Paul-Heinz Schwan

DIE LETZTE KUGEL


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innenraum

      fordert kongeniale geister

      die beleben sollen

      intelligenz wird sphärenspannkraft

      einsicht verschafft umsicht

      im nahen und im ungeheuren

      logischer enthusiasmus

      kommunitarischer enthusiasmus

      ein pfingstereignis

      der denkgeschichte

      staunen

      aber bitte mit trockener seele

      von überwältigendem

      sprechen

      sieben eigenschaften riefen sie der

      kugel hinterher:

      sie sei gott

      sie sei das schönste

      sie sei die größte

      sie sei das weiseste

      sie sei erfüllt vom schnellen geist

      sie sei mit kraft als stärkstes

      sie sei ohne anfang ohne ende

      wir sind umgriffen gerettet

      obschon wir uns dem

      mangel ausgeliefert fühlen

      der philosoph ist

      zum optimismus verpflichtet

      den alten europäern

      bleibt weisheit:

      sich in kontemplativer dankbarkeit

      in diese ur-fülle

      einzugliedern

      sich den besten gründen auszuliefern

      während es uns moderne

      zu ursprungsflüchtigen macht

      vorwärtslaufend denkend

      gegen das heimweh

      nach dem unveränderlichen noch-nie-dagewesenen

      von-ferne-versprochenem

      sie scheint uns zuzurufen:

      spielt weiter mit dieser kugel

      die königen legitimation

      und dichterfürsten

      zu denken gaben

      der mensch

      das ekstatische tier

      dem ein weltapfel

      in die hand gelegt wurde

      angesichts riesiger

      fragen und aufgaben

      schien es nicht wunder

      das wir mängelwesen

      zu sein schienen

      wer kann als mängelwesen

      der fülle schon standhalten

      was soll aus der kugel

      werden

      in zeiten ohne könige

      was aus den königen

      in zeiten ohne kugel

      Prolog: Intensive Idylle

      Die Szene spielt im 1. Jhrd. vor Christus. Sieben bärtige Männer sitzen zusammen. Es hat den Anschein, als mache eine Idee die Runde und durchfahre sie wie ein Anfall. Weltergreifende Ideen beginnen ihren Flug.

      So wie die Offizianten religiöser Kulte Statuen zu Ehren der von ihnen bevorzugten Gottheiten errichten, so haben die Gelehrten hier das Bild der Seins- und Kosmoskugel vor sich aufgestellt, um sie mit angemessenen Erörterungen zu verehren.

      Die Kugel ist das Götterbild der Denkenden. Kästchen, Podium sind ihr tragbarer Altar, der Hain vor den Toren der Stadt ist ihr Tempelbezirk. Die sphaira ist der Gott der zu denken gibt. Aber es sind nicht Gebete und Anrufungen, sondern Analysen, Messungen und Beweise. Verehrende Forschung über ein Symbol für jenes Umgreifende oder Um-Sein, periéchon, das alle physischen und geistigen Gattungen des Seienden in sich fasst und das somit auch die Intelligenzen durchwirkt, die sich hier über die Kugel beugen.

      Ihr Innenraum verlangt nach einem kongenialen Geist, der ihn beleben soll, das meint erzeugen und ermessen. Intelligenz ist Sphärenspannkraft; aus Einsicht wird Umsicht im Ungeheuren. In den Evidenzerlebnissen gibt sich der Gott, der Eine, Einstimmige, den Denkenden zu sehen. Logischer Enthusiasmus bestätigt seinen Verehrern, dass er in ihnen gegenwärtig ist.

      Im bewährungsmächtigen Begriff und im seinsfähigen Bild kommt der göttliche Geist - der hier unterstellt werden darf - auf den menschlichen zu. Es ist das Pfingstereignis der Denkgeschichte, der Ausguss logischer Feuerzungen.

      Jeder der sieben bezieht sich als singuläres, wissendes Leben auf das Eine und setzt sich so in eine ursprüngliche Individualität. Er lässt das Umfassende durch sich selbst, das diskrete Gefäß des Ungeheuren, sprechen.

      Hier entsteht eine neue Form der Vergesellschaftung: durch die geteilte Erfahrung des Einheits- und Ganzheitsgedankens entsteht eine Gemeinsamkeit, für die es in der völkischen und familiaren Geschichte kein Vorbild gibt.

      Aber schon diese sieben lernen nicht fürs Leben sondern für die Schule.

      Durch das Theoriespiel Philosophie werden die folgenden Gesellschaften endogen gespalten: in solche die sich und ihr Wissen selbst zum Ernstfall erklären und in die, die sich entweder als Bewunderer dessen zeigten, was sie nicht verstanden oder die, die ein Leben in Ahnungslosigkeit führten, ohne sich unsouverän zu fühlen.

      Im Bild der Sieben liegt Glück und Ungeheure still ineinander.

      Zukünftig wird ohne den Willen zu dieser Idylle, keine Theorie zustande kommen.

      Ohne Muße keine Schule, ohne Entwurzelung aus der Vulgarität, nichts von alledem, was alteuropäisch Freiheit der Forschung hieß.

      Von nun an reicht das Ungeheure in der Ordnung weiter, als das Ungeheure in der Tragödie. Die Kugel bestellt die Betrachter mit zwei unbedingten Imperativen zu sich:

      Komm, denke mich!

      Und:

      Geh in mir auf!

      Im Hintergrund eine Sonnenuhr. Philosoph ist, wer eine Uhr im Rücken und eine Kugel vor sich hat.

      Wir stehen am Beginn eines messenden, feststellenden, vergegenständlichenden „Zeitalters der Vernunft“. Von einem wortreich dunklen Gewerbe wird die Konstellation von SEIN und ZEIT durchleuchtet.

      Einer, der der Zeit den Rücken zukehrt um in den absoluten Raum, die göttliche Immanenz, die sphärische Fülle einzutreten. Hier tut sich das Paradies der Ontologen (Lehrende des Seins) auf.

      Auch Hegel und Heidegger waren nur Kommentatoren dieses Mosaiks. Auch Nach- und Anti-Hegelianer kämpften um den Kugelnachlass, von der es heißt, sie sei zersprengt, die ihr ent-stürzenden Menschen würden nur noch im freien Fall existieren.

      Die Kugel vor Augen lässt die Sieben zu einer lokalen Funktion des globalen Optimums werden. Sie gab ihnen den stärksten Grund Optimist zu sein, wenn die Sphäre wirklich das Inbild und den Inbegriff des Ganzen geben soll.

      Liegt im modernen Fortschritts-Optimismus noch ihr Nachhall?

      Der thetische (zu beweisende) Funke springt im Augenblick über: Alles ist Gnade, alles ist im Kreis. Eíso panta - alles ist innen-. Der Intellekt ist nun unheilbar krank von einer Sphären- idee, einem Pathos, von dem sich nicht sagen lässt, ob er hell oder dunkel ist: dem Staunen.

      Wer