Dagmar Isabell Schmidbauer

Dann stirb doch selber


Скачать книгу

ich und schloss dabei die Augen. Ich reckte mich ihm entgegen, weil er so gut roch und so gut schmeckte und weil er viel größer war als ich. Es war eine wunderbar mondlose Nacht, wie geschaffen, um ein glückliches Paar vor den Augen der Welt zu verstecken.

      Harry nahm mich auf seine Arme und trug mich über eine kleine Brücke, bis zu einer Hütte mitten im Wald. Er ließ mich den Schlüssel aus der Dachrinne fischen und stellte mich erst im Inneren der Hütte wieder auf die Beine. Neugierig sah ich mich im Schein einiger Kerzen um. Es gab einen Schrank mit Geschirr, einen großen, massiven Tisch mit Stühlen und einen Nebenraum. Dort stand ein Bett, groß und einladend. Abwartend blieb ich stehen. „Hast du mich deshalb hergebracht?“, fragte ich und zeigte mit dem Kopf zum Bett.

      „Nein, natürlich nicht!“ Er sah sehr ernst aus. „Ich wollte dir nur meine Hütte zeigen!“

      Nach dieser schamlosen Lüge trat er einen Schritt auf mich zu, schob seine Hände in meinen Rücken und zog mich gierig an sich. Ich schloss die Augen, spürte wie der Reißverschluss meines Kleides geöffnet wurde und seine Hände meine nackte Haut streichelten. Dagegen blieb seine Zunge beinahe schüchtern in meinem Mund. Mit meinen Händen versuchte ich mich am Tisch abzustützen, aber es war zwecklos. Harry war viel stärker als ich. Er drückte mich nieder und streifte mir dabei mein Kleid vom Körper. Es war ein herrliches Beben, das meinen Körper durchdrang und ihn leicht und frei zurückließ.

      Auch Harry hatte sich ausgezogen, nicht ganz, aber es genügte. Und endlich sah ich, was meine Hände bereits während der Tanzstunden erkundet hatten. Ein Männerkörper ohne Wenn und Aber. Er war wunderschön und ich wollte ihn nie wieder hergeben! ...

      Mit dem Cola-Glas in der Hand ging ich zu einem der Sessel vor dem Kamin, die mit Tigerfellimitat bezogen waren, und setzte mich. Das hier war mein Lieblingsplatz, und wenn ich irgendwo die Erinnerung an unser erstes Treffen ertragen konnte, dann hier. Der Kamin stammte aus einem französischen Herrenhaus, und im Winter brannte oft ein Feuer darin. Gedankenverloren drehte ich den Stiel des Glases hin und her und sah die dunkle Flüssigkeit herumschwappen. Ich legte die Füße auf den zweiten Sessel und schloss die Augen. Bevor ich Harry kennen lernte, hatte ich mit Männern immer nur versucht, Liebe zu machen! Ich hatte zärtliche Umarmungen und geraubte Küsse genossen, ohne zu ahnen, wie herrlich hemmungsloser Sex sein konnte. Von diesem Tag an war ich für alle Softies für immer verloren. Erst Harry gab mir, was ich brauchte. Quälend zarte Berührungen und gleich darauf fordernde, wilde Küsse, geflüsterte Drohungen und geschriene Versprechen.

      ... Er drückte mich nieder, um mich endlich zu nehmen und zog mich dann doch noch einmal kraftvoll nach oben: „Komm, wir tanzen Tango!“ Harry lächelte dieses Lächeln, das ich fortan nicht mehr aus meinem Kopf bekommen konnte, ging in Tanzposition und zog mich an seinen Körper. Nackt und heiß summte er die Melodie. Immer enger bewegten sich unsere Körper, Haut an Haut. Ich fühlte ihn bei jeder Bewegung kommen und gehen. Er führte mich mit leichter Hand, weil ich einfach nicht von ihm lassen konnte. Frau Heidinger hätte ihre wahre Freude an uns gehabt, außer vielleicht, wenn sie gewusst hätte, wie ruchlos wir ihn interpretierten. Aber der Tango ist nun einmal ein ruchloser Tanz, und daher landete ich bei der letzten Drehung auf der Tischplatte. Bäuchlings. Harry packte mich von hinten, drückte meine Beine auseinander und drang tief in mich ein. Ich stöhnte laut auf. Nie zuvor hatte ich eine derart heiße Nacht erlebt.

      Ich fühlte, wie er sich zwang innezuhalten, wollte protestieren, konnte es aber nicht, weil er mir die Hand auf den Mund legte, bis ich ganz still hielt und mich nicht mehr rührte. Erst dann löste er den Griff und fuhr mit einer schier unerträglichen Sanftheit die Konturen meines Gesichtes nach. Über das Kinn bis zum Hals, wo er kurz anhielt und sich mit seinen Lippen zu meinem Ohr herunterbeugte.

      „Schön brav sein, sonst...“, er fasste meinen Hals fester und drückte kurz, aber heftig zu. Bevor ich in Panik geraten konnte, hatte er schon wieder losgelassen. Ein heißer Schauer durchzog meinen Körper und die folgende Sanftheit machte alles noch viel schlimmer. Noch nie hatte ein Mann derartige Spielchen mit mir gespielt ...

      Bei dem Gedanken daran zuckte ich unwillkürlich zusammen. Ich war tatsächlich erregt. Beinahe konnte ich ihn spüren, und das machte mich verlegen, weil ich vielleicht nicht an so etwas denken sollte, jetzt, wo Harry tot war. Aber andererseits würde es nie wieder einen Mann wie Harry für mich geben, da war es doch nur recht, wenn ich mich noch sehr lange an ihn und seine Leidenschaft erinnern konnte!

      Auf einmal liefen mir die Tränen über die Wangen. Die Cola in meiner Hand war ganz warm geworden und schmeckte scheußlich. Cola Light kann man nur eisgekühlt trinken. So wie man nur in ganz heißen Nächten stilvoll Tango tanzen kann. Krampfhaft hielt ich mich an meinem Glas fest. Es war so schön gewesen damals, dass es ein ganzes Leben gereicht hätte, dachte ich und drückte fester, weil es jetzt ein ganzes Leben reichen musste.

      Harry war tot, lag auf einer kalten Bahre, in einem sterilen Raum. Ich wollte es mir nicht vorstellen, ebenso wenig wie ich es sehen wollte. Auf einmal zersprang das Glas in meiner Hand und Blut tropfte in meinen Schoß. Hastig sprang ich auf, lief ins Bad, drehte das kalte Wasser auf und ließ es mir über die Wunde laufen, bis die Blutung nachließ.

      Der Innenarchitekt hatte einen Traum entworfen und dabei weder an Material noch an Ideen gespart. Wände und Badewanne waren mit portugiesischem Estremonzmarmor verkleidet und rund um das Fenster waren Schränke eingebaut. Aus dem großen goldbelegten Spiegel schaute mir mein trauriges Gesicht entgegen. Ich ging näher heran. Irgendwie wirkte alles so unpersönlich, so fremd. Meine Augen waren rotgeweint, die Wangen hohl, der Mund hing schlaff nach unten. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Harry würde es nicht gefallen, wenn er mich so sehen könnte. Mit Hilfe einer Pinzette entfernte ich zwei kleine Glassplitter. Dann wickelte ich ein frisches weißes Handtuch um die Wunde und setzte mich auf die Stufen, die die Badewanne umgaben. Auf der breiten Ablage dahinter stand eine Vase mit roten Rosen und einige Duftkerzen.

      Die Badewanne war so groß, dass zwei Erwachsene ohne Probleme darin Platz fanden, vorausgesetzt, sie wollten nicht auf Distanz gehen. Ich schaute zu Boden. Die Fransen der hellen Badematte waren zerzaust, ich bückte mich und zupfte sie zurecht. Danach durchwühlte ich die Wohnung. Ich musste etwas finden, das sich festhalten ließ und mir irgendwann die Frage beantwortete: Was war schief gelaufen in unserer Beziehung?

      4. Szene

      Klara

      Die Zielstrebigkeit, mit der sie versucht haben, ihre Karriere zu zerstören, grenzte beinahe schon ans Selbstmörderische! Mit diesen Worten wurde ich unehrenhaft von München nach Passau versetzt. Natürlich stand es so nicht in meinen Akten, aber ein Brandmal hatte ich trotzdem. Entsorgt ins Grenzgebiet! Menschlich noch immer schwer enttäuscht, schob ich die Papiere auf meinem Schreibtisch zusammen.

      Leicht war es mir nicht gefallen, München zu verlassen, doch dann kam mir eine andere Katastrophe zu Hilfe. Passau wurde vom Frühjahrshochwasser heimgesucht. Leise konnte ich mein Zimmer beziehen, dankbar dafür, dass mich kaum einer zur Kenntnis nahm und ich in Ruhe meine Wunden lecken durfte.

      Inzwischen hatte ich das alte Polizeipräsidium in der Ludwigstraße lieben gelernt. Alte Häuser hatten für mich schon immer etwas ganz Besonderes. Ich mochte das Knarzen der Dielenbretter und die leicht zugigen Fenster. Die hohen Räume gaben mir ein Gefühl von Freiheit; Erker und Rundbögen sprachen für Phantasie. Der übervolle Schreibtisch war eine Herausforderung, der ich mich gewachsen fühlte und schnell nachkam. Das einzige, was mich manchmal traurig stimmte, war die heruntergekommene Pension, in der ich schlief. Die Hoffnung, irgendwann einmal wieder in meiner schönen Wohnung in München zu leben, hatte ich noch nicht völlig abgeschrieben, obwohl doch eigentlich alles dagegen sprach.

      Obermüller schlurfte über den Gang, riss mich aus meinem Selbstmitleid und zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. Er war ein hinreißender Kollege, wenn er auch manchmal nicht gleich verstand, worum es eigentlich ging. Bei einer ausgiebigen Streckübung beschloss ich, mir noch einen letzten Kaffee und damit etwas Abwechslung zu gönnen.

      Ich steckte eine Münze in den Automaten im Erdgeschoss und sah zu, wie der Kaffee in meinen Becher tröpfelte. Obermüller stand mit dem Kollegen Wegerbauer an einem der