Elke Schwab

Kulllmann kann's nicht lassen


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»So ganz vergessen kannst du sie wohl nicht.«

      Mit dieser Bemerkung versetzte er Anke einen wehmütigen Stich ins Herz. Bis zu ihrer Schwangerschaft war sie aktiv in einem Reitstall in Gersweiler geritten. Sie vermisste die Pferde – vor allem ein bestimmtes Pferd, den braven Wallach namens Rondo. Aber mit ihrem dicken Bauch und ihrer großen Angst, dass ihrem Kind etwas passieren könnte, wagte sie sich nicht mehr in die Nähe dieser großen Tiere.

      2. Kapitel

      Dunkelgraue Wolken setzten dem neuen Tag ihren Stempel auf. Dazu stürmischer Wind und Regen – alles, worauf Anke verzichten könnte. Zuhause bleiben ging nicht, sie hatte einen Termin bei der Hebamme in der Praxis ihres Gynäkologen. Den Weg dorthin legte sie zu Fuß zurück, was unter diesen Bedingungen kein Vergnügen war.

      Sie musste nicht lange warten, bis sie aufgerufen wurde. Susi war eine kleine, rundliche Frau mit einem heiteren Gesichtsausdruck, immer fröhlich und zum Lachen aufgelegt. Ihre dunklen Locken wippten bei jeder Bewegung. Allerdings wirkte die Hebamme an diesem Morgen übernächtigt. Dunkle Ringe hatten sich um ihre Augen gebildet und von ihrer sonst so unbeschwerten Heiterkeit war nicht viel zu merken.

      »Was ist los, Susi?«

      »Nichts!« Sie schüttelte ihren Kopf, dass die Locken munter hin und her flogen.

      »Entschuldige, es geht mich nichts an«, lenkte Anke gleich ein.

      Diese Reaktion erstaunte Susi. Eine Weile schaute sie Anke an und sagte dann: »Du merkst aber auch alles.«

      »Was soll das heißen?«

      »Dass bisher keine meiner Freundinnen so aufmerksam gewesen wäre, wie du gerade jetzt. Dabei kennen wir uns erst seit wenigen Sitzungen.«

      »Das macht wohl mein Beruf aus.«

      »Ich habe wirklich ein Problem, an dem ich mehr nage, als ich anfangs gedacht hätte.«

      Anke horchte auf.

      »Meine Freundinnen Rita, Annette und ich hatten Samstagnacht ganz toll gefeiert. Wir waren auf einer Party von Bekannten eingeladen; die Stimmung war toll und wir hatten reichlich getrunken. Weil ich den klarsten Kopf von uns dreien hatte, habe ich uns nach Hause gefahren, was wohl nicht gerade das Intelligenteste war, was wir tun konnten.«

      »Stimmt! Aber deswegen bist du bestimmt nicht so bedrückt.«

      »Nein! Jetzt bekomme ich Drohanrufe.«

      »Oh«, stutzte Anke. »Was hat der Anrufer oder die Anruferin gesagt?«

      »Es war ein Mann und er hat gesagt: Ich weiß, dass du es warst! Dafür wirst du bezahlen!«

      »Was meinte er damit?«

      »Das ist es ja gerade. Ich weiß es nicht. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Bei den ersten Anrufen habe ich noch gelacht und einfach aufgelegt, aber der Anrufer hat sich immer wieder gemeldet, bis ich ihn ernst genommen habe. So oft, wie der angerufen hat, kam es mir nicht mehr wie ein dummer Schuljungenstreich vor.«

      »Hast du heute schon von ihm gehört?«

      »Nein! Vielleicht bin ich zu früh aus dem Haus gegangen.«

      »Gab es Streit auf der Party?«

      »Nein, nicht im Geringsten.« Susi schüttelte energisch den Kopf.

      »Wo war die Party?«

      »In Saarbrücken, im Nauwieser Viertel. Dort wohnen einige Bekannte von uns in einer Wohngemeinschaft, was sich für große Partys geradezu anbietet.«

      Anke hatte zwar noch nie die Gelegenheit bekommen, auf solchen Partys mitzufeiern, stellte sich das aber ganz toll vor.

      »In der Nacht seid ihr dann den ganzen Weg bis Riegelsberg nach Hause gefahren?«

      Susi nickte schuldbewusst.

      In diesem Augenblick kam der Gynäkologe herein, begrüßte die beiden Damen und überreichte Susi die Lokalzeitung. Verwundert schaute Susi ihren Chef an, doch kaum hatte sie einen Blick auf den größten Artikel geworfen, da wusste sie, warum er das tat. Anke entdeckte ebenfalls den Bericht und gemeinsam lasen sie ihn durch. Es ging um den Unfall, der sich auf der Neuhauser Straße zwischen Saarbrücken und Rußhütte ereignet hatte. Darin wurde sogar das Unfallopfer namentlich erwähnt. Allerdings ließ der Bericht mehr Fragen offen, als er beantwortete.

      Anke fiel ein, dass Susi ebenfalls in Walpershofen wohnte. Wie hatte Claudia Fanroth den Ort beschrieben? Ein kleines Dorf! Dort kannte jeder jeden.

      »Kennst du Sybille Lohmann?«

      Susi antwortete: »Klar! Sie hatte mal als Schreibkraft im amtsärztlichen Dienst beim Gesundheitsamt Saarbrücken gearbeitet, genauso wie meine beiden Freundinnen Rita und Annette. Das ist aber schon eine Weile her.«

      »Darum zeigt dir dein Chef diesen Artikel?«

      Susi nickte.

      »Das hört sich aber nicht so an, als würdest du Sybille nur als Arbeitskollegin deiner Freundinnen kennen. Wie gut kanntest du sie wirklich?«

      Susi taxierte Anke eine Weile und fragte dann: »Warum fragst du mich das alles?«

      »Ich überlege, welches Motiv der mysteriöse Anrufer haben könnte. Welchen Weg seid ihr nach Hause gefahren?«

      »Das ist ja gerade das Unheimliche«, gestand Susi. »Wir sind über Rußhütte nach Riegelsberg gefahren. Den Weg haben wir genommen, weil wir hofften, dort auf keine Polizeikontrolle zu treffen. Aber von einem Unfall haben wir nichts gesehen.«

      »Ganz sicher? Vielleicht kannst du deinem Gedächtnis ein wenig nachhelfen«, drängte Anke.

      »Nein. Da war absolut nichts. Ein brennendes Auto im Graben, so etwas merkt man sich doch.«

      »Da du gefahren bist, bist du die Einzige, die alles gesehen hat. Ist dir ein Fahrzeug auf deiner Spur entgegengekommen?«

      Susi wollte gerade etwas antworten, als sie innehielt.

      Doch dann schüttelte sie den Kopf: »Nein, ich bin einmal nur stark geblendet worden. So stark, dass es Rita und Annette auf dem Rücksitz ebenfalls aufgefallen war. Aber sonst nichts. Da hatte einer mit Sicherheit nur versehentlich das Fernlicht eingeschaltet.«

      Enttäuscht ließ Anke sich in den Stuhl zurücksinken.

      *

      Als Anke im ersten Stock auf ihr Büro zueilte, kam ihr ein junger Mann mit dicker Hornbrillenfassung und starken Brillengläsern entgegen. Durch die dicken Gläser wirkten seine Augen vergrößert wie unter einer Lupe, so dass die Schielstellung noch mehr hervorgehoben wurde. Sein Gesicht war teigig und übersät mit Pickeln, sein dünnes, aschblondes Haar klebte in fettigen Strähnen an seinem Kopf. Seine Statur war unförmig und seine Kleidung altmodisch und ungepflegt. Er strömte unangenehmen Körpergeruch aus. Erstaunt schaute Anke ihm nach, wie er im Korridor verschwand. Plötzlich hörte sie Eriks Stimme ganz dicht an ihrem Ohr: »Das ist Emil Tauber. Er hatte den Unfall entdeckt und sofort die Polizei benachrichtigt. Er musste heute Morgen seine Aussage zu Protokoll geben.«

      »Ist er verdächtig?«, fragte Anke.

      »Das ist bei diesem Mann schwer zu beurteilen. Er benimmt sich merkwürdig, so als fiele es ihm schwer, über den Unfall zu sprechen. Dabei ist nicht erkennbar, ob er sich immer so verhält, weil er Komplexe und dazu noch eine feuchte Aussprache hat, oder ob mehr dahintersteckt. Deshalb werden wir ihn überprüfen.« Mit einem taxierenden Blick auf Anke fügte er an: »Wie war deine Sitzung?«

      Sein Interesse an ihrem Kind rührte Anke. Ihre Sorge wegen der Schwangerschaft im Abseits zu landen, hatte sich nicht bewahrheitet.

      Sie berichtete, was sie von ihrer Hebamme über die Heimfahrt Samstagnacht und über die Drohanrufe erfahren hatte.

      Daraufhin blätterte der Kollege in seinen Berichten und las laut vor: »Das Unfallfahrzeug wird