Elke Schwab

Kulllmann kann's nicht lassen


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bedankte sich, obwohl ihr das widerstrebte. Seine Selbstherrlichkeit nahm ihr jegliche Lust an der Arbeit.

      »Erik und ich könnten den Sohn der Toten zur Rechtsmedizin fahren! Was halten Sie davon?«, schlug Claudia vor.

      »Warum wollen Sie das tun?«, fragte Forseti anstelle einer Antwort.

      »Weil ich die Familie kenne«, antwortete Claudia.

      »Wie gut?«, hakte Forseti skeptisch nach. »Befangenheit wäre sicherlich nicht gerade ein guter Start.«

      »Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich bin einfach nur im gleichen Ort aufgewachsen. Sybille Koch war damals bekannt in Walpershofen, weil sie leichtlebig war. Soweit ich informiert bin, weiß sie nicht, wer der Vater ihres Sohnes ist. In kleinen Dörfern wird immer gern über andere geredet.»

      »Kennt der Sohn der Toten auch Sie?«

      »Ganz sicher, er ist nur wenige Jahre jünger als ich. Als kleiner Junge war er ein echtes Ekelpaket und hat die älteren Mädchen nach allen Regeln der Kunst geärgert. Da hat er bei mir keine Ausnahme gemacht.«

      Bei dieser Vorstellung mussten alle lachen, sogar Forseti, dem selten ein Lächeln zu entlocken war.

      »Besteht die Möglichkeit, dass Sven Koch der Fahrer des Unfallautos war?«, mischte sich Jürgen in die Unterhaltung ein.

      Kurze Stille trat ein. Claudia überlegte eine Weile, schüttelte aber dann energisch den Kopf und meinte: »Nein, Sven Koch hatte ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter. Wäre er wirklich der Fahrer des Wagens gewesen, hätte man ihn auch dort an der Unfallstelle gefunden.«

      »Das ist nur eine Vermutung. Fahren Sie zusammen mit Erik Tenes den Sohn der Toten abholen, damit er sie identifizieren kann. Anschließend benötigen wir seine Aussage«, schloss Forseti das Thema ab.

      Anke zog sich in ihr eigenes Zimmer zurück, um sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Leider trat kurz darauf Esther ein. Während ihres letzten großen Falls waren zwischen Anke und Esther große Differenzen entstanden, die Anke am liebsten vergessen hätte. Doch Esther schien das anders zu sehen.

      »Ich glaube, Claudia schafft es, sich an Erik heranzumachen.«

      »Stört dich das?«, erwiderte Anke, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie diese Absicht ebenfalls mit gemischten Gefühlen beobachtet hatte.

      »Nein, nicht im Geringsten«, wehrte Esther ab, wobei Anke deutlich erkannte, dass sie genau das Gegenteil von dem sagte, was sie meinte. Zu genau erinnerte sich Anke daran, dass Esther keine Mühen gescheut hatte, bei Erik zu landen. Aber es war ihr nicht gelungen. Sollte es nun Claudia gelingen, würde das die Stimmung in ihrer Abteilung verschlechtern. Zum Glück betrat just in dem Moment Jürgen Schnur das Zimmer und wechselte unbemerkt den unangenehmen Kurs.

      »Ich glaube, dass wir gar keinen Fall haben«, begann er.

      »Warum?«

      »Sybille Lohmann, geborene Koch, ist erst vor einem Jahr Witwe geworden. Ihr Mann, Kurt Lohmann, war am 11. September 2001 in New York im World Trade Center, als dieser schreckliche Terrorangriff geschah!«

      Diese schwere Katastrophe ereignete sich vor fast genau einem Jahr. Die Medien waren voll davon und die Bilder, die das Fernsehen ausstrahlte, waren so schrecklich, dass Anke sich keine Nachrichten mehr ansehen konnte. Schon vor einem Jahr hatte sie deshalb schlaflose Nächte verbracht, was sie sich nicht noch mal antun wollte.

      »Ist es ganz sicher bewiesen, dass Kurt Lohmann unter den Toten war?«, vergewisserte sich Anke.

      »Ganz sicher«, bestätigte Jürgen. »Ich habe mit dem Bundeskriminalamt gesprochen, dort wurden die Untersuchungen sämtlicher Gewebeproben der Toten, die aus Deutschland kamen, durchgeführt. Nach allen Vergleichsproben konnte einwandfrei festgestellt werden, dass Kurt Lohmann darunter war.«

      »Das ist ja schrecklich«, schüttelte Esther den Kopf. »Und nun stirbt auch noch die Witwe – äußerst tragisch.«

      »Bevor wir hier alle in Tränen ausbrechen, muss ich noch erwähnen, dass Sybille Lohmann und ihr Mann schon seit einiger Zeit getrennt gelebt haben«, entschärfte Jürgen die Tragik.

      »Das heißt aber nicht, dass es ihr nicht mehr nahe ging«, stellte Esther mürrisch klar.

      »Nein! Aber erfahren werden wir es sicherlich nicht mehr«, konnte Anke dazu nur bemerken.

      »Warum so kaltschnäuzig?« Esther klang böse.

      »Warum so gefühlsdusselig? Das hilft bei unseren Ermittlungen nicht weiter.«

      »Ruhe jetzt!«, unterbrach Jürgen das Streitgespräch, wofür er erstaunte Gesichter erntete. »Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich eure Streitereien schnellstmöglich unterbinden muss.«

      »Hat Sybille Lohmann etwas zu vererben?«, fragte Anke schnell weiter.

      »Das muss ich noch herausfinden«, gab Jürgen zu. »Aber es ist Sonntag, da bekomme ich nicht alle Informationen.«

      Das Telefon klingelte. Es war Dr. Thomas Wolpert, der junge Rechtsmediziner, den Anke nur durch ihre regelmäßigen Telefonate kannte. Sie freute sich, dass ausgerechnet Thomas an diesem Wochenende Dienst hatte, weil sie gern mit ihm plauderte.

      »Wir haben erste Ergebnisse, die ich dir durchfaxen möchte«, erklärte er.

      »Ist das alles, was du mir sagen willst?«, fragte Anke etwas enttäuscht.

      »Nein, so schnell bekommst du mich nicht mehr aus der Leitung.«

      »Das beruhigt mich! Also, was kannst du mir schon vorab über die Tote sagen?«

      »Wir haben hier so unsere Zweifel«, begann er geheimnisvoll. »Die Tote hat eindeutig Kohlenmonoxid im Blut, was die Todesursache ist. Außerdem haben wir die Schürfwunden an beiden Unterarmen untersucht, die die charakteristische Hyperämie, verursacht durch die erhöhte Anzahl von Leukozyten, aufweisen.«

      »Das klingt in meinen Ohren eindeutig.«

      »Ja, aber das ist noch nicht alles. Wir haben keinerlei Rußpartikel in Atemwegen und Lunge der Toten gefunden. Außerdem haben wir weitere Verletzungen an beiden Knien gefunden, die eindeutig postmortal eingetreten sind. Diese Wunden zeigen keinerlei Eiweißreaktion und sind hart und gelb.«

      »Was sagt uns das?«

      »Das fragen wir uns auch. Wir werden noch alle möglichen toxikologischen Untersuchungen durchführen, die uns mehr über den genauen Todeszeitpunkt aussagen können«, erklärte der Rechtsmediziner.

      »Du bist dir also nicht sicher, ob das Opfer bei dem Unfall gestorben ist?«

      »Nein, nicht hundertprozentig. Deshalb dürfen wir nichts außer Acht lassen.«

      »Es könnte aber doch sein, dass die Frau bei dem Absturz des Wagens starb, kurz bevor das Feuer ausbrach?«, spekulierte Anke weiter.

      »Sicherlich! Aber an was? Sie hatte keine Knochenbrüche, ihr Genick war heil, die Schädeldecke ebenso. Woran könnte sie gestorben sein, bei dem Aufprall? Vielleicht an einem Herzinfarkt, weil ein gewaltiger Schreck vorausgeht, wenn ein Auto in einen Graben stürzt«, überlegte Thomas weiter.

      »Kannst du das Herz noch untersuchen? Die Leiche war stark verkohlt«, zweifelte Anke.

      »Die inneren Organe sind gut erhalten. Das ist immer das Erstaunliche bei Brandleichen. Die hohe Temperatur nimmt zum Körperinneren schnell ab, weil sie das Fett und den hohen Wassergehalt nicht durchdringen kann.«

      »Wenn das so ist, dann kannst du doch das Herz auf einen Infarkt untersuchen«, schlug Anke vor.

      »Dir liegt aber viel daran, diesen Fall so einfach wie möglich zu machen«.

      »Du hast es erkannt. Ich bin jetzt werdende Mutter, da wünsche ich mir nichts sehnlicher, als eine komplikationslose Zeit bis zum Mutterschutz.«

      »Das kann ich verstehen.«

      Mit dem Bericht des Rechtsmediziners