihr Blick suchend über die gegenüberliegende Häuserreihe. Gerade als ihr das bewusst wurde und sie sich umdrehen wollte, weil sie nicht so recht wusste, was sie eigentlich sucht, fiel ihr Blick auf die blaue Spitzenunterwäsche und ihr teures Kleid zu ihren Füßen. Erschrocken sah sie wieder zu der Häuserreihe hinüber und ihr Blick blieb an einem bestimmten Fenster hängen.

      Es war also kein Traum gewesen. Sie hatte das tatsächlich getan.

      Schnell drehte sie sich vom Fenster weg und drückte sich an die Wand. Von der schnellen Bewegung wurde ihr schwindelig und sie fasste sich an den Kopf, um das Rotieren in ihren Schläfen zu besänftigen. Dabei versuchte sie sich zu beruhigen.

      Das konnte doch nicht wahr sein! Das konnte sie doch unmöglich getan haben! Bitte, lass es nur ein Traum gewesen sein.

      Sie bückte sich und lief in dieser Haltung unter dem Fenster her. Erst am anderen Ende stellte sie sich wieder hin und lugte noch einmal, durch die an dieser Seite des Fensters herabfallende Gardine, zu dem gegenüberliegenden Haus hinüber. Dort war aber niemand zu sehen.

      Mein Gott, wie peinlich! Wer sie wohl letzte Nacht alles gesehen hatte?

      Jedem Nachbarn aus der Straße wird sie ab jetzt nur noch mit Schamröte im Gesicht begegnen können, und die Frauen halten sie bestimmt für ein Flittchen. Wenn sich das herumspricht!

      Sie sah sich niedergeschlagen um, einen Augenblick von dem Gefühl überwältigt, aus dieser schönen Wohnung unter diesen Umständen ausziehen zu müssen.

      Dann dieser Kerl, von dem sie genau weiß, dass er sie beobachtet hatte. Hoffentlich sah er das nicht als Einladung an, um sich vor ihrer Tür einzufinden.

      Sie sah sich schon einem alten Kerl mit Hosenträgern über dem Unterhemd und abgetragener Jogginghose gegenüber, der sie mit lüsternem Blick aus einer versoffenen Trinkervisage angrinste.

      Jetzt wurde Isabel wieder bewusst, warum sie immer auf ihr Gewissen hören sollte. Es schützte sie vor so unliebsamen Erkenntnissen am nächsten Tag.

      Unglücklich und niedergeschlagen schlurfte sie in die Küche und schüttete sich einen Kaffee ein. Im selben Moment klingelte es an der Tür.

      Erschrocken über die noch eben in ihrem Kopf rotierenden schrecklichen Gedanken ging sie beunruhigt in den winzigen Flur. Sie sah durch den Türspäher und fand das kleine, kahle Treppenhaus leer. Es hatte also unten an der Haustür geschellt.

      Sie drückte den Türöffner und öffnete beunruhigt die Wohnungstür. Wenn sie durch das Treppenhaus nach unten spähte, konnte sie vielleicht erkennen, wer da kam und die Gelegenheit nutzen, um die Tür wieder zuzuschmeißen und zu verriegeln.

      Noch bevor sie die Tür ganz geöffnet hatte, prangte ihr ein Strauß roter Rosen von ihrer Fußmatte entgegen, und das Treppenhaus war von einem angenehmen Duft durchdrungen. Langsam nahm sie ihn hoch und sah sich nochmals um. Aber da war niemand.

      Schnell ging sie in die Wohnung zurück und suchte in dem Strauß nach einer Karte.

      „So schöne Rosen! Sind die wohl von Hardy? Will er sein schlechtes Gewissen damit beruhigen?“, fragte sie sich dabei und wollte ihm schon wieder alles verzeihen.

      Sie fand nur eine nicht unterschriebene Karte von einer Blumenhandlung, mit einem Spruch. „Zwölf neue Monate, zwölf Mal Glück, Freude und Gesundheit“, und stellte die Rosen in eine Vase auf den Tisch. Es waren zwölf Stück. Wunderschön anzusehen. Ein netter Neujahrsgruß.

      Eigentlich sollte sie sie sofort in den Müll werfen. Schließlich hatte Hardy sie tief verletzt und sie brauchte keinen Neujahrsgruß von ihm, der ihr wenig persönlich vorkam. Hätte er wenigstens eine Karte mit heißen Liebesschwüren drangemacht und sie darin angefleht, ihr zu verzeihen, dann hätte sie ihren Ärger herunterschlucken können. Aber er hatte nichts dergleichen getan.

       Er ist verheiratet und hatte nie vor, dich mehr in sein Leben zu lassen. Er wollte nur ein wenig Spaß. Mehr nicht.

      Die Rosen waren trotzdem zum Wegwerfen zu schade. Aber Isabel schwor sich, dass Hardy bei ihr nicht mehr antanzen musste. Die Feiertage waren vorbei. Nun kehrte wieder der Alltag ein und sie brauchte keinen Tröster mehr. Sie hatte diese schreckliche Zeit der trostlosen Einsamkeit, in der sie glaubte, das einzige, einsame Wesen auf der weiten Welt zu sein, überstanden. Auch ohne Hardy oder Charly oder Martin oder Jürgen … oder oder oder. Sie hatte es geschafft und konnte sich nun endlich wieder in die Arbeit stürzen. Sie brauchte niemanden mehr. Konnte sie nicht richtig stolz auf sich sein?

      Nein, konnte sie nicht. Immer noch nagte die Einsamkeit an ihren Knochen und wie schon so oft las sie erneut in der alten Tageszeitung vom Vortag die Kontaktanzeigen durch.

       Das ist alles erstunken und erlogen. Oder glaubst du wirklich, dass es irgendjemanden gibt, der lieb, nett und gutaussehend ist und trotzdem solo? Dass sind bestimmt alles Verbrecher, Schläger oder Mittellose, die eine reiche Frau suchen.

      Jaja!

      Ärgerlich knüllte Isabel die Zeitung zusammen und warf sie mit einem gekonnten Treffer in den Papierkorb.

      Sie trank ihren Kaffee aus und knabberte an dem trockenen Zwieback, der ihr als erste Mahlzeit nach so einer Nacht als das Richtige erschien.

      Doch ihr Magen bäumte sich dennoch auf und Isabel sprang vom Stuhl auf, rannte zur Toilette und übergab sich.

      Der Kaffee, vermischt mit Magensäure und Bröckchen vom Zwieback, hinterließ ein Brennen im Hals. Erschöpft und elend setzte Isabel sich neben die Kloschüssel und lehnte ihren Kopf in ihre Hände.

      Verdammt, wieso hatte sie nur so viel getrunken? Warum hatte Hardy ihr den Abend versaut … und wieso konnte er nicht wenigstens seine Blumen persönlich überbringen und sie dann tröstend in die Arme schließen?

       Bist du verrückt? Der Kerl soll bloß bleiben, wo der Pfeffer wächst. Wie alle Kerle! Ich weise dich nicht gerne darauf hin, aber One-Night-Stands sind wirklich besser, wenn man in deiner Situation ist.

      Was für eine Situation? Ihr wollte nicht richtig aufgehen, was diesen Gedanken ausgelöst hatte.

      Isabel stemmte sich hoch und schlurfte in ihr Schlafzimmer zurück. Ohne sich dessen bewusst zu sein, fand sie sich plötzlich vor ihrem Fenster wieder und suchte erneut die Fenster im gegenüberliegenden Haus nach einer menschlichen Regung ab. Doch sie sah nicht nur in der Wohnung gegenüber niemanden, sondern in allen Wohnungen schienen die Menschen ausgeflogen zu sein.

      Ihr Blick fiel auf die Straße, auf der im Nieselregen ein paar Kinder in den Überresten der Raketen wühlten, um sich noch etwas Brauchbares herauszupicken.

      Isabel schlurfte zu ihrem Bett und setzte sich auf die Bettkante. Ihr Blick fiel auf den großen Spiegel. Ihre langen braunen Haare wirkten erschreckend kraftlos, ihre blauen Augen trüb und ihre schmalen, blassen Wangen regelrecht eingefallen. Selbst ihre vollen Lippen schienen heute die Mundwinkel nicht am freien Fall hindern zu können.

      „Es ist keiner für dich da. Niemand!“, sagte sie leise zu ihrem Spiegelbild und ließ sich rücklings auf das Bett fallen. Langsam und mühevoll zog sie die Decke unter sich hervor und deckte sich zu. „Niemand!“

      Sie musste noch etwas schlafen. Morgen sah dann hoffentlich alles besser aus. Dann konnte sie endlich wieder arbeiten gehen und gleichzeitig ein neues Jahr einläuten. Dann hatte sie drei Tage, bevor erneut ein Wochenende ihren Alltag zerstückelte.

      Ach, was hasste sie die Wochenenden, Feiertage und Urlaube. Alles Tage der Einsamkeit, des Nichtstuns und des Unnütz seins. Wieso musste ausgerechnet nach diesem Silvester eine angebrochene Woche folgen? Sie hätte gerne 30 Tage am Stück draufgesetzt. Warum wurde sie nur so hart bestraft?

      Isabel drehte sich um und schloss die Augen. Bloß nicht mehr daran denken.

      Ihr musste etwas Nettes einfallen. Dann könnte sie bestimmt einschlafen.

      Isabel wühlte in ihrem Gedächtnis. Sie sah sich am Schreibtisch in dem großen Büro